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Schäkern ja, reden nein: Merkel hat zu wenig getan, um Obama beim Thema Syrien einen Gesprächskanal zu Putin offen zu halten.
© Afp

G20 und Syrien: Die deutsche Diplomatie ist zum Vergessen

Um ein Haar hätte Kanzlerin Merkel die Bundesrepublik im Fall Syrien in ein Lager mit Russland und China gebracht. Deutschland, ohne Orientierung, in außenpolitischer Ohnmacht?

Es bleibt ein Desaster, diese neue Fehleinschätzung der Bundesregierung, wie ihre Gefolgsleute es auch drehen und wenden und rhetorisch verschwurbeln. Denn es ist ja passiert: Als einziger europäischer G-20-Staat unterzeichnet Deutschland zunächst eine gemeinsame Erklärung nicht, in der eine entschlossene internationale Reaktion auf den Einsatz von Chemiewaffen in Syrien gefordert wird. Eine entschlossene Reaktion, wohlgemerkt, kein Militärschlag. Das Papier, am Rande des Gipfels von St. Petersburg verabschiedet, trug elf Unterschriften, nur die von Angela Merkel nicht. Sie hatte eine „Vorfestlegung“ vermeiden wollen. Was wieder nach Enthaltung klingt, nach einem Sich-raushalten, einem Sich-nicht-entscheiden-können, wenn es darauf ankommt. Das Ergebnis: Die Bundeskanzlerin, allein unter den Großen in Europa. Da kommt die Unterschrift doch noch. Stunden später. Verkündet von Guido Westerwelle. Die Kanzlerin, korrigiert.

Um ein Haar, und Merkel hätte die Bundesrepublik, die stärkste wirtschaftliche Nation in Europa, für manche in der Welt eine Art Orientierungsmacht in Europa, im Fall Syrien in ein Lager mit Russland und China gebracht. Deutschland, ohne Orientierung, in außenpolitischer Ohnmacht? So wird der Ruf zerstört, dass diese neue deutsche demokratische Republik zwar nicht militärisch kämpfen mag – was ehrenwert ist; was das ist, das unsere alliierten Freunde immer wollten, nämlich die Deutschen heraus aus den Knobelbechern –, wohl aber diplomatisch zu handeln versteht. Dass diese Republik darin versiert ist, dazu konzeptionell, mit Bataillonen von klugen Köpfen. Und das kann sogar sein. Bloß merkt man es nicht. Denn im Ernst kann es nicht sein, dass die Kanzlerin und ihr Außenminister geplant hätten, allein dazustehen.

Wenn die Regierung glaubt, die nachträgliche Unterschrift machte den Fehler vergessen, dann irrt sie. Es ist noch mehr, was fehlt. Sie hat viel zu wenig getan, um Barack Obama einen Gesprächskanal zu Wladimir Putin offen zu halten. Der Clash ist auch deshalb gekommen, weil die deutsche Politik ihre Stärke und ihre Verpflichtung, die geduldige, clevere Vermittlung und Verhandlung, ja, was, vergessen hat? Was soll ein US-Präsident von solch einem Verbündeten halten! Da nutzen die schönsten Salbadereien über die Unverbrüchlichkeit der Freundschaft nichts. Erst recht in diesem Fall, und gerade dann, wenn die Deutschen keinen Militärschlag wollen; wenn sie sich an keinem beteiligen wollen.

Warum hat die Bundesregierung die EU nicht längst selbst zur Plattform der Suche nach einer diplomatischen Lösung gemacht? Dorthin hätte sie – die ohne Gewissensbisse Tonnen von Waffen liefert – Saudis und Katarer einladen sollen, dazu die Russen, um auf sie alle einzureden. Denn es ist offenkundig: Katar und Saudi-Arabien wollen Syrien zum „Battleground“ für den Kampf um die Vorherrschaft von Sunni oder Schia in der muslimischen Welt machen; sie wollen auf syrischem Boden den entscheidenden Schlag gegen den Konkurrenten Iran führen. Und die Russen machen das mit? Man muss nicht das Ende eines Krieges abwarten, um „ehrliches Maklertum“ zu beginnen, wie Lenin die Diplomatie nannte.

Die vergangenen vier Jahre sind außenpolitisch zum Vergessen. Ohne Kurs, ohne Kompass, ohne Konzept, ohne Haltung. Und ohne gute Erklärungen. Weiter so? Besser nicht.

Stephan-Andreas Casdorff

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