Kinderbetreuung: Die Debatte um das Betreuungsgeld ist verlogen
Manche Eltern finden, dass Kinder zu Hause besser aufgehoben sind - denn es gibt Kitas, in denen Kinder überhaupt nichts lernen. Unsere Autorin meint, sie haben Recht und sollten deshalb nicht verunglimpft werden.
Selten ist eine gesellschaftspolitische Diskussion verlogener geführt worden als diese: Wer heute über das geplante Betreuungsgeld streitet, hat anderes im Sinn als den finanziellen Zuschuss für Eltern, die ihre Kinder lieber zu Hause erziehen wollen, als sie in den Kindergarten zu schicken. Wer dagegen ist, hegt den üblichen Verdacht: Eltern behalten ihre Kinder aus niederen Motiven zu Hause. Sie lassen den Nachwuchs gern vor dem Fernseher verwahrlosen und machen es sich selbst für 100 Euro mehr im Monat auf dem Sofa mit Zigaretten und Alkohol gemütlich. Diese Unterstellung haben die meisten Eltern nicht verdient.
Es gibt Eltern, die der Überzeugung sind, dass die Kinder zu Hause besser aufgehoben sind als im Kindergarten. Es gibt Familien, in denen ein Elternteil deshalb eine Weile lang oder überhaupt nicht einer Erwerbsarbeit nachgeht. Diese Eltern haben den Respekt einer freiheitlichen Gesellschaft verdient. Ob sie dafür eine Subvention erhalten sollen, ist eine andere Frage.
Darum aber geht es hier nicht. Hier ruft die Facharbeiter-Mangelgesellschaft nach der stillen Reserve: Jeder soll einen Job machen, auch die Mutter kleiner Kinder. Hier verlangt die alternde Gemeinde nach den heute noch unter ihrem Potenzial lernenden Kindern. Sie sollen auf keinen Fall mehr ohne Schulabschluss oder nur mit dem Hauptschulzeugnis durchs Leben gehen dürfen. Deshalb sollen die Kinder so schnell wie möglich in eine öffentliche Betreuung. Deshalb werden diejenigen, die das ablehnen, als staatlich besoldete Faulenzer verunglimpft. Es mag Familien geben, in denen das tatsächlich der Fall ist – genauso wie es Kindertagesstätten gibt, in denen Kinder überhaupt nichts lernen.
Frühe Bildungsstandards und Sprachfähigkeitstests würden mehr bewirken. Ein solches Regime würde nur das messen, was herauskommt – unabhängig davon, wer es zustande gebracht hat. Doch eine solch umfassende Regulierung trauen sich selbst die energischsten Enthusiasten der frühkindlichen Bildung nicht zu. Deshalb machen sie sich über das geplante Betreuungsgeld her. Damit treffen sie zu Unrecht die Mehrheit der Familien, die ihre Kinder aus wohlerwogenen Gründen lieber später als früher der Erziehungsgewalt mäßig gebildeter Erzieherinnen anvertrauen wollen.
Ursula Weidenfeld ist freie Publizistin. Die Ökonomin war Chefredakteurin der Zeitschrift "Impulse" sowie stellvertretende Chefredakteurin und Chefin des Wirtschaftsressorts des Tagesspiegels.