Hilfe für Kurden: Deutschlands planlose Irak-Politik
Quasi über Nacht hat die Bundesregierung beschlossen, die Kurden im Irak zu unterstützen. Und schon rächt sich, dass sich Deutschland der außenpolitischen Debatte, die von Bundespräsident Gauck angestoßen wurde, verweigert hat. Ein Kommentar von "Cicero"-Chefredakteur Christoph Seils.
So schnell kann das gehen. Noch vor kurzem wurde Bundespräsident Joachim Gauck in Deutschland nur von außenpolitischen Experten ernst genommen. Sein Versuch, eine Debatte über einen Paradigmenwechsel in der deutschen Außenpolitik anzustoßen, wurde von vielen seiner Landleute und vielen Politikern milde belächelt. Die Union distanzierte sich mit leisen Tönen, die SPD ging deutlich auf Abstand. Die Linkspartei beschimpfte Gauck als Kriegstreiber, der den geistigen Boden für eine Militarisierung der deutschen Außenpolitik bereite. Karikaturisten verpassten dem Bundespräsidenten eine Pickelhaube.
Dabei klingen Gaucks Worte aus dem vergangenen Winter im Lichte der mörderischen Ereignisse dieser Tage im Irak nahezu prophetisch. Mehr Engagement Deutschlands in der Außenpolitik hatte dieser Anfang des Jahres in einer Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz gefordert. Aktiver solle sich das Land an der Lösung internationaler Konflikte beteiligen. Als letztes Mittel sei es auch nötig, militärisch einzugreifen, um Despoten zu stoppen. Im „Kampf für Menschenrechte“ oder „für das Überleben unschuldiger Menschen“ sei es manchmal erforderlich, so Gauck, „auch zu den Waffen zu greifen“. International würden Kräfte gebraucht, „die Verbrecher oder Despoten, die gegen ihr eigenes Volk oder gegen ein anderes mörderisch vorgehen, zu stoppen.“
Bundesregierung will Kurden im Irak gegen IS ausrüsten
Plötzlich kann es der Bundesregierung gar nicht schnell genug gehen. Hektisch versucht die Große Koalition auf den drohenden Genozid an den Jesiden im Irak zu reagieren. Die Erkenntnis, dass sich die Kämpfer des „Islamischen Staates“ weder mit Diplomatie noch mit Wirtschaftshilfe stoppen lassen, ist ihnen quasi über Nacht offenkundig geworden. Am Montag war bei Union und SPD noch von humanitärer Hilfe die Rede, aber am Dienstag schon von Waffenlieferungen. Wobei noch völlig unklar war, um welche Waffen es sich handeln könnte, um Waffen zur Selbstverteidigung etwa oder vielleicht doch nur um militärisches Gerät: Schutzwesten, gepanzerte Fahrzeuge, Schutzhelme.
Selbst in der Linken wird plötzlich ganz anders über internationale Militäreinsätze diskutiert. Fraktionschef Gregor Gysi fordert die Lieferung von Waffen nach Kurdistan. Die Parteiführung nennt jeden Akt der Selbstverteidigung „legitim“ und fordert das Eingreifen der UN. Wobei offen bleibt, ob das friedenserzwingende Einsätze einschließt. Und selbst auf dem Fundiflügel der Partei plädiert die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke angesichts dieser „barbarischen Islamisten“ für Aktionen „militärischer Art“.
Insgesamt jedoch erinnert die innenpolitische Debatte vor allem an einen aufgeschreckten Hühnerhaufen. Gerade noch hat man sich gemütlich im Ohne-uns-Gehege eingerichtet, doch jetzt reißt die Realität alle Zäune ein.
Mit Waffen allein ist es nicht getan
Womit wir wieder bei Joachim Gauck wären. Jetzt rächt sich, dass Deutschland sich der vom Bundespräsidenten angestoßenen Debatte weitgehend verweigert hat. Viele Fragen rund um ein wie auch immer geartetes militärisches Engagement in Kurdistan sind überhaupt nicht geklärt. Wer beschließt die Waffenlieferungen? Muss der Bundestag zu einer Sondersitzung zusammenkommen oder reicht ein Beschluss des Bundessicherheitsrates? Zumal es mit Waffen allein nicht getan ist. Wer Waffen schickt, und sei es zur Selbstverteidigung, der muss auch Ausbilder schicken. Allein das Fahren gepanzerte Fahrzeuge muss gelernt sein.
Die Deutschen sollten sich nichts vormachen: Wer kurzfristig die Gewalt stoppen will, der muss langfristig auch eine Vorstellung davon haben, wie der Irak wieder befriedet wird. Wer über Waffenhilfe nachdenkt, muss auch über friedenserzwingende Einsätze der Vereinten Nationen gemäß Kapitel VII der UN-Charter reden und über friedenserhaltende Blauhelm-Missionen. Wer deutsche Waffen oder auch nur gepanzerte Fahrzeuge nach Kurdistan liefert, der wird deutsche Soldaten hinterherschicken müssen.
Es könnte sein, dass Deutschland in den kommenden Wochen eine grundlegende Neujustierung seiner Außenpolitik erlebt, mit weitreichenden Konsequenzen auch in der Innenpolitik. In jeden Fall ist es bemerkenswert, dass Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und der Linke Gregor Gysi plötzlich in einem außenpolitischen Boot sitzen, während der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen so redet, als käme er gerade von einer Kundgebung der Friedensbewegung.