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Angst und Einsamkeit am Lebensende können kein Grund dafür sein, die Sterbehilfe zu legalisieren, sagt der Theologe und ehemalige Präsident der Evangelischen Kirche in Deutschland, Wolfgang Huber.
© Oliver Berg/dpa

Sterbehilfe: Der Suizid bei schwerer Krankheit darf nicht normal werden

Anfang November entscheidet der Bundestag über vier Gesetzentwürfe zur Sterbehilfe. Hoffentlich richtig, sagt der Theologe Wolfgang Huber.

Dieser Text ist Teil unserer Debatte zur Sterbehilfe. Weitere Beiträge finden Sie hier.

Der Deutsche Bundestag steht vor einer wichtigen Entscheidung über den Umgang mit Leben und Tod. Zwei gegensätzliche Richtungen prallen aufeinander. Die einen wollen verhindern, dass Beihilfe zum Suizid in immer stärkerem Maß angeboten, ja „vermarktet“ wird. Die anderen wollen erreichen, dass die Suizidassistenz als ärztliche Aufgabe anerkannt wird. Die Debatte ist deshalb so schwierig, weil nicht unterschiedliche Lösungen für ein und dasselbe Problem angeboten werden. Man ist sich über die Problemstellung nicht einig.

In diesem Herbst entscheidet der Bundestag über mehrere Gesetzentwürfe zur Sterbehilfe

Eine Gruppe um die Abgeordneten Peter Hintze (CDU) und Karl Lauterbach (SPD) will unterschiedliche Regelungen in den ärztlichen Berufsordnungen durch einen Einschub in das Bürgerliche Gesetzbuch überbieten. Zwar ist die Uneinheitlichkeit der standesrechtlichen Regelungen misslich. Aber sie muss von der Ärzteschaft selber behoben werden. Dabei ist festzuhalten, dass Suizidassistenz grundsätzlich nicht zu den ärztlichen Aufgaben gehört. Denn die Vorstellung, Ärzte könnten diese „Dienstleistung“ anbieten oder gar abrechnen, ist mit dem ärztlichen Ethos nicht vereinbar. Doch solche Vorbehalte sollen nach dem Wunsch der Gruppe Hintze/Lauterbach verschwinden.

Die Ärzte selbst sollten Uneinheitlichkeiten beheben

Jeder Arzt soll ein verbrieftes Recht zur Suizidassistenz erhalten. Zwar lehnen auch Vertreter dieser Position die organisierte Suizidassistenz ab. Dennoch wollen sie auf eine gesetzliche Regelung verzichten, weil sie ein anderes, ihnen wichtigeres Ziel haben: Wo Ärzte im Blick auf den Einzelfall in persönlicher Verantwortung handeln, soll das Gesetz ihnen das explizit ermöglichen. Um dies durchzusetzen, wird die Uneinheitlichkeit des Standesrechts über Gebühr dramatisiert. Denn faktisch in Deutschland noch nie gegen einen Arzt ein Berufsverbot wegen Suizidassistenz verhängt, von strafrechtlicher Verfolgung ganz zu schweigen.  Doch angeblich rüsten sich manche Landesärztekammern schon darauf, Ärzten die Approbation zu entziehen; und Staatsanwälten wird unterstellt, sie wollten ein Verbot der auf Wiederholung angelegten Suizidassistenz dazu nutzen, Ärzte wegen des Beistands in ausweglosen Einzelfällen zu verfolgen. Das eine ist so abwegig wie das andere.

Auf diese Weise wird die Absicht grob verzeichnet, die mit einem anderen Gesetzentwurf verfolgt wird. Dieser Entwurf einer Gruppe um die Abgeordneten Michael Brand (CDU) und Kerstin Griese  (SPD) lässt die bestehende Rechtslage für das ärztliche Handeln im Einzelfall unberührt und konzentriert sich auf die „geschäftsmäßige Suizidassistenz“. Er entspricht damit einer Erwartung an den Gesetzgeber, die sich aus dem Respekt vor der Unantastbarkeit des menschlichen Lebens ergibt. Der Deutsche Ethikrat hat diese Erwartung damit begründet, dass öffentliche Angebote der Suizidbeihilfe, die auf Wiederholung angelegt sind, den Anschein sozialer Normalität erwecken. Das widerspricht dem Respekt vor dem menschlichen Leben, der ethisch wie rechtlich geboten ist. Zu Recht hat der Deutsche Ethikrat hinzugefügt: „Eine Suizidbeihilfe, die keine individuelle Hilfe in tragischen Ausnahmesituationen, sondern eine Art Normalfall wäre, ... wäre geeignet, den gesellschaftlichen Respekt vor dem Leben zu schwächen.“

Der Ethikrat warnt zurecht, eine geschäftsmäßige Sterbehilfe könnte den Respekt vor dem Leben schwächen

Mit den „tragischen Ausnahmesituationen“ sind Fälle gemeint, in denen Menschen unter so schweren Schmerzen und auswegloser Verzweiflung leiden, dass sie ärztliche Unterstützung bei der Selbsttötung verlangen. Der ärztliche Beistand für einen Sterbenskranken mag in einer solchen Situation zu einer Gewissensentscheidung führen, die dem Wunsch des Kranken um Beihilfe bei der Selbsttötung stattgibt. Doch der Raum für solche Gewissensentscheidungen kann nicht dadurch geschaffen werden, dass die ärztliche Suizidassistenz zu einem rechtlich geregelten und anerkannten Teil ärztlichen Handelns wird. 

Mit diesen „tragischen Ausnahmesituationen“ dürfen allerdings nicht Situationen gemeint sein, in denen Menschen einsam und ohne angemessene Pflege auf ihren Tod zugehen. Gesellschaftliche Isolierung und mangelnde Pflege können kein Grund dafür sein, dass die ärztliche Suizidhilfe legalisiert wird. Die richtige Antwort auf solche Notlagen liegt in besserer pflegerischer Versorgung, in der Erreichbarkeit von Hospizen und Palliativstationen und vor allem: in menschlicher Nähe und Begleitung im Sterben.

Doch nach wie vor ist die Furcht verbreitet, dass die Möglichkeiten der modernen Medizin zur Lebensverlängerung „um jeden Preis“ eingesetzt werden. Aus der Angst, dass ihnen auf diese Weise das Sterben schwer gemacht wird, verlangen viele Menschen, selbst über den Zeitpunkt ihres Todes bestimmen zu können. In der Forderung nach einem „selbstbestimmten Sterben“ drückt sich die Angst davor aus, dass therapeutische Bemühungen um die Verlängerung des Lebens auch dann noch unternommen werden, wenn die Linderung von Schmerzen und die Begleitung im Sterben an der Zeit sind. Das Vertrauen, dass dieser Übergang zur rechten Zeit vollzogen wird, und die Gewissheit, dass gute palliative Sterbebegleitung für jeden Betroffenen erreichbar ist, sind die wichtigsten Antworten auf die gegenwärtige Suiziddebatte. Es ist zu erwarten, dass der Deutsche Bundestag am 5. November das Gesetz zur Verbesserung der Hospizversorgung und Stärkung der Palliativmedizin beschließt. Zu hoffen ist, dass er es am 6. November durch ein Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid ergänzt.

Es ist zu hoffen, dass der Bundestag ein Gesetz beschließt, dass die geschäftsmäßige Sterbehilfe verbietet

Damit würde der Bundestag wieder zu dem Ausgangspunkt zurückkehren, der das Gesetzgebungsverfahren in dieser Frage ausgelöst hat. Gesetzgeberischer Handlungsbedarf ist dadurch entstanden, dass sich Anbieter in Deutschland etablieren, die geschäftsmäßig für Suizidassistenz werben und damit den Suizid fördern. Das hat Auswirkungen, die mit den Erkenntnissen der Suizidforschung unvereinbar sind. Der Suizidwunsch wird nicht mehr als Appell an mitmenschliche Hilfe zum Leben, sondern als alternativloses Verlangen nach Hilfe zum Sterben verstanden. Das, was auch im Fall von Suizidwünschen die Ausnahme bleiben muss, wird geschäftsmäßig zum Regelangebot. Deshalb weist der Gesetzentwurf der Gruppe um die Abgeordneten Brand und Griese in die richtige Richtung, wenn er sich das Ziel setzt, das geschäftsmäßige Angebot wie den geschäftsmäßigen Vollzug von Suizidassistenz, sei es durch Ärzte oder andere Personen, zu untersagen und wirksam zu verhindern. Denn das geschäftsmäßige Angebot einer solchen Suizidhilfe enthält ebenso wie ein gesetzlich normierter Zugang zur ärztlichen Suizidassistenz ein Signal in eine falsche Richtung. Der Suizid im Fall unheilbarer Krankheit würde zu einem Teil der gesellschaftlichen Normalität. Rechtzeitig Vorsorge dafür zu treffen, dass man an einem geeigneten Ort aufgenommen und von einem dafür spezialisierten Arzt betreut wird, gehörte dann zu den Vorsorgemaßnahmen, die zu treffen sind.

Der Suizid im Fall unheilbarer Krankheit darf nicht zur Normalität werden

In der Konsequenz würde der Druck zunehmen, zur Selbsttötung bereit zu sein, wenn die Belastung von Angehörigen durch eine schwere Erkrankung zu groß wird. Die Tür, die im Namen der Selbstbestimmung des Patienten geöffnet werden soll, führt zu offener oder versteckter Fremdbestimmung. Ein strafrechtlich sanktioniertes Verbot der geschäftsmäßigen Suizidassistenz ist deshalb nicht ein Eingriff in die Selbstbestimmung des Patienten, sondern ein angemessener Schutz vor falschen Anreizen und bedrohlichem Druck.

Wolfgang Huber ist Theologe. Er war 2003 bis 2009 Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Wolfgang Huber

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