Silvio Berlusconi verliert das Vertrauen: Der Kaiser wechselt, das System bleibt
Enrico Letta stellte im Parlament die Vertrauensfrage - und gewann. Mit ihrem Ja zu Letta haben die Abgeordneten des PdL klar gemacht, dass sie keine Lust haben, für ihren Herrn, Silvio Berlusconi, zu sterben. Der mag nun am Ende sein – aber ist es der Berlusconismus auch?
Wer hätte das gedacht. Der etwas farblose Enrico Letta, der stets wie der zaudernde, aber brave Lieblingsenkel von Großpapa Napolitano wirkte, dem Staatspräsidenten, der ihn in die erste Reihe der italienischen Politik geschoben hatte: Er hat’s geschafft: Durchgehalten, sich auf keinen Kuhhandel mit Silvio Berlusconi eingelassen, sondern schlicht die Vertrauensfrage im Parlament gestellt – und gewonnen. Die Firmenpartei, wie der PdL Berlusconis zu Recht genannt wurde, weil sie eher wie eine Marketingabteilung arbeitet denn als politische Partei, hat dem Befehl des Patrons dieses Mal nicht gehorcht. Sie hat stattdessen für die Regierung gestimmt, der sie angehörte – und die sie in den letzten Monaten beinahe sturmreif geschossen hatte.
Nun gibt es ein unmittelbares Ergebnis dieses dramatischen Mittwochs und das ist nicht gering zu schätzen: Berlusconi ist, wenn nicht politisch erledigt, so doch maximal angeschlagen. Vor allem ist er entzaubert. Der 77-Jährige, dem immer noch eine Volte einfiel, eine funktionierende Drohung, ein Versteck im Gesetzestext für das, was seine Winkeladvokaten in seinem persönlichen Interesse ausgeheckt hatten, diesmal musste er klein beigeben. Hätte er nicht in letzter Minute die Wende geschafft und seinen Leuten das Ja anempfohlen – befohlen? – wäre er krachend gescheitert. So ist er es auch, es kracht nur etwas weniger.
Geld, Schmeichelei, Macht: Silvio Berlusoni hat seine alte Kraft verloren
Mit ihrem Ja zu Letta haben die Abgeordneten des PdL, jener Kreatur eines Einzigen, klar gemacht, dass sie keine Lust haben, für ihren Herrn zu sterben. Konsequenterweise sollten sie sich auch dem Entzug seines Senatssitzes nicht mehr entgegenstellen wollen. Darüber wird am Freitag entschieden – obwohl die rechtliche Lage längst klar ist: Mit seiner definitiven Verurteilung als Steuerhinterzieher hat Berlusoni nach dem Gesetz nichts mehr im Parlament zu suchen und kann sich, Privileg krimineller Senioren, nun nur noch in die Hände von Sozialarbeitern begeben oder in den goldenen Hausarrest in einer seiner Villen. Und diese Woche hat den Beweis erbracht, dass er auch ohne dies nicht mehr viel vermag, dass weder sein Geld noch seine Schmeicheleien noch seine Machtworte mehr die alte Kraft haben. „Vielleicht ist der Moment gekommen“, schreibt die Leitartiklerin Barbara Spinelli in „Repubblica“, in klaren Worten zu sagen: „Der König ist nackt.“ Nein, er sei nicht nur nackt, er sei nur noch eine Erfindung.
So weit so gut. Was Berlusconis politische Bankrotterklärung für die Politik Italiens bedeutet, ist freilich noch nicht abzusehen und es spricht einiges dafür, die Erwartungen nicht allzu hoch zu stecken. So viel und hochtrabend in diesen Tagen und Wochen der Krise von „Verantwortung für das Land“ die Rede war, darum ging es denen wohl kaum, die jetzt für Letta gestimmt haben. Wer sich bisher hemmungslos für die Interessen eines Mannes einspannen ließ – belohnt mit Ämtern, Spesenkonten und eigenen Möglichkeiten der Klientelbildung – wie soll der oder die jetzt auf einmal ein Interesse am Gemeinwohl entdecken?
Die Bestechlichkeit, das alte Übel der italienischen Politik, herrscht nach wie vor
Viel wahrscheinlicher ist, dass denen, die für Letta stimmten, die Verantwortung für sich selbst wichtiger war und sie das Risiko von Neuwahlen ebenso scheuten wie die Möglichkeit, von ihrem angezählten Patron in dessen Abgrund gezogen zu werden. Sie werden den Premier mit großer Wahrscheinlichkeit auch weiter vor sich hertreiben und sich ihre Stimmen abkaufen lassen – ein altes Übel der italienischen Politik. Die Kaiser wechseln, das System bleibt. Und das Schauspiel von Berlusconis öffentlichem politischem Ende ist nur eine weitere Probe auf die Wahrheit des alten Bonmots aus Tommasi di Lampedusas „Leopard“: „Es muss sich alles ändern, damit alles bleibt wie es ist.“ Mag er auch zu Tode zitiert sein, so bleibt er doch sehr wahr. Ein neues Grüppchen, Abspaltung des Berlusconi-Lagers, hat sich gestern angekündigt. Das Zerbröseln von Mitte-Rechts wird Erpressungsversuche gegen die Regierung Letta eher vervielfältigen als beenden.
Die Selbstbeschäftigung der italienischen Politik dürfte insofern weitergehen und dringend nötige Projekte dafür auf der Strecke bleiben. Oder es werden weitere leges Berlusconi ins Werk gesetzt: Eine "Justizreform", das alte Lieblingsprojekt seines Vor-Vorgängers, hat Letta in seiner Rede vor dem Senat am Mittwoch schon angedeutet. Wenn der Premier wenigstens den seit Jahren überfälligen Ersatz für das verfassungswidrige Wahlgesetz schaffte, wäre das schon viel. Insofern bleibt zu hoffen, dass auch die Glückwunschschreiben aus dem europäischen Ausland diesmal nüchterner ausfallen als vor fünf Monaten. Als damals Staatspräsident Napolitano eine im Grunde unmögliche Regierung der beiden feindlichen Lager erzwang, da jubelte Europa über die „stabilen Verhältnisse“, die Italien jetzt habe. Schlimm genug, dass solche Fehleinschätzungen auch vom deutschen Sozialdemokraten und Präsidenten des Europaparlaments Martin Schulz kamen. Wenn selbst altgediente EU-Parlamentarier so wenig von den europäischen Nachbarn wissen, muss man für die europäische Idee weiß Gott fürchten.
Silvio Berlusconi ist am Ende - der Berlusconismus nicht
Bleibt das Erbe, das Kolosse hinterlassen, auch wenn sie fallen. Berlusconi mag am Ende sein – der Berlusconismus, anders als etwas die linksliberale Repubblica jetzt jubelt, ist es sicher nicht. Zwanzig Jahre Berlusconi waren zwanzig Jahre schamlosester Selbstbedienungsmentalität und einer Verachtung alles Demokratischen in Wort und Tat. Beides hat tiefe Spuren in Italiens politische Landschaft eingefräst. Die inzwischen weite Verbreitung von Steuerhinterziehung, auch im linken und halblinken Lager, ist nur ein Symptom davon. Die Desillusionierung und Entmutigung derer, die noch an die Notwendigkeit von Politik, auch in den alten Institutionen ,glauben, ist nahezu total. Und so verdienstvoll auch all die Denkfabriken sind, die lokalen Bürgerinitiativen für eine andere, bessere Republik: Tragfähige Ansätze für einen Neufang post Berlusconi sind im Augenblick nirgendwo zu sehen.
Andrea Dernbach