Religion in Berlin: Das Neutralitätsgesetz ist eine Baustelle
Nach dem Kopftuch-Urteil sollte Berlin sein striktes Verbot für Glaubensbekundungen im öffentlichen Dienst abschaffen. Es ist rechtswidrig, frauenfeindlich und behindert die Integration. Ein Kommentar.
Eigentümlich verhalten reagierten Berlins Offizielle auf die Karlsruher Kehrtwende, muslimischen Lehrerinnen ein Kopftuch zu gestatten. Erst mal, so die für solche Fälle eingeübte Formel, möchte man das Urteil prüfen. Ist ja klar, steht ein Menge drin. Das Wichtigste steht allerdings vorne: Ihr Glaubensgrundrecht gibt Lehrern die Freiheit, auch in der bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule ihrem – das steht da wirklich – „Bedeckungsgebot“ zu genügen. Pauschale Verbote sind „unverhältnismäßig“.
Man muss also gar nicht weit lesen, um zu wissen: Berlin hat ein Problem. Denn hierzulande gilt von allen Anti-Kopftuch-Gesetzen das rigideste, es gilt nicht nur für „Lehrkräfte und andere Beschäftigte mit pädagogischem Auftrag“, sondern auch für „Beamtinnen und Beamte, die im Bereich der Rechtspflege, des Justizvollzugs oder der Polizei beschäftigt sind“. Ein Rundumschlag, ausgeführt 2005, im Anschluss an die erste Karlsruher Entscheidung, die es den Ländern erlaubte, Kopftücher zu verbieten – im Schuldienst.
Immerhin ist Berlin etwas geglückt, was in anderen Bundesländern schieflief. In Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen, wo die christliche Religion keine wie jede andere sein soll, wurden Ausnahmeregelungen für Lehrerinnen im Nonnenhabit geschaffen. Die sind verfassungswidrig, meinen jetzt die Richter. Berlin hat solchen Unsinn nicht mitgemacht. Dafür hat Berlin übertrieben. Schließlich stellt sich die Frage, die die Richter jetzt für Lehrerinnen beantwortet haben, auch für Polizistinnen. Oder Justizbeamtinnen. Wie weit reicht ihre Glaubensfreiheit?
Berlin könnte sein Neutralitätsgesetz trotzdem lassen, wie es ist. Klopfen allerdings Frauen mit Kopftuch an, die Lehrerin werden wollen, kann man ihnen nicht mehr, wie bisher, die Tür weisen. Der Senat hätte auch die Möglichkeit, sein Gesetz nachzusteuern. Denn die Richter geben bei „substanziellen Konfliktlagen“, die in einer „beachtlichen Zahl von Fällen“ zur Störung des Schulfriedens führen, die Möglichkeit, Kopftuchverbote für bestimmte Schulen oder Schulbezirke auszusprechen. Denkbar wäre, die Schulverwaltung dazu per Rechtsverordnung zu ermächtigen. Und weil Neukölln überall ist, könnten „substanzielle Konfliktlagen“ auch überall sein.
Es gibt in Berlin jeder Menge substanzieller Konfliktlagen, nur haben sie rein gar nichts mit dem Kopftuch zu tun. Insofern sollte der Karlsruher Beschluss Berlins Politik den Anstoß geben, ihr Neutralitätsgesetz zu streichen. Es ist unsinnig, diskriminierend und verhindert Integration. Es ist grundgesetz- und europarechtswidrig. Es ist frauenfeindlich. Den Verantwortlichen dämmert es längst: Es ist kein Gesetz, sondern in Gesetzesform gegossene Ideologie. Die Politik reagiert so verhalten, weil sie sich schämt. Nicht weil sie erst noch etwas prüfen muss.
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