Syrien-Konflikt: Das nennt man Diplomatie
Was vor zwei Tagen undenkbar erschien, ist nun ein Stückchen näher gerückt: ein diplomatischer Weg im Syrien-Konflikt. Das liegt auch daran, dass immer mehr Menschen daran zweifeln, dass durch Kriege Frieden geschaffen werden kann.
Vielleicht ist es naiv. Die Hoffnung, dass nun alles anders kommen könnte. Dass – zwölf Jahre nach 9/11 und zehn Jahre nach Beginn des Irakkriegs – die Diplomatie wiederaufersteht aus den Trümmern der Schlacht gegen den internationalen Terrorismus. Dass Staatenlenker, so gegensätzlich ihre Interessen auch sind, sich darauf einlassen, ihre Konflikte am Verhandlungstisch auszufechten. Ja, die Argumente der Skeptiker sind stark und unüberhörbar. Assads Chemiewaffen unter internationale Kontrolle zu bringen und zu vernichten, ist mehr als eine Herkulesaufgabe angesichts der (Un-)Sicherheitslage in Syrien und der zahlreichen Verstecke, in denen die Arsenale auf ihren todbringenden Einsatz warten. Ja, Assad zählt nun wirklich nicht zu den Machthabern, deren Worten die Welt einfach so Glauben schenken sollte. Und ja, mit dem Zugriff auf die C-Waffen wäre vorerst nur der Status quo ante wiederhergestellt, das Morden ginge erst einmal ungehindert weiter. Man kann es nicht anders sagen: Es wäre ein Kompromiss, den viele als hässlich empfinden werden, nicht nur die Angehörigen der Giftgasopfer.
Die Diplomatie hat im Syrien-Konflikt eine Chance bekommen
Doch was Russland im Verbund mit den USA (oder war’s am Ende andersherum?) geschafft hat, ist etwas, womit noch vor zwei Tagen ernsthaft kaum jemand gerechnet hat. Die Diplomatie hat eine Chance bekommen, nicht mehr, nicht weniger. Ob eher zufällig oder fein geplant, sie sollte genutzt werden.
Ein diplomatischer Geniestreich?
Was wäre das für ein diplomatischer Geniestreich, wenn stimmte, was amerikanische Medien andeuten: dass Außenminister John Kerry gar nicht so unbeabsichtigt die Tür für eine politische Lösung aufgestoßen hat. So viel hat der Präsident enthüllt: Barack Obama und Wladimir Putin haben schon bei den G 20 in St. Petersburg über die Idee gesprochen, das syrische Giftgasarsenal unter internationale Kontrolle zu stellen.
Ob sie dabei auch gleich den Plan entwickelt haben, Russland die Initiative zu überlassen, damit Assads engster Verbündeter sein Gesicht wahren kann, lässt sich derzeit nur vermuten. Aber es ist eine bestechende Vermutung. Dafür spricht, dass Obama die „russische“ Initiative begrüßte, obwohl sein Außenminister genau das wenige Stunden zuvor angeblich als rein theoretische Option ins Spiel gebracht hatte. Das wäre genau das, was man Diplomatie nennt: die Kunst des (geheimen) Verhandelns. Und auf einmal öffnet sich eine Tür in einer politischen Sackgasse und weist den Ausweg.
An den Weg, Frieden durch Krieg zu schaffen, glauben heute nur noch wenige
Denn ein Ausweg ist es, zumindest für die internationale Gemeinschaft, die Chemiewaffen vor knapp 100 Jahren gebannt hat und jetzt nicht willens und auch nicht in der Lage schien, deren Einsatz zu ahnden oder zumindest für die Zukunft zu verhindern. Weil Russland und China nicht mitmachen wollten, weil die westlichen Gesellschaften kriegsmüde geworden sind und die USA mit der falschen Begründung vor zehn Jahren einen Krieg angefangen haben und damit auf Jahre hin Vertrauen zerstört haben.
An den Weg, Frieden durch Krieg zu schaffen, glauben heute nur noch wenige. Aber offenbar setzen wieder mehr auf die Chance, mit Diplomatie zumindest das Allerschlimmste zu verhindern. Mehr als Hunderttausend Tote in Syrien sind nicht ungeschehen zu machen. Aber das wären sie auch nicht mit dem letzten, dem militärischen Mittel. Der russisch-amerikanische Vorstoß ist ein Anfang, der zu etwas führen kann. Darauf zu hoffen, verlangt, daran zu arbeiten. Das ist nicht naiv. Manchmal entsteht nur so Weltpolitik.
Juliane Schäuble