Kontrapunkt: Das Guggenheim-Lab zu verhindern ist dumm
Die Kunst, heißt es bei den Aktivisten, leiste der Verdrängung alteingesessener Mieter Vorschub. Da hilft ein Blick entlang der Spree: Ganz offensichtlich hat die Gentrifizierung diesen Teil der Stadt noch nicht erreicht.
An tristen Industrieruinen geht die Fahrt vorüber, an öden Freiflächen, Müll und Wildwuchs. Hier ein ausgedehntes Lager für Getränkekisten, dort tonnenweise Ballen gepressten Altpapiers, und dazwischen auch einmal ein Wohnwagen, eine Feuerstelle, ein Sonnenschirm. Nebenan stapeln sich die Container eines bekannten Umzugsunternehmens, das einst, wie hieß das noch so schön, im „Besitz der Belegschaft“ war.
Diese Gegend scheint keinem zu gehören, das ist der erste Eindruck. Oder anders gesagt: Die Grundstückspreise müssen hier spottbillig sein, niemand interessiert sich für das Gerümpel – außer ein paar vielleicht auch schon nicht mehr so jungen Romantikern, die man früher Hausbesetzer genannt hätte. Investoren scheinen hier noch nicht vorbeigeschaut zu haben. Alles ruhig. Alles wie vor zwanzig oder dreißig Jahren. Die internationalen Mediaspree-Kapitalisten müssen das Areal übersehen haben.
Ja, so eine Flussfahrt, die macht Spaß, da kannste was lernen, wie es bei Brecht in der „Dreigroschenoper“ heißt. Wir sind, und das muss wirklich betont werden, nicht in den Berliner Außenbezirken unterwegs und auch nicht in Brandenburg an der Havel. Dies hier ist Kreuzberg, ist Hauptstadt-Mitte im Grunde. Beste Wassergrundstücke, Verkehrsanbindung, schöne Aussicht – alles da.
Die schönsten Kreuzberg-Bilder:
Ein ähnliches Bild bietet sich südlich der Oberbaumbrücke, am Spreeufer gegenüber dem Universal-Gebäude und dem spanischen Hotel mit dem Überhang: gähnende Leere, Brache, nachts schaut man sich das lieber aus der Entfernung an. Hier sollte vier Wochen lang, von Ende Mai bis Ende Juni, das „BMW Guggenheim Lab“ aufgeschlagen werden, eine Art Zukunftswerkstatt, eine Mischung aus Kunst und Installation und Diskussionsplattform für urbane Entwicklung.
So etwas kann ganz schön hybrid und nervig sein, wie wir von anderen Schauplätzen der zeitgenössischen Kulturszene wissen. BMW und Guggenheim, das sind zwei große Namen, und man muss sie nicht mögen. Skepsis ist gut und vielleicht auch angebracht. Zugleich ist es barbarisch, wenn extreme Gruppen mit Gewaltdrohungen dieses temporäre Laboratorium verhindern. Obendrein ist es dumm.
Die Kunst, heißt es bei den Aktivisten, leiste der Verdrängung alteingesessener Mieter Vorschub. Sie mache das Quartier attraktiv und teuer, die Gentrifizierung gehe mit solchen Projekten einher. Da hilft noch einmal der große Kameraschwenk entlang der Spree und ihren Ufern: Ganz offensichtlich hat die Gentrifizierung diesen Teil der Stadt noch nicht erreicht. Kilometerlang reihen sich verfallene Backsteinbauten an Freiflächen. Es könnte Jahrzehnte dauern, bis all diese Liegenschaften verkauft, entrümpelt und neu bebaut sind; wenn überhaupt.
Berlin ist riesig, Berlin hat mehr Freiraum, als es bewältigen kann. In Tempelhof ist es gut gegangen, aber was geschieht mit Tegel? Solche riesengroßen leeren Räume, und das wiederum ist das Besondere in der deutschen Hauptstadt, gibt es auch in zentralen Bereichen, wie hier an der Spree, wo sich einige widerspenstige, gallige Dorfbewohner gegen die Invasion von Künstlern und Touristen wehren und der Mehrheit ihren Lebensstil aufzwingen wollen. Kreuzberg hat freilich eine Tradition bei der Abwehr von fremden Kulturgütern, dem Burger zum Beispiel.
Noch mal zurück aufs Schiff. Vom Wasser aus sieht man am besten, wie weit die Gegend zwischen Warschauer Straße und Ostkreuz von einem gentrifizierten Szenario entfernt ist. Das Entscheidende wird sichtbar: Es geht gar nicht um Gentrifizierung, vielmehr um Modernisierung. S-Bahnhöfe mit dem Standard der siebziger Jahre werden hergerichtet, auf dass man sie im 21. Jahrhundert betreten kann. Auch das wird dauern, viele Jahre.
Jetzt erst öffnet sich die Stadt zum Wasser hin. Denn Berlin hatte sich auch dort, wo keine Mauer war, von seinen Kanälen und Flussläufen abgewandt. Jetzt erst beginnt ein Prozess, da die Stadt mit dem Raum zusammenwächst, den sie umschließt.