Kolumne "Matthies meint": "Crowdfunding" - Anglizismus des Jahres
Zum dritten Mal in Folge wurde der Anglizismus des Jahres gewählt. Nach "leaken" und "Shitstorm" darf sich nun die Schwarmfinanzierung mit diesem Titel schmücken. Ein Wort mit konjugalen Tücken.
Sprache! Jeder hat etwas zu ihr zu sagen, aber es ist schwer, zu Werturteilen zu gelangen. Ist nun das mit Anglizismen gesättigte Gerede der Werbung am schlimmsten – oder die anglizismenfreie, dafür leichenblasse Schwurbel-Prosa, mit der die Bundeskanzlerin zu überleben versucht?
Schön, gerade bei diesem Thema mal die Vernunft bei der Arbeit zu sehen. Eine Jury um den Berliner Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch hat den „Anglizismus des Jahres 2012“ gekürt, und die Absicht dahinter gefällt mir: Nicht verdammen oder bejubeln, sondern gelassen prüfen, ob es neue Begriffe gibt, die die deutsche Sprache bereichern, auch wenn sie nicht deutsch aussehen. Das erste dieser Worte war 2010 „leaken“, es ist mit dem gemeinten Phänomen schon wieder aus der Mode. 2011 kam „Shitstorm“ , eine treffsichere Wahl angesichts der zahllosen Stürme, die seither das Netz erschüttert haben. Und nun: „Crowdfunding“.
Hm. Ein wenig spröde. Das Wort bezeichnet das Einsammeln von Kapital über das Internet, es lehnt sich an das stärker etablierte „Crowdsourcing“ an, also die allgemeine Auslagerung von Aufgaben an die Netzgemeinde. Aber brauchen wir es?
„Crowdfunding“ hat den großen Nachteil, dass es wie nur wenige Anglizismen eine identische deutsche Schwester besitzt: Schwarmfinanzierung. Angeblich existiert auch das Verb „crowdfunden“ mit den Partizipien gecrowdfundet oder crowdgefundet – ich fürchte, so was nehmen nicht nur die notorischen Sprachnörgler ungern in den Mund. Schwarmfinanziert? Ja bitte.
Doch die Jury hat ja noch mehr zu bieten. Den „Hipster“ zum Beispiel, der seit einigen Jahren mit einem Hauch Spott eine urbane Jugendkultur bezeichnet, die dem Mainstream den Rücken zuwendet. Zweiter Platz, weil ihn niemand genau definieren kann. Emo? Nerd? Punk? Keiner von denen will ein Hipster sein, das macht die Sache schwierig.
Das aktuellste neue Lehnwort ist zweifellos „Fracking“ – das Herauspressen von Gas und Öl aus tiefen Schichten mit Flüssigkeit. Kaum zu ersetzen, jedenfalls als Begriff. Nur der dritte Platz, offenbar, weil die Jury die Sache ablehnt, die er bezeichnet. „Ich hoffe, dass die Relevanz des Wortes schnell und dauerhaft wieder abnehmen wird“, sagt ein Jurymitglied mit Hinweis auf die Umweltproblematik. Mag sein. Manchmal setzen sich aber auch Worte (und Dinge) durch, die wir nicht mögen. Sprache ist so gemein.