Krise am Hauptstadt-Flughafen: BER und Air Berlin: Beginn einer Kettenreaktion
Ohne den neuen Flughafen BER gerät Air Berlin immer weiter in die Krise. Profitieren könnte davon nicht die Lufthansa, sondern deren großer Konkurrent.
Die Wurzeln der deutschen Luftverkehrswirtschaft liegen in Berlin. Und hier wird diese Pflanze nun wieder ausgetrocknet. Es geht um den BER und Air Berlin als Auslöser einer Kettenreaktion, die auch die Airports in Frankfurt, München, Düsseldorf mitreißen könnte. Es geht um Bayern, Schwaben und Brandenburg, wo die Flugzeugbauzulieferer sitzen. Um Hamburg und Bremen, die dortigen Werke von Airbus und Lufthansa-Technik. Es geht um 120 Jahre Industriegeschichte.
1894 baute Otto Lilienthal in seiner Maschinenfabrik im damaligen Berliner Vorort Lichterfelde seinen Segelflugapparat, das erste in Serie gefertigte Flugzeug überhaupt. Heute sind wir bei dem Kapitel, in dem Deutschlands zweitgrößte Fluggesellschaft Air Berlin ums Überleben kämpft und sich daher in die totale Abhängigkeit ihres arabischen Großinvestors flüchten muss, nicht zuletzt, weil der als zentrales Drehkreuz nutzbare Flughafen in Schönefeld nicht fertig wird.
Air Berlin leidet unter dem Drama um den BER
Zehn bis 20 Millionen Euro Entschädigung stehen im Raum. Das ist ein Witz gemessen an der Bedeutung, die das Projekt BER für Air Berlin hat und gemessen an den Finanzproblemen: Allein 2013 soll Air Berlin bis zu 175 Millionen Euro Verlust geschrieben haben, schätzen Börsenanalysten. Womöglich drücken noch 800 Millionen Schulden. Genaues weiß man nicht: Weil es in der Zentrale in Tegel in diesen Tagen drunter und drüber geht, hat das Management die Bilanzpräsentation zum zweiten Mal verschoben, diesmal auf unbestimmte Zeit.
So gären Gerüchte. Und das hartnäckigste davon ist auch das gefährlichste: Air Berlins Großaktionär Etihad aus dem Emirat Abu Dhabi bemüht sich, die ebenfalls angeschlagene Alitalia zu übernehmen. Airlines aus der Schweiz, Irland und Serbien haben die Scheichs schon an sich gebunden. Geldmangel bremst sie nicht, nur das komplexe Börsenrecht und eine EU-Verordnung zu Landerechten.
Finden die Araber einen Weg, all ihre Airlines zu einer Gruppe zu formieren, bekäme Europas größter Luftfahrtkonzern Lufthansa ein Riesenproblem: Bisher klagte der nur über deutsche Nachtflugverbote, Sondersteuern und eine irre komplizierte Luftraumüberwachungsstruktur – alles Belastungen, die die Konkurrenten vom Persischen Golf (Emirates, Etihad und Qatar) nicht plagen. Geht Air Berlin in einer „Etihad Europe“ auf, würde plötzlich ein potenter Wettbewerber die Lufthansa direkt auf dem Heimatmarkt angreifen. Dann kann alles sehr schnell gehen: neue Kampfpreise, neuer Kostendruck, Entlassungen, Streckenstreichungen, weniger Maschinenorder. In diesen Strudel gerieten Flughäfen, Flugzeugbauer und Wartungsbetriebe.
Was macht Berlin? Nichts.
Und was macht Berlin? Nichts. Nichts auf der Bundesebene, wo der Verkehrsminister sich erst mal als Internetminister profiliert, wo der Wirtschaftsminister die Energiewende rettet und der Finanzminister an alles denkt, aber nicht daran, die 2011 eingeführte Luftverkehrssteuer zurückzunehmen. Auch auf Landesebene tat und tut Berlin nichts. Im Senat gab es nie einen Plan, wie man die seit Jahren trudelnde Air Berlin stützen kann, sei es durch Bürgschaften – oder einen funktionierenden Großflughafen.
Laut einer Studie des Ifo-Instituts beschäftigt die Luftverkehrswirtschaft in Deutschland direkt und indirekt mehr als 820 000 Menschen. Ihre Unternehmen zahlen pro Jahr 14 Milliarden Euro Steuern und neun Milliarden in die Sozialkassen. Keiner in Berlin will erleben, was von diesen Summen bleibt, sobald die Golf-Airlines den Markt kontrollieren.
Kevin P. Hoffmann