Tragödie in Norwegen: Angriff von innen
Das Heimatland des Friedensnobelpreises im Schockzustand – nicht nur das Zentrum der Hauptstadt ist verwüstet, getroffen ist das Herz der Nation.
Erst eine Autobombe im Regierungszentrum, dann das Attentat auf das Jugendlager eine Autostunde von Oslo entfernt – kaum glaubhaft, dass ein einzelner Mann diese furchtbaren Taten geplant und ausgeführt haben sollte. Die These vom Einzeltäter ist möglicherweise eher dem Bemühen der Sicherheitsbehörden geschuldet, eine Panik in Norwegen zu vermeiden, als dem eigenen Glauben, es gebe keine Hintermänner, keine Unterstützung, ideologische wie materielle. Es macht es nicht erträglicher, dass die Mordtat keinen anfänglich vermuteten islamistischen Hintergrund hat, sondern der Anschlag wohl eine rechtsextreme Motivlage hat. Die Bomben und Schüsse, die die Norweger aus heiterem Himmel trafen, haben am Tag danach das Land schon verändert. Das Attentat in Oslo war kein mörderischer Angriff von außen, der ein selbstgewisses Land in Solidarität zusammenschweißen kann, es ist eine Kriegserklärung aus der Mitte der Gesellschaft, mit der eine demokratische Gemeinschaft bedroht wird. Niemand kann ausschließen, dass dem Land noch weitere Erschütterungen bevorstehen, wenn bei der Diskussion über die treibenden Motive des Täters spürbar wird, wie gespalten die Gesellschaft ist.
Die Anschläge haben den Terror zurückgebracht nach Europa. Die Tat in Europas wohlhabendstem Land verdeutlicht, wie verwundbar jede demokratische und offene Gesellschaft ist. Es sollte niemanden in Europa beruhigen, dass nicht Al Qaida zugeschlagen hat. Dass anfänglich fast selbstverständlich von einem Anschlag mit radikalislamistischem Hintergrund ausgegangen wurde, verrät die Erwartungshaltung der Sicherheitsexperten. Europa ist weiterhin ein Angriffsziel von Al Qaida, ob wegen der Beteiligung der EU-Länder am Afghanistaneinsatz oder wegen der Teilnahme an den Luftschlägen gegen Libyens Machthaber Gaddafi. Für die irre Logik der Al-Qaida-Führung ist es nachgerade zwingend, mit Terroranschlägen nachzuweisen, dass die Organisation nach dem Tod bin Ladens noch handlungsfähig ist.
Was die europäischen Länder daneben bedroht, ist eine wachsende Polarisierung der Gesellschaft. Die so friedfertige norwegische Gesellschaft, ohne soziale Spannungen und mit extrem niedriger Arbeitslosigkeit, erlebt seit Jahren einen wachsenden Zuspruch für Rechtspopulisten, die gegen Ausländer und Asylbewerber hetzen. Auch die regierenden Sozialdemokraten haben erhebliche Zugeständnisse gemacht, um den Rechtspopulismus in Schach zu halten. Aber gesellschaftsfähig gemachte radikale Parolen sind ein Nährboden, der fanatisierte Ausländerhasser zu Gewalt ermutigen kann.
Alarmierend ist die Osloer Tat deswegen für europäische Länder, in denen rechtspopulistische Parteien Erfolge feiern, zum Beispiel in den Niederlanden, Dänemark oder kürzlich in Finnland. Wenn Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich davon spricht, dass es hierzulande nach dem Attentat keine neue Sicherheitslage gibt, ist dies nur teilweise gerechtfertigt. Es gibt keinen Anlass für Panik – aber auch keinen Grund zur Verharmlosung. Seit 1990 hat es auch in Deutschland 137 Opfer rechter Gewalt gegeben; darunter sind Brandanschläge auf das Lübecker Asylbewerberheim und das von Ausländern bewohnte Wohnhaus in Solingen. Und auf Bombenbauanleitungen aus dem Internet haben nicht nur Islamisten einen exklusiven Zugriff.
Die wachsende Ablehnung von Ausländern und der zunehmende Europa-Skeptizismus, der in allen nordeuropäischen Ländern um sich greift, sind eine gefährliche Mischung. Alle europäischen Länder sind herausgefordert, die Freiheitsrechte der Gesellschaft gegen die Schlagworte der neuen Ideologen zu verteidigen. Dass Deutschland immun gegen einen Rechtspopulismus ist, sollte keiner glauben. Es fehlt bisher allein an Personen, die dieser Stimmung ein Gesicht geben.
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