zum Hauptinhalt
Für eine Familienfeier besucht Billi (Awkwafina, 2. von links) ihre Großmutter "Nai Nai" (Shuzhen Zhao, m.) in der Heimat.
© DCM/A24

Culture-Clash-Komödie im Kino: Zwischen Tigereltern und dem Leben in Amerika

Mit der Tragikomödie „The Farewell“ bringt die asiatisch-amerikanische Regisseurin Lulu Wang mehr Diversität ins US-Kino. Es könnte der Beginn einer Welle sein.

Seit der Kampagne #OscarsSoWhite setzt sich die US-Filmindustrie stärker mit Fragen der Repräsentation auseinander. Besonders afroamerikanischen Filmschaffenden hat die Debatte Aufmerksamkeit verschafft, für Gruppen mit anderer ethnischer Zugehörigkeit hat sich bislang jedoch nur wenig verbessert. Vergangenes Jahr musste der Schauspieler Hank Azaria viel Kritik für seine stereotypische Synchronisation der indischen Figur Apu bei den „Simpsons“ einstecken.

Mit der Familienkomödie „Crazy Rich Asians“ verschafften sich im vergangenen Jahr asiatisch-amerikanische Kreative erstmals größere Sichtbarkeit in Hollywood, der Film war bei Publikum und Filmkritik gleichermaßen ein Erfolg. Endlich ein Film, in dem asiatische Amerikaner die Hauptrollen spielen und es auch um ihre interkulturellen Geschichten und Erfahrungen geht. Der Film ist mittlerweile eine der erfolgreichsten Romantic Comedys überhaupt.

Lulu Wangs „The Farewell“, halb Familiendrama, halb Komödie, wird in den USA auch vor diesem Hintergrund wahrgenommen und findet dort, für eine Indie-Produktion, überraschend große Resonanz. Der Film beruht auf Erlebnissen der Familie der Regisseurin, „based on an actual lie“, verrät die Titelsequenz.

Die Filmemacherin hat die Geschichte 2016 schon in einem Feature für die Radioshow „This American Life“ erzählt: Als bei ihrer chinesischen Großmutter Lungenkrebs im Endstadium diagnostiziert wird, entscheidet die Verwandtschaft, wie in China üblich, der Sterbenden nichts davon zu sagen.

Chinesische Werte sind der New Yorkerin Billi fremd

„Ich war absolut dagegen“, erzählte Wang in dem Feature. „Ich wollte mit ihr sprechen, sie trösten, mit ihr trauern.“ Der Onkel erklärt ihr, das sei eine westliche Vorstellung vom Umgang mit dem Tod. In China regele solche Dinge die Gemeinschaft. Und die Gemeinschaft entschied, dass die vorgezogene Hochzeit von Wangs Cousin ein guter Anlass sei, um „Nai Nai“, so der Kosename der Großmutter, bei einem Familientreffen heile Welt vorzuspielen.

Die Filmversion fiktionalisiert die Hauptfigur der Geschichte: Aus Lulu wird Billi, gespielt von der wunderbar schnoddrigen Rapperin und Komikerin Awkwafina, die schon in „Crazy Rich Asians“ eine Nebenrolle hatte. Billi ist eine New Yorkerin mit künstlerischen Ambitionen, die Art von Großstädterin, die mit Headset telefonierend durch Brooklyn läuft und nebenbei noch charmant die Fundraiser auf der Straße abwimmelt.

Nur eine Handvoll Szenen und kaum Dialoge braucht der Film, um eine spezifisch asiatisch-amerikanische Identität zu zeichnen: Bestens ausgebildet und voll integriert in der multiethnischen Gesellschaft, sind Billis Bezüge zu ihrem Geburtsland nur noch durch die familiäre Bindung vorhanden. Die chinesischen Werte sind ihr fremd, ihre Sprachkenntnisse mittelmäßig.

Später auf der Hochzeit wird ihr der Vater soufflieren müssen, was „Herzlichen Glückwunsch“ heißt. Strenge, fordernde Eltern – in den USA „Tigereltern“ genannt – sind eine weitere Konstante nahezu jeder asiatisch-amerikanischen Erzählung. Eine ähnliche autobiografische Rolle wird die Hauptdarstellerin demnächst auch in ihrer eigenen Comedy-Serie „Awkwafina is Nora from Queens“ übernehmen.

Die politischen Verhältnisse in China bleiben eine Leerstelle

Im Kern ist „The Farewell“ ein Culture-Clash-Film. Wenn sich die Handlung nach China verlagert und Billi in ihrer Geburtsstadt Changchun ankommt, überkommt sie ein Gefühl der Entwurzelung. Von massiven Hochhausreihen, die wie Bauklötze in der Landschaft stehen, oder diensteifrig heulenden Trauergästen, die bei einer Beerdigung zum Weinen eingekauft werden, schneidet Wang stets auf die Deadpan-Mimik ihrer Hauptdarstellerin. Visuell bleibt der Film dennoch weitgehend beliebig, unmotiviert wirkt ihre Regie, ohne dass je ein Stil daraus würde.

Die komödiantische Chemie zwischen Awkwafina und Zhao Shuzhen, der Darstellerin von Nai Nai, trägt einige schöne Sequenzen, aber nicht die Dauer des Films. Ein Hörspiel von 27 Minuten hat Wang auf einen abendfüllenden Spielfilm gestreckt, ohne wesentliche Aspekte zu vertiefen.

Als hätte sie den Kinostart in China nicht aufs Spiel setzen wollen, fehlt vor allem jegliche Andeutung auf politische Verhältnisse. Eine klaffende Leerstelle in einem Film, dem es doch eigentlich um die Politik der Repräsentation geht.

Awkwafinas Golden-Globe-Nominierung, das zweite Jahr in Folge für eine asiatisch-amerikanische Darstellerin (nach Constance Wu mit „Crazy Rich Asians“), legt aber auch erneut ein Augenmerk auf die geringe Diversität in der Branche. Wus Nominierung war die erste seit 45 Jahren für eine asiatische Amerikanerin. Eine peinliche Bilanz bei einer Community, die 22 Millionen Angehörige hat und in allen Bereichen der Gesellschaft vertreten ist.
In 13 Berliner Kinos (auch OmU)

Jan-Philipp Kohlmann

Zur Startseite