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Im Wald der Deserteure. Eine selbsternannte Chefin (Léa Seydoux) führt die Flüchtlinge an. Und das Schwein im Vordergrund? Ein verwandelter Mensch.
© Yorck Kinos

Böser Science-Fiction-Film "The Lobster": Zweisamkeit als Staatsdoktrin

Zukunft, eiskalt: Im Film „The Lobster“ von Yorgos Lanthimos müssen Singles schnellstens neue Partner finden. Sonst werden sie in Tiere verwandelt.

Ganz schön böse, ausgerechnet ein Wellnesshotel zum Krisenschauplatz zu machen. Gleich zwei aktuellere Filme spitzen die Lage Europas auf diese Weise zu, Paolo Sorrentinos Satire „Ewige Jugend“ und Yorgos Lanthimos’ Dystopie „The Lobster“. Bei Sorrentino ist es ein Resort in den Schweizer Alpen, in dem sich der überalterte Kontinent an Endzeitfantasien labt. In Lanthimos’ streng-bizarrem Szenario ist es eine noble Absteige an einem irischen See, die sich als Luxus-Straflager für Singles entpuppt.

Zusammenleben? Wir schaffen das. Die Zweisamkeit ist Staatsdoktrin, Alleinstehende, die binnen 45 Tagen keinen Partner finden, werden in ein Tier ihrer Wahl verwandelt. David (Colin Farrell) muss beim Einchecken seinen Beziehungsstatus angeben (frisch getrennt), seine sexuelle Orientierung (Bi ist keine Option) und die Identität seines Hundes. Er war mein Bruder, sagt David, er hat es nicht geschafft. Die meisten wählen Hund oder Katze, andere Arten sind deshalb vom Aussterben bedroht.

Ein Hummer wäre okay, der wird 100

David hat sich für einen Hummer entschieden, daher der Filmtitel. Weil er das Meer mag, weil ein Hummer hundert Jahre alt wird und bis zuletzt sexuell aktiv bleibt. Beim Tanztee, im Whirlpool, beim geselligen Abend mit abstrusen Sketchen können die Hotelgäste auf Partnersuche gehen. Es gilt, eine Gemeinsamkeit herauszufinden, Nasenbluten, Hartherzigkeit, Vorliebe für Butterkekse, etwas in der Art.

Im Erfolgsfall winkt der Wechsel ins Doppelzimmer, in der nächsten Stufe werden Kinder beigesellt, damit die Paare sich weniger streiten. Wer trotz Verbot masturbiert, dem wird die Hand in den Toaster gesteckt. Und wer bei der obligatorischen Jagd im Wald flüchtige „Einzelgänger“ mit dem Betäubungsgewehr erlegt, wird mit Fristverlängerung belohnt.

Yorgos Lanthimos stammt aus dem Krisenland Griechenland, das seit einiger Zeit mit lakonischen Autorenfilmen und Psychosozialstudien für Aufsehen sorgt. Entfremdung, Terror der Intimität, Käuflichkeit der Gefühle: Die Griechen erfinden derzeit die kältesten Kinogeschichten. Und die verblüffendsten. In „Dogtooth“ (2009) hatte Lanthimos die Horror-Aspekte der Familie erkundet, in „Alpis“ (2011) die Unfähigkeit zu trauern. Und jetzt die Liebe. Oder besser: das Glücksversprechen und seine Perversion in einer verdinglichten Welt. Lanthimos lebt inzwischen in England, „The Lobster“ ist seine erste internationale Produktion.

In der Stadt, neben dem Hotel und dem Wald der dritte Schauplatz dieses durchweg naturalistischen Science-FictionFilms, patrouillieren Beamte, die jeden Bürger ohne Ehezertifikat vom Fleck weg verhaften. Und so mancher der außer David namenlosen Gäste (darunter Ben Wishaw, John C. Reilly) fingiert eine potenzielle Gemeinsamkeit: Liebe als Checkliste, Rollenspiel, Fake. Hauptsache, man fliegt nicht auf.

Bei den Deserteuren geht es genauso rigide zu

Düster? Makaber? Es macht einen Heidenspaß, der Beziehungsanbahnung zuzuschauen, den steifen Begegnungen, der mechanisierten Kommunikation, den kleinen Racheakten. Folgt die perfide Volte, dass David nach seiner Flucht in den Wald erfahren muss: Bei den Deserteuren geht es genauso rigide zu. Nur stehen hier auf Küssen und Sex drastische Strafen. Dabei findet David ausgerechnet hier seine Partnerin, kurzsichtig wie er (Rachel Weisz). Aber trotz des berührend klandestinen Verständigungscodes mittels Gesten und Mimik kommt die Einzelgänger-Chefin (Léa Seydoux) dahinter. Der Preis ist das Augenlicht – Buñuels berühmter Rasierschnitt im „Andalusischen Hund“ lässt grüßen. So schreibt Lanthimos seinen Film nebenbei in die europäische Filmgeschichte ein.

Wie „Ewige Jugend“ lief „The Lobster“ letztes Jahr in Cannes, Sorrentino gewann den Europäischen Filmpreis, Lanthimos mit seinem Ko-Autor Efthimis Filippou den Drehbuchpreis. In Frankreich und Großbritannien hat sich „The Lobster“ zum Arthouse-Erfolg gemausert, nun ist ihm auch noch ein kleiner deutscher Filmstart vergönnt, parallel zum DVD-Start. Ein Glück, denn Kühnheit und Komik des Films suchen ihresgleichen.

Allein der Blick auf die Tiere am Straßenrand oder im Wald. Der Esel, der Pfau, das Schwein, ein Pony, ein Flamingo, die Hasen, von denen die Deserteure sich ernähren – nichts Menschliches ist ihnen fremd.

OmU im FT Friedrichshain, Kant, International und Neuen Off

Christiane Peitz

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