Der Europäische Theaterpreis in St. Petersburg: Zur Propagandaschau verkommen
Früher war der Europäische Theaterpreis eine feine Schau. Jetzt geht es um harte Politik
Mit Robert Wilson, Pina Bausch, Heiner Müller in Taormina, mit Patrice Chéreau in Thessaloniki – stets war der Europäische Theaterpreis eine exquisite Veranstaltung, mit einem Hang zum Luxus. Geehrte und Gäste trafen sich an schönen Orten, tranken und diskutierten tagelang, es gab spezielle Aufführungen, alles war angenehm und entschleunigt, wenn sich Europas Bühnenadel traf. Das Preisgeld – 60000 Euro – kam damals von der EU, und Gerüchte, dass in Sizilien die Mittel auch aus dunkleren Quellen flossen, nahm keiner richtig ernst. Das Theater war sich seiner selbst noch sicher.
Jetzt spiegelt dieser Preis die veränderten Zeiten aufs Deutlichste. In St. Petersburg wurde mit Valeri Fokin ein Regisseur ausgezeichnet, der mit Russlands Autokrat Wladimir Putin kein Problem hat. Sonst hätte er den Preis aus der Hand des russischen Kulturministers Wladimir Medinski nicht entgegennehmen können. Fokin arbeitet in St. Petersburg, es war ein Heimspiel. Die russische Theaterkritikerin Marina Davidova erklärt die Zusammenhänge in einem Beitrag für „Deutschlandfunk Kultur“ so: „Finanziell hängt der Europäische Theaterpreis von jener Stadt ab, die bereit ist, ihn auszurichten. Und Russland ist wirklich sehr dafür geeignet, weil: Es gibt Geld. Und wir haben einen sehr speziellen Minderwertigkeitskomplex, der uns anfällig macht für solche Großereignisse.“ Also: Wer heute die Preisverleihung ausrichtet, bestimmt auch den Preisträger. Der Europäische Theaterpreis ist zu einer Propaganda-Schau verkommen.
Was ist mit Kirill Serebrennikow?
Allerdings gibt es auch noch, als Feigenblatt, den Innovationspreis für in der Regel jüngeren Künstler. Eine dieser Auszeichnungen, vergeben von einer unabhängigen Jury um Joachim Lux, dem Intendaten des Thalia Theaters Hamburg, ging dieses Jahr an den Regisseur Jan Klata. Er wurde in Krakau von der rechtsgerichteten polnischen Regierung als Intendant abgesetzt. Mit dem Innovationspreis sollte auch der in Belgien tätige Schweizer Regisseur Milo Rau geehrt werden. Rau hatte aber, wohl wegen seines Projekts „Die Moskauer Prozesse“, keine Einreisemöglichkeit bekommen.
In seiner Grußbotschaft sagte er: „Dass ich heute nicht bei Ihnen bin, ist völlig irrelevant. Es ist nicht mehr als eine dumme Formalität. So dumm, dass ich mir nicht einmal sicher bin, ob dahinter wirklich eine klare politische Absicht steht - so wie man das bei den russischen Behörden ja nie so genau weiss. Doch diese Erwägungen sind eben völlig irrelevant angesichts der Tatsache, dass der Regisseur Kirill Serebrennikow, der den gleichen Preis vor einem Jahr erhalten hat, momentan aufgrund grotesker Anklagen vor Gericht steht. Wie Sie wissen, konnte er den Preis 2017 nicht entgegen nehmen, weil er bereits damals in Hausarrest saß. Und da ist er immer noch, und wer weiß, wie lange noch.“
Rau beklagt eine absurde Situation: „Der Europäische Theaterpreis kommt nach Russland, und wir verlieren über Kirill Serebrennikov, der im gleichen Russland von 10 Jahren Gefängnis bedroht ist, offiziell kein Wort. Wie können wir uns selbst und den europäischen Austausch feiern, gleichzeitig aber darüber schweigen, dass einer der letztjährigen Preisträger einem Schauprozess ausgeliefert ist?“
Der Europäische Theaterpreis wird seit 1987 verliehen. Heute muss sich nicht nur Milo Rau fragen, warum die Theaterleute insgesamt „ nicht einmal zu dieser einfachsten Form von Solidarität“ für Kirill Serebrennikow bereit sind. Es hätte bedeutet: Nicht nach St. Petersburg reisen, die Sache absagen. Der Preis ist es nicht mehr wert.
Rüdiger Schaper
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