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Bernard Haitink
© CSO

Bernard Haitink und die Berliner Philharmoniker: Zukunftstöne am Abend

Adrenalin im Blut: Der sonst so unerschüttliche Bernard Haitink dirigiert Mahlers "Lied von der Erde" bei den Berliner Philharmonikern.

Ein aufregender Tag in der Philharmonie. Am Nachmittag unterzeichnet mit Kirill Petrenko und Andrea Zietzschmann das neue Führungsduo die Verträge, Rattles Nachfolger tritt ab 2019 stückchenweise sein Amt an, die neue Intendantin voll und ganz zur kommenden Saison. Kultursenator Michael Müller attestiert sich während der zackigen Zeremonie, die Vertragsfindung schlau eingefädelt zu haben, und die Journalisten müssen schlucken, dass Petrenko dabei bleibt: keine Interviews. Weit weg dirigiert unterdessen der amtierende Philharmoniker-Chef nach dem Studium von Gustav Mahlers Dirigierpartitur „Tristan und Isolde“ an der New Yorker Met. Akribisch hat Mahler darin festgehalten, wie die Dynamik abgestuft werden muss, um Sänger auch wirklich hören zu können und damit ein echtes Musikdrama erst möglich zu machen.

Für sein „Lied von der Erde“ gibt es solche Aufzeichnungen leider nicht, denn Mahler starb, bevor seine Vokalsymphonie uraufgeführt werden konnte. Ein großer Verlust, weil der Dirigent Mahler stets die Werke des Komponisten Mahler weiterzuentwickeln und zu noch größerer Klarheit führen vermochte. Vor allem, was die Gesangssolisten angeht, hätte er wohl eingegriffen. Zwei Besetzungen zog Mahler in Betracht, mit Tenor und Alt oder mit Tenor und Bariton. Bernard Haitink, der am Abend dieses Tages der Zukunftstöne ans Pult tritt, hat sich für zwei Männerstimmen entschieden: Bariton Christian Gerhaher und Tenor Christian Elsner. Seit mehr als 50 Jahren musiziert der Dirigent mit den Berliner Philharmonikern, oft die Werke Mahlers, für die sich Haitink seit den 60er Jahren einsetzt. Sein Interpretationsstil, der Exaltation meidet, hat dem Komponisten viele Anhänger beschert.

Kraft ohne Anstrengung

Mit 87 Jahren steht Haitink unerschütterlich am Pult, und bei Mahler spürt man, wie ihn, der sonst so gemessen agiert, eine Extraportion Adrenalin durchflutet. Das Orchester verströmt sich für den verehrten Dirigenten, dem es nie in den Sinn kommen würde, die breite Palette der Orchesterfarben zu limitieren. Viel Schönes ist zu hören, viel Kraftentfaltung ohne erkennbare Anstrengung. Doch an den Solisten zeigt sich, dass dieser Ansatz endlich ist. Während Elsner mehr Leichtigkeit vertragen hätte, feiner ausgeleuchtete Höhe, sind die breiten Tempi für Gerhaher diesmal eine Hürde. Nach seinem fulminanten Schumann-Liederabend wirkt der Bariton so, als wäre er dankbar, wenn ihm jemand ein Mikrofon reichen könnte.

Befreit von den Grenzen der menschlichen Stimme dagegen rollt zu Beginn des Konzerts Schuberts „Unvollendete“ durch den Saal. Kraftvoll der Untergrund, aus dem sich die endlose Melodie schält, frei von Verzweiflungsdramaturgie ihr Wachsen. Man muss sich Haitink als glücklichen Menschen vorstellen.

Noch einmal am heutigen Samstag, 8. Oktober, 19 Uhr

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