Cameron Carpenter: Zu Besuch bei Ihrer Majestät
Bei den "Casual Concerts" des Deutschen Symphonie-Orchester in der Philharmonie spielte Cameron Carpenter ein Orgelkonzert des Minimal-Music-Pioniers Terry Riley : romantisch-überschwänglich, opulent, eklektizistisch.
Dieser Mann hat eine Mission: Cameron Carpenter will der Orgel alles Barocke und Kirchliche, allen Stummfilmkino- und Jahrmarktgeruch austreiben und sie wieder als zeitgemäßes, ernst zu nehmendes Instrument auf die Konzertagenda setzen. Der amerikanische Minimal-Music-Pionier Terry Riley hat ihm im Auftrag des Deutschen Symphonie-Orchesters (DSO) nun ein Orgelkonzert geschrieben – ein Genre, das es seit gefühlten 400 Jahren nicht mehr gibt. „At the Royal Majestic“ heißt das Opus, zu Deutsch „Zu Besuch bei der Königlichen Majestät“, womit natürlich nichts anderes als dieses gewaltige, alle Klangmaßstäbe sprengende Instrument gemeint ist, in dem sich jahrhundertelang vor allem Gottes Stimme verkünden sollte. Ein schöner Kontrast, dass das Stück jetzt zur deutschen Erstaufführung ausgerechnet im Rahmen der „Casual Concerts“ des DSO in der Philharmonie erklang.
Denn hier geht’s gerade nicht um letzte Dinge. Sondern darum, sich locker zu machen. Der Abend beginnt erst um halb neun, die Musiker sitzen in Freizeitkleidung auf dem Podium, nach einer kurzen Stunde ist alles vorbei, im Anschluss spielt noch die Kölner Band Xul Zolar im Foyer (das gerne viel häufiger als Partyort genutzt werden sollte!).
Cameron Carpenter präsentiert sich in glitzerstrassbesetzten Schnürschuhen, aber streng schwarzer Oberbekleidung. Zuerst spricht er über die Komposition, mit dem Dirigenten Giancarlo Guerrero und natürlich mit Terry Riley selbst, der mit weißem Hippierauschebart die coolste Socke von allen und nicht zufällig auch Meister für indischen Raga-Gesang ist. Warum er so viele Flöten und Fagotte eingesetzt habe, will Guerrero wissen. „Warum nicht?“, lautet die Antwort. Der dann doch die Erklärung folgt, dass er damit der Klangmacht der Orgel etwas entgegensetzen wollte.
Am Ende bleibt nichts als reine Lautstärke
Minimalistisch ist Terry Rileys Stück gar nicht. Vielmehr romantisch-überschwänglich, opulent, eklektizistisch. Drei Sätze, ohne klassische Themenverarbeitung, aber vor allem in den Rahmensätzen mit stark motorischem, vorwärtstreibendem Charakter. Mit Jazzanleihen – „Jazz ist die einzige genuin in Amerika entstandene Volksmusik“, sagt der Komponist –, mit Walzer- und Choralzitaten und ja, auch Minimal Music. Kunstvoll ist die Orgel mit dem Tutti verwoben, in das sie sich immer wieder zurückfallen lässt. Meist aber übertönt sie alles.
Es hilft nichts: Carpenter bedient zwar virtuos die Register seiner neuen „International Touring Organ“, Giancarlo Guerrero setzt hochengagiert die Akzente, im Ergebnis aber schaukeln sich Solist und Orchester dynamisch immer weiter nach oben, so dass oft nichts übrig bleibt als reine Lautstärke.
Schweigt die Orgel mal für einen Moment, öffnen sich prompt Fenster: in Stille, in Zärtlichkeit. Ansonsten transportiert ihr Klang auch bei Cameron Carpenter das, was man kennt: Autorität, Schicksal, eben letzte Dinge. Exzellente Technik, Leidenschaft und einen Sixpack mag er haben. Zu wenig, um auch die Orgel sexy zu machen.
Udo Badelt