Theater Strahl in Oberschöneweide: Zombies in der Industrieruine
Eigentlich möchte das Jugendtheater Strahl die "Halle Ostkreuz" beziehen. Jetzt gastiert es aber erstmal in Oberschöneweide – mit einer Produktion über das Ende der Arbeit und aller Illusionen: „The Working Dead“.
„Ich war einmal ein Arbeiter“, raunt der Mann mit dem bleichen Gesicht. Und setzt zu einem ziemlich ausführlichen Vortrag an, wie man zwei Starkstromkabel verbindet. Der Punkt ist nur: Was früher mal wertvolles Fachwissen war, ist heute eine Geschichte aus der Gruft. Der Mann gehört zu einem Chor der Untoten, der sich schweren Schrittes durch die Industrieruinen schleppt. Gefangen im Zombie-Zustand, wie die ganze Gegend hier, in Oberschöneweide. Dämmer unter Denkmalschutz. Kein Wunder, dass der junge Finn (Franz Lenski) vom Traumberuf „Sprengberechtigter“ fantasiert und das ganze Areal am liebsten in die Luft jagen würde: „Wüste, Niemandsland, Ground Zero!“ Endlich wieder freier Blick auf die Spree.
„The Working Dead“ heißt das Stück, das Autor Jörg Menke-Peitzmeyer und Regisseur Jörg Steinberg für das Theater Strahl entwickelt haben. Die Premiere ist Teil eines städteübergreifenden Projekts mit dem Titel „Industriekinder“, das in ehemaligen Hochburgen der Produktion die Kluft zwischen Vergangenheit und Gegenwart durchmisst. Dortmund-Hörde zählt dazu, Halle-Neustadt. Und eben Oberschöneweide, vormals das „Elektropolis“ des Ostens. Wiege für den Weltaufstieg der AEG. Zu DDR-Zeiten mit den Kombinaten Kabelwerk Oberspree (KWO), Transformatorenwerk Oberspree (TRO und Werk für Fernsehelektronik (WF) bedeutendster Industriestandort des Landes.
Es war einmal. Nach der Wende ging es rasant bergab, Werksschließungen, Massenentlassungen, leere Hallen, Taschen und Gesichter. Heute gibt es den Campus Oberschöneweide der Hochschule für Technik und Wirtschaft. Und es sind Künstler gekommen, beargwöhnte Hoffnungsträger der Entwicklung. Trotzdem: den Spottnamen Oberschweineöde ist der Ort längst nicht losgeworden. Monatelang hat Autor Menke-Peitzmeyer sich umgeschaut und mit Menschen verschiedener Generationen gesprochen. Entstanden ist ein klug verdichtetes Recherchestück, uraufgeführt in der KAOS Industriehalle an der Wilhelminenhofstraße, zwischen Autowerkstätten und Galerien. Das Theater Strahl hat sich den Standort ausschließlich für diese Produktion erschlossen. Die Jugendtheatermacher aus Schöneberg wollen als Hauptspielstätte ja nach wie vor die Halle Ostkreuz übernehmen, wofür die erforderlichen Umbau-Millionen aber noch nicht bewilligt sind.
„The Working Dead“ – das im Titel auf die Zombie-Serie „The Walking Dead“ anspielt – sattelt nicht einfach auf einen Umbruch-Kiez mit seinen Verwerfungen und Wunden auf. Man merkt die genaue Auseinandersetzung. Die Ambition, unter Elektroschrott verschüttete Identitäten wieder freizulegen. In einem Bühnenbild aus Europaletten (Fred Pommerehn) führt Regisseur Steinberg – selbst ausgebildeter Facharbeiter für Nachrichtentechnik – drei Generationen zusammen. Thamara mit H (Alice Bauer), die von einer Karriere als Tänzerin träumt. Jenny (Banafshe Hourmazdi), die einfach nur Friseurin werden will. Die verhärtete Sybille (Beate Fischer), deren Ostalgie sich pragmatisch äußert: „Kerle und Arbeit – beides gab’s im Osten genug“. Den alten Karl (Chris Lopatta), der mit zu viel Zeit im Heim sitzt und den Roman „Zurückkehren“ von Tahar Ben Jelloun für sich entdeckt, die Geschichte eines marokkanischen Renault-Arbeiters. Und dessen Sohn Ralle (Randolph Herbst), den sie den „ewigen Oberschöneweider“ nennen, was freilich keine Auszeichnung ist. Die Realität liefert hier genug Material für die Bühne. Dass etwa der kanadische Rockstar Bryan Adams eine Halle in Oberschöneweide gekauft hat und zumindest eine Zeit lang wie der Messias in der Wüste erwartet wurde, beruht auf Tatsachen. Im Stück ist ein Friseursalon nach einem seiner Songs benannt: „Cuts like a knife“. Davon kann auch der Chor der Untoten ein Lied singen.
Wieder am 21., 22. und 27. bis 29. Mai, weitere Vorstellungen Ende Juni und im Juli
Patrick Wildermann
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