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Wer unterstützt die Guerilla, wer das Apartheidsregime? Blick auf eine Wandtafel von Laura Horelli.
© Nihad Nino Pusija

Laura Horelli im U-Bahnhof Schillingstraße: Zeit, die nicht vergehen will

Kraftvoll: Mit der Ausstellung „Namibia Today“ im U-Bahnhof Schillingstraße untersucht die Künstlerin Laura Horelli die deutsch-namibischen Beziehungen.

Ihre Kunst hat etwas Detektivisches. Ein Foto oder eine Notiz reichen aus, um die 1976 geborene Finnin Laura Horelli auf eine Fährte zu locken. Sie spricht mit Zeitzeugen, formt aus Bildern und Schriften Collagen mit dokumentarischem Charakter: über die früh verstorbene Mutter oder die Kindheit in Kenia. Dabei geht es immer auch um das Erinnern an sich, um den assoziativen Blick in die Vergangenheit. Horelli zeigt ihre Abgründe.

So auch mit ihrer Schau „Namibia Today“, welche die Hannah-Höch-Preisträgerin für das Projekt „Mitten in der Pampa“ der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst schuf. Entlang der U-Bahn-Linie 5 wird hier anhand einer Reihe von Ausstellungen das Verhältnis von Peripherie und Zentrum untersucht. Jeder U-Bahnhof wird von einem anderen Künstler bespielt. Horellis Schau ist in der Station Schillingstraße zu sehen. Die Künstlerin wirft ein Schlaglicht auf die fast vergessenen Beziehungen zwischen der ehemaligen DDR und der SWAPO, der Unabhängigkeitsbewegung Namibias, die heute die Regierung bildet.

Großformatige Bilder von Revolution, Kampf, Solidarität hat die ehemalige Meisterschülerin von Thomas Bayrle dort an die Wände gehängt. Sie entstammen einer Propagandazeitschrift der SWAPO, die seit den 60er Jahren einen Guerillakrieg gegen die südafrikanische Besatzung führte. Die Ausgaben entstehen im Exil in Angola, werden später in Erfurt gedruckt und dann in der namibischen Diaspora verteilt. Sie zeigen Freiheitskämpfer, die auf verstaubten Landstraßen marschieren, namibische Frauen, die in Ost-Berlin zu Erzieherinnen ausgebildet werden, Flüchtlingskinder in Heimen und beim Unterricht.

Wie präsent ist Namibia heute in Deutschland?

An der Namibia-Frage entzündet sich nochmals der Ost-West-Konflikt: Die Bundesrepublik toleriert lange das Apartheidregime, hält wirtschaftliche Beziehungen aufrecht, während die ehemalige DDR früh die nationale Befreiungsbewegung unterstützt. Sie schickt Waffen, Lehrmaterial, medizinische Hilfe, setzt auf Anti-Rassismus und -Kolonialismus. Horelli ergänzt dieses Stück Geschichte mit eigenen Funden.

Doch bei ihren Reisen durch deutsche Archive hat sie mehr Fragen angehäuft als Antworten gefunden: Welche Bedeutung hatte die Zeitschrift tatsächlich im Befreiungskampf? Wie funktionierte die Zusammenarbeit zwischen der DDR und der Exil-Redaktion? Und: Wie präsent ist die ostdeutsche Unterstützung heute noch in Namibia? Horelli geht diesen Fragen auch vor Ort in Afrika nach.

Man könnte umgekehrt fragen: Wie präsent ist Namibia heute in Deutschland? Die Kolonialzeit des Deutschen Reiches erfährt erst seit Kurzem wieder größere Beachtung. Für den Genozid an den Herero und Nama, den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts, hat sich Deutschland immer noch nicht offiziell entschuldigt. Adäquate Denkmäler fehlen, während viele Straßen weiterhin koloniale Verbrecher ehren.

Erinnerung an längst vergessene Solidarität

Die Gespräche zwischen der Bundesregierung und der namibischen Regierung stocken, weil Vertreter der Opfergruppen sich nicht vertreten fühlen. Sie haben vor einem US-Gericht geklagt, fordern zudem Reparationszahlungen, die Berlin kategorisch ablehnt. Die Namibia-Frage scheint aktueller denn je.

Das verleiht Horellis Schau Symbolkraft: Nicht nur, weil sie an eine längst vergessene Solidarität erinnert, die durchaus als positiver Referenzpunkt deutsch-namibischer Beziehungen angesehen werden könnte, sondern auch, weil sie Lücken in der Erinnerungslandschaft aufzeigt.

U-Bahnhof Schillingstraße, bis Oktober 2017

Giacomo Maihofer

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