Damals: Die Post ist da
Mit analogen Grüßen: Die Galerie Barbara Weiss erinnert an die gute alte Mail-Art mit der guten alten Post.
Heute schon gemailt? Was für eine Frage! SMS, E-Mail, Chatten, Twittern, Facebook sind längst die wichtigsten schriftlichen Kommunikationsformen. Klassische Briefe, womöglich handgeschrieben an die Lieben, werden kaum noch verfasst. Gerade wenn das alte Jahr zu Ende geht und das neue beginnt, beschleicht so manchen die Sehnsucht nach vergangenen Zeiten, zumindest nach Entschleunigung. Vielleicht hat dieses heimliche und doch kollektive Gefühl Barbara Weiss zu ihrer Ausstellung „Sent by Mail“ bewogen. Ihre Künstler haben jedenfalls begeistert auf die Einladung reagiert, sich im digitalen Zeitalter mal wieder analog zu artikulieren oder zumindest eine solche Sendung abzuliefern.
Die Malerin Nicole Eisenman schickte aus New York eine grundierte Leinwand, auf die sie mit Pinsel die Galerieadresse schrieb. Mit diversen Briefmarken, Aufklebern, Stempeln fand das Bild tatsächlich seinen Weg in die Berliner Zimmerstraße, wo es nun neben einem verschlossenen Umschlag von Jonathan Horowitz hängt, der die Aufschrift trägt: „Nicht vor dem Jahr 2090 öffnen“. Ob es dann die Post und ihre braven Briefträger überhaupt noch gibt?
Unter den 31 Ausstellungsteilnehmern gehören die beiden Künstler zu den wenigen, die sich dezidiert des Themas Mail-Art annehmen. Die meisten von ihnen haben einfach ein Werk geschickt, das sich ohne größere Probleme in einen Umschlag stecken ließ, und es dann nur noch aufgegeben: Raoul de Keyser schickte aus Belgien einen querrechteckigen abstrakten Siebdruck noch von 1967, Barbara Steppe eine Tortenstatistik Berliner Kulturinstitutionen auf Stoff gedruckt, Gitte Villesen und Daimantas Narkevicius eine DVD, die nun abgespielt wird. Bei der Ausstellungsvorbereitung dürfte es ein bisschen wie Weihnachten gewesen sein – lauter Überraschungen.
Jeder Künstler gab von sich im Kleinen, was sein Werk ausmacht. Niele Toroni sandte einen Leporello mit jeweils fünf roten Pinseltupfen darauf, Andreas Siekmann ebenfalls eine ausziehbare Karte, die die Aktivitäten eines „Rapid Border Intervention Teams“ zeigt, schwarz-rot gedruckt in dem für ihn typischen Piktogramm-Stil. Die Hohenbüchler-Zwillinge ließen jeweils das Modell eines Pavillons expedieren, gefertigt aus Zahnstochern, Baumwollfäden, Papier. Was noch nicht ist, kann werden. Auch dieses Versprechen steckt in einem Brief: der Plan, eine größere Idee, die Möglichkeit, ein Konzept Wirklichkeit werden zu lassen. Spielerisch klingt das auch bei Roman Signer an. Der Experte für Explosives, der sich stets selbst bei Eigenversuchen filmt, hat in einen flachen Karton verwelktes Laub und eine Spielzeugkamera gesteckt. Titel: „Herbstfilm“.
Mancher Ausstellungsbesucher mag ein Comeback der Mail-Art der Sechziger erwartet haben, als sich Fluxus-Künstler gegenseitig auf Postkarten kleine Arbeiten zusandten, On Kawara „I’m still alive“ telegrafierte und Gilbert & George „Postal Sculptures“ fertigten. Noch wichtiger wurde die Mail-Art für den Underground in der DDR. Während es im Westen darum ging, die Marktmechanismen zu umgehen, die Gesetze der Wertsteigerung auszuhebeln, bot im Osten der Versand per Post eine alternative Form der Distribution, ja der Ausstellung. Auf dieser Ebene können sich die Mail-Artisten der DDR mit Netz-Künstlern von heute wieder verständigen. Subkultur ist beides, heute glücklicherweise nicht aus Gründen staatlicher Repression.
Mail-Art wird im Zeitalter digitaler Kommunikation vor allem als schöne Idee überleben. Maria Eichhorn ist als Fluxus-Enkelin dafür Spezialistin. So ließ sie für eine Amsterdamer Ausstellung Briefe und Pakete von verschiedenen Leuten an eine fiktive Person schicken und stellte diese anschließend aus. Diesmal forderte sie den Postservice auf, der Galerie diverse Briefmarken in einem Umschlag zu expedieren. Dieser liegt nun wie von ungefähr als Option auf der Fensterbank. Doch auch hier gilt das Gebot „Nicht öffnen“, sonst erlischt der Zauber.
Allein Laura Horelli und Javier Téllez leben das Briefeschreiben aus. Ganz offensichtlich haben sie es für sich neu entdeckt. Das Paar schickt einander via Galerie die schönsten „Loveletters“ in Form von Collagen, Kreuzworträtseln und Beschwörungen. Sie lebt in Berlin, er normalerweise in New York – Skypen ist da die heute gebotene Form der Kommunikation. Glücklicherweise hat Téllez jedoch ein DAAD-Stipendium nach Berlin versetzt. Ein Passbildfoto zeigt die beiden Künstler strahlend nebeneinander ins Kleinformat gequetscht. Endlich befinden sie sich in derselben Zeitzone statt vor getrennten Bildschirmen auf verschiedenen Kontinenten. Für die Ausstellung schrieb das Paar trotzdem seine „Loveletters“ weiter. Und zwischendurch sicher manche SMS.
Galerie Weiss, Zimmerstr. 88–89; bis 29. 1.; Di–Sa 11–18 Uhr.