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Der 24-jährige Londoner Kwabs hat eine Ausnahmestimme und mit „Walk“ bereits einen kleinen Hit.
© Warner

Popjahr 2015: Zarte Zauberer

Rock-Opas und neue Wunderstimmen: Ein kleiner Ausblick auf das Popjahr 2015, in dem Musiker wie Kwabs, James Bay und Sängerinnen wie Seinabo Sey auf ihren Durchbruch hoffen.

Pop hat Falten bekommen. Die ersten Star-Generationen sind im Rentenalter angekommen, denken aber noch lange nicht daran, sich in den Sessel zu setzen und nur noch Hausmusik zu machen. Genau wie bei vielen ihrer Altersgenossinnen und -genossen aus anderen Branchen geht der Trend zum Weitermachen. Schließlich sind Gesundheit und Lebenserwartung in den Industrienationen hoch wie nie. Außergewöhnlich ist bei den Sechzig-plus- Musikern allerdings ihre ungebrochene Dominanz in den Charts, Medien und auf großen Konzertbühnen – das gibt es in nicht in anderen Branchen, bei Zahnärztinnen, Surflehrern oder Schauspielerinnen.

So stehen derzeit etwa AC/DC mit „Rock or Bust“ an der Spitze der deutschen Charts, Pink Floyd und Udo Jürgens sind ebenfalls in den Top Ten. Schaut man auf die Tourpläne der nächsten Monate, könnte man meinen, dass eine ganz andere Jahreszahl auf dem Kalender steht: Udo Lindenberg, Kiss, AC/DC, Lionel Richie, Peter Maffay, Patti Smith, Scorpions – das sind nur einige Berliner Termine.

Der Jugendwahn, der dem Pop immer nachgesagt wird, kann so schlimm also nicht sein. Im Gegenteil: Pop ist gut zu seinen Altstars, deren stadionfüllende Egos nicht proportional zur Sehkraft schrumpfen. Wieso Pferde züchten, wenn man immer noch ein Millionenpublikum erreicht? Die Fans wiederum können den Sound, der ihre Jugend begleitet hat, in leicht variierter Weise weiterhören – eine wohlig-vertraute Klangkulisse.

Dieser Teil des Popgeschäftes wird weiter wachsen und noch zahllose Reunions und Reissues produzieren. Nicht zu erwarten sind aus dieser Ecke hingegen die Überraschungen und Wow-Momente, für die der Pop ja eigentlich steht. Eben das, was einst die Faszination der Rolling Stones, Aretha Franklins oder Led Zepplins ausmachte: eine ungekannte Energie, eine tolle neue Stimme oder eine irre Sexyness. Auch wenn es Beispiele für außergewöhnliche Alterswerke gibt (Johnny Cash, Neil Young & Crazy Horse), sind das eben Ausnahmen von der Regel, die besagt, dass späte Alben bestenfalls solide und okay werden, aber kaum einmal weltbewegend wie die frühen Werke.

Wenn nun Bob Dylan und Madonna in den kommenden Monaten neue Alben veröffentlichen, werden die Fans Grund zur Freude haben. Allerdings können sie weder auf einen Klassiker wie „Blonde On Blonde“ hoffen, noch auf einen Knaller wie „True Blue“. Im Fall von Madonnas „Rebel Heart“, dessen Demoversionen kürzlich illegal im Netz auftauchten, kann man das anhand der sechs in Eile bereits veröffentlichten Songs schon mit recht hoher Sicherheit sagen: Zusammen mit Produzent Diplo versucht die Queen of Pop einmal mehr, aktuellen Dance-Music-Trends hinterherzuhechten und klingt dabei leider ziemlich bemüht.

Mehr ist von Künstlern zu erwarten, die derzeit in ihrem Zenit stehen: James Blake, Kanye West, Drake und Kendrick Lamar haben für dieses Jahr neue Werke angekündigt. Rihanna war 2014 ungewöhnlich still und heckt sicher etwas aus. Auch Coldplay und PJ Harvey und José González sollte man nicht unterschätzen.

Doch das nächste große Ding vorherzusagen, ist schwer. Dass Pop-Phänomene scheinbar aus dem Nichts auftauchen, macht ihren Reiz aus: Lana Del Reys Aufstieg mit dem „Video Games“-Clip, Milky Chances Erfolg mit „Stolen Dance“ oder die weltweite „Happy“-Begeisterung des letzten Jahres. Plötzlich macht es plopp und ein Star erscheint am Nachthimmel. Diese Zauberkraft besitzt so nur der Pop.

Der Trend geht zum sensiblen Sänger, Gitarrenlärm ist out

Natürlich ist dabei nicht alles Glück und Zufall. Karrieren werden sorgfältig geplant. Die immer noch immens wichtigen Plattenfirmen stecken Millionen in ausgeklügelte Marketingstrategien. Viel hilft eben auch viel, wie man etwa an den maßgeblich von Universal Music befeuerten Werdegängen von Helene Fischer oder Unheilig sieht. Deshalb sind keine hellseherischen Gaben nötig, um zu prophezeihen, dass der 24-jährige Briten James Bay in diesem Jahr seinen Durchbruch erleben wird. Er ist eine der Newcomer-Hoffnungen des weltweit größten Labels und hat mit seinem Songwriter-Folkpop bereits den BRITs 2015 Critics’ Choice Award gewonnen. Nach einer schönen EP bringt er im März sein Debütalbum heraus.

Noch stärker deuten die Zeichen auf einen anderen, ebenfalls 24-jährigen Briten: Kwabena Adjepong, der sich als Sänger Kwabs nennt. Er besitzt eine dieser Ausnahmestimmen, die man nicht wieder vergisst. Mit der Single „Walk“ hat er bereits einen Hit (in Deutschland derzeit auf Platz 2 der Charts). Auch seine weiteren bereits veröffentlichten Tracks, die zwischen R’n’B und Pop changieren, sind vielversprechend. Der „Guardian“ nennt Kwabs den „neuen Seal“, wobei sein Sound auch einen deutlichen James-Blake-Touch aufweist.

Der britische Songwriter James Bay.
Der britische Songwriter James Bay.
© Universal

Überhaupt scheint der Typus des sensiblen Sängers/Performers weiter im Trend zu liegen. Auf der Longlist der renommierten BBC-Prognose für das neue Popjahr finden sich neben Bay und Kwabs mit dem Spoken-Word-Talent George The Poet und dem 18-jährigen Songwriter und Rapper Raury aus Atlanta noch zwei weitere Vertreter dieser Spezies. Gitarrenbands sind hingegen deutlich unterrepräsentiert auf der Liste der über 130 Scouts, die im letzten Jahr den Soul Crooner Sam Smith an die Spitze wählten. Sein Nachfolger steht am 10. Januar fest.

Kamen viele spannende Debüts 2014 von Frauen wie Banks, FKA Twigs, Angel Haze, Iggy Azalea oder Kate Tempest, zeichnet sich für dieses Jahr noch keine klare Favoritin ab. Die 18-jährige Britin Låpsley, die ruhigen Pop in der The-XX-Tradition macht, wird sowohl im MTV-Newcomercheck als auch von den BBC-Experten genannt. Großes Potenzial hat außerdem die schwedische Sängerin Seinabo Sey, deren Debütalbum im Laufe des Jahres erscheint. Mit ihrem souligen Electropop hat sie bei ihrem Berliner Konzertdebüt im Herbst schon mal für einen dieser Glitzermomente gesorgt.

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