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Xavier Naidoo, Jahrgang 1971, singt in der Arena am Ostbahnhof in Berlin.
© Davids/Sven Darmer

Konzert in Berlin: Xavier Naidoo gibt sich erleichternd eindimensional

Ein Jahr nach dem Skandal um seine ESC-Teilnahme macht der Soulstar auf seiner Tour Station in Berlin - und beschränkt sich hauptsächlich aufs Singen.

Da ist sie. Die Stimme Mannheims. Erst vorsichtig und dann volltönend schallt der Gospel durch die Halle: „Amazing Grace, How sweet the sound /That saved a wretch like me /I once was lost, but now I‘m found /I was blind but now I see.“ Und jetzt ist auch er zu sehen: Xavier Naidoo. Im Licht eines Scheinwerfers wandert er zur Bühne in der Mitte der Arena am Ostbahnhof. Jubel empfängt ihn. Einige stehen schon. Die Letzten werden die Ersten sein. Was für Christen gilt, gilt auch für Lieder. Auf Xavier Naidoos aktuellem Album „Nicht von dieser Welt 2“, das dieser Tour den Namen gibt, ist die Soloversion von „Amazing Grace“ der letzte Song.

„I was blind, but now I see.“ War da was Dunkles, was Übles? Nein, das muss dann doch wohl ein Spuk gewesen sein. Am Dienstagabend in Berlin gibt Xavier Naidoo sich erleichternd eindimensional. Nicht als schlimmer politischer Zündler, sondern als netter Missionar des Glaubens und der Liebe. Und er ist von der ersten Sekunde des Konzertes, was er immer war – der einzige Soulstar des deutschen Pop.

Vergessen scheint der genau ein Jahr zurückliegende Riesenwirbel, der anhob, als der NDR den Sänger ohne Vorentscheid als Vertreter Deutschlands zum Eurovision Song Contest nach Stockholm schicken wollte. Das wurde wegen Naidoos lange bekannter weltanschaulicher Wirrnis, die er im Jahr zuvor endgültig mit einer Ansprache bei einer Berliner Kundgebung der sogenannten Reichsbürger bewiesen hatte, zu recht heftig kritisiert. Der NDR knickte ein, Naidoo durfte nicht nach Stockholm, was wiederum massenhaft Künstlerkollegen und Fans auf den Plan rief, die dem 1971 in Mannheim geborenen Sänger Liebe, Respekt und moralische Integrität bekundeten. Danach war – abgesehen von einigen ungebrochen abstrusen Interviews und der Verleihung des Goldenen Aluhuts für Verschwörungstheoretiker an Naidoo – erstmal Ruhe. Das im April wie immer auf Platz eins der Charts eingestiegene Album, hat keinen Skandal, sondern Kasse gemacht. Und auf der vergangene Woche gestarteten Tour durch acht deutsche Städte öffnete er den Mund bislang meist zum Singen.

Der Look ist auf Understatement geeicht

Klar, sieht und glaubt der Pathetiker nach wie vor genau das, was er sehen und glauben will. „Die Halle ist ausverkauft“, jubelt Naidoo und dankt überschwänglich dem Publikum, dass „sogar so ein Sitzkonzert mitmacht“. Ausverkauft? Gerade gab es doch noch Karten und im Oberrang ist durchaus noch manches Plätzchen frei. Egal, die Konzerte in den anderen Städten sind tatsächlich ausverkauft, weitere Shows für 2017 angesetzt, da muss doch auch die in der „logischerweise friedlichsten Hauptstadt der Welt“ ausgebucht sein!

In seiner üblichen Bühnenuniform  – Jeans, Sakko, Kappe, Sonnenbrille – nimmt Naidoo auf der Drehbühne Platz. Nicht nur sein Look ist auf Understatement geeicht. Nur der Gitarrist Alex Auer und der Pianist Neil Palmer begleiten ihn bei diesem ins Nichts einer Mehrzweckarena gepflanzten Clubkonzert.

Auf „Frei“, eine elegische neue Nummer, folgt „Frei sein“ vom Album „Nicht von dieser Welt“, das 1998 den Naidoos Durchbruch markierte und anderthalb Millionen mal verkauft wurde.

Die neue Platte referenziert ältere Songs

Ganz bewusst ziehen er und sein alter Produzentenkumpel Moses Pelham mit der neuen die Verbindung zur legendären alten Platte, was – so direkt verglichen – zu Ungunsten des jüngsten Werks ausgeht.

Wie war das Staunen weiland groß! Über einen ebenso elegant phrasierenden wie schick gekleideten deutschen R’n’B-Sänger,  der Seele in jeder Fingerspitze hat und seine sperrig zu singende Muttersprache so ungemein geschmeidig in Klänge zu verwandeln versteht. Und dann die Texte! Diese bedeutungshuberische, romantische,  alttestamentarische Endzeit-Poesie. Voller Kraft, voller Kitsch. Kurz: So viel Hip-Hop-Style gab’s bis dato hierzulande nie im Sakralpop!

Damals wie heute war Texter Moses Pelham kein Ovid und so mancher lyrische Korken dabei. Doch das versendet sich, wenn einer so überragend wie Xavier Naidoo singt. Dieser Effekt stellt sich beim Anhören des die altbekannten Mittel nur variierenden Albums allerdings nicht ein. Da kann das Ding noch so satt produziert sein. Der Duktus, die Lyrics waren einst frischer. Eine Enttäuschung, die Xavier Naidoo in seinem alte Hits und neue Nummern mischenden Konzert allein durch seine raumfüllende Präsenz relativiert. Die speist sich aus seinem Gesang. In den Gänsehautmomenten scheint es völlig egal, was für Wörter Xavier Naidoo benutzt. Hauptsache, er singt.

Es geht gegen häusliche Gewalt und Tierversuche

Um jedem Missverständnis vorzubeugen, sagt er bei Liedern wie „Das lass‘ ich nicht zu“ und „Ich will leben“ dezidiert dazu, dass es hier gegen häusliche Gewalt und Tiertransporte geht. Er selbst ist selbstverständlich ein treu sorgender Familienvater und Vegetarier. Und so freudig, wie das von tätowierten Hip-Hoppern und von Kuscheltier bewehrten Frauen-Cliquen geprägte Publikum mitgeht, trifft das auch auf die hingebungsvollen Fans zu.

Die beklatschen frenetisch manches neue und vor allem jedes altbekannte Intro: „Der Fels“, „In meinen Armen“, „Ernten was man sät“, „Führ mich ans Licht“, „Nicht von dieser Welt“, „20.000 Meilen“ und natürlich „Bei meiner Seele“ – unterbrochen von einer halbstündigen Pause, singt Xavier Naidoo bis 23 Uhr so einige Hits weg. Wobei eben besonders die alten Songs in den vom Stoiker Palmer und dem Frenetiker Auer virtuos gecoverten Akustikversionen wirklich überzeugen. Nur die Mitklatscherei und die Wir-lieben-dich-Schreie der Leute stören die konzentrierte Darbietung. Die macht sich auf der mal in noblem Schwarzweiß gehaltenen, mal farbig akzentuierten Drehbühne überaus stylish. Nur die sechs von oben herabfahrenden Prospekte, auf die Xavier Naidoos Konterfei projiziert wird, wirken etwas überdimensioniert. Der Sound ist makellos.

Xavier Naidoo selbst leistet sich trotz eines Notenständers vor der Nase zwei Texthänger und einen Schnitzer beim Einsetzen. „Das ist die Hauptstadt-Nervosität“, scherzt der Mann, der Antipode aller Scherzkekse ist. Und das glaubt man ihm sogar. Auch jede seiner Dankes- und Liebeselogen wandert sofort auf die Goldwaage. Das Gute wollen, das Gute tun, davon singt Xavier Naidoo. Wer weiß schon, was er selber ist? Gesinnungs-Verfehlungen fanden keine statt. Die Show jedenfalls war schön.

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