Deutsches Symphonie-Orchester: Wüten, Weinen
Robin Ticciati, das Deutsche Symphonie-Orchester und der Rundfunkchor gastieren mit Berlioz’ dramatischer Symphonie „Roméo und Juliette“ in der Philharmonie.
Ist es nun eine Art Oper, eine Chor-Symphonie, ein Ballett mit Gesang? „Roméo et Juliette“ von Hector Berlioz erweist sich bis heute als seltsames Gebilde, jedenfalls wenn diese Symphonie dramatique komplett aufgeführt und nicht auf den orchestralen Mittelteil reduziert oder zum Tanztheater umfunktioniert wird, wie zuletzt von Sasha Waltz.
Da tritt der Rundfunkchor nach dem tumultösen Auftakt mit den wuselig- wuchtigen Fehden zwischen den Montagues und den Capulets einfach wieder ab von der Bühne der Philharmonie, um erst gegen Ende in weit größerer Formation wieder aufzutauchen. Da darf der kehlig-gedeckelte Mezzosopran von Julie Boulianne zwar beim Rendezvous des weltberühmtesten Liebespaars sogar Shakespeares Poesie namentlich beschwören (Libretto: Émile Deschamps), um jedoch bald für immer zu schweigen. Dasselbe Schicksal ereilt den Tenor Paul Appleby, nachdem er die Feenkönigin Mab im Geschwindgalopp besungen hat. Ein heftig-heiterer Spuk mit Chor und Piccoloflöte – und aus, vorbei. Bis das Feenmärchen im Orchester-Scherzo sein späteres Echo findet, mit verhuschten Bratschen, fledermaushohen Geigen und Glöckchengeklingel.
Berlioz kannte das Shakespeare-Stück von einem Gastspiel, er war hingerissen – und verliebte sich in die Julia, Harriet Smithson, der er nachstellte, bis sie ihn heiratete. Seine Beschäftigung mit dem leicht veränderten Stoff (Trauerzug für Julia, Wiedersehen in der Gruft, bevor beide erbleichen) resultiert in einer ungeheuer haptischen, gestischen, farbenfrohen, aber auch kurzatmigen Musik, die schmachtet und schluchzt, wütet und weint. Wenn nicht gerade das Blech Macht des Schicksals spielt, verzehrt sie sich vor lauter Liebe oder sie verfällt in Todesstarre, mit fahlem Duktus und leeren Oktaven.
Chefdirigent Robin Ticciati und das Deutsche Symphonie-Orchester betonen das Expressive – als ob es noch nötig wäre. Der auskomponierte Furor, die von Berlioz ohnehin überdeutlich eingravierten Holzbläser-Melancholien und Cello-Wehklagen, sie brauchen keine zusätzliche Verve. Vor lauter Ausdruckswillensstärke klappern die Einsätze, häufen sich rhythmische Patzer. Auch Alastair Miles alias Pater Lorenzo kann im Finale als moralische Autorität nicht überzeugen. Zu angestrengt sein Friedensappell an die erzverfeindeten Clans.