Das Moskauer Museum Garage: Würde das Museum auch Pussy Riot einladen?
Die Garage im Moskauer Gorki-Park ist Russlands größtes Privatmuseum: Es ist ein Palast für zeitgenössische Kunst, in einem Bau von Rem Koolhaas. Und ein Freiraum für die Kunst in einem unfreien Land.
Ein Rausch der Farben, kalte Töne, es ist die ultimative Verfremdung der Realität. Gemalt, oder besser: gesprayt hat diese Werke die in Berlin lebende Künstlerin Katharina Grosse. Ach, wenn doch alle Sprayer so wären, in diesem Land, in dem Ultranationalisten unpatriotische Kunstwerke gerne mal mit Farbe attackieren!
Grosses Arbeiten sind in Moskau zu sehen, in der Garage – so nennt sich das Museum für zeitgenössische Kunst im Gorki-Park. Es ist das größte und bisher einzige Haus dieser Art in ganz Russland, ein privater Kunstpalast. Äußerlich erinnert rein gar nichts mehr an jene Garage – eine ehemalige Bus-Remise der städtischen Nahverkehrsbetriebe –, in der das Projekt vor acht Jahren gestartet ist. Nun ist die Kunst umgezogen, in einen lichtdurchfluteten Bau mit gut 5400 Quadratmetern Ausstellungsfläche. Entworfen hat ihn der niederländische Star-Architekt Rem Koolhaas.
Geht das, ein Freiraum für die Kunst, in einem Land der Zensur?
Wandel durch Kunst? Kann das gut gehen in einem Land, in dem ein ultrakonservativer Wertekanon quasi Teil der Staatsräson ist? In dem die orthodoxe Kirche sich mehr und mehr zur Sittenpolizei aufschwingt? Immer drastischer wird in Russland gegen kritische Ausstellungen, Filme und Bühnenproduktionen vorgegangen. Vorläufiger Höhepunkt: Die Absetzung einer „Tannhäuser“-Inszenierung jüngst in Nowosibirsk, über die auch der Regisseur und der Intendant ihre Ämter verloren.
Es gibt trotzdem Freiräume, glaubt Anton Below. Der Mann, der das Garage-Museum seit 2010 leitet, glaubt an die Macht der Kommunikation. Alles steht und fällt mit der Vermittlungsarbeit, sagt er. Und dass Künstler in der Garage nie Probleme gehabt hätten. Auch solche nicht, die in Russland umstritten sind, wie Marina Abramovic oder der tschechische Surrealist Jan Švankmajer mit seiner „Kunstkammer“.
Seit der Eröffnung des Baus von Rem Koolhaas sind in der Garage unter anderem Werke der japanischen Künstlerin Yayoi Kusama und des Russen Erik Bulatow zu sehen. Und die von Grosse. Katharina, nennt Below sie. Auch in seinem jungen Team spricht man sich mit Vornamen an, umgekehrt heißt der Herr Direktor schlicht Anton. Will die Garage sich auch auf diese Weise vom staatlichen Kulturbetrieb abgrenzen, in dem die steilen Hierarchien und steifen Umgangsformen der Sowjetära wie unter einem Glassturz überlebt haben?
Anton Below, als Spezialist für Stahllegierungen ein Quereinsteiger in der Kunstszene, gerät bei Grosses Installationen jedenfalls ins Schwärmen. Sie gehe „ideal mit der Dekonstruktion des Raums“ um, ihre Arbeiten, bei denen auch Holz, Stoff und Erde zum Einsatz kommen, seien herausragend, schon weil sie den Ausstellungsraum völlig neu erfinden. Weil sie irritieren und provozieren, mit hochkomplexen Arbeiten, meist größeren Flächen, die sich oft im Außenraum fortsetzen. Das passt perfekt zur Garage, die eine „Plattform für unabhängiges Denken“ sein will, ein „Ort für den Wandel der Gesellschaft“, wie Below es formuliert.
Dieses Konzept der Garage erinnert an das des kremlkritischen Oligarchen Michail Chodorkowski und seiner Stiftung „Offenes Russland“ mit ihren alternativen Bildungsprogrammen, Chodorkowski büßte dafür mit fast zehn Jahren Lagerhaft. Darja Schukowa, die das Garage-Projekt auf den Weg gebracht hat, ist die Lebensgefährtin eines anderen Oligarchen: Roman Abramowitsch kennt man im Westen vor allem als Besitzer des FC Chelsea. Die 34-jährige dunkelblonde Schönheit, die von der amerikanischen „Vogue“ 2008 zu einer der zehn stylischsten Frauen der Welt ernannt wurde, und der 48-jährige Multimilliardär lernten sich 2005 in London kennen. Dascha und Roma: Seither sind die beiden zu Serienhelden der russischen Klatschpostillen geworden. Da heißt es, Abramowitsch habe Schukowas Modefirma schon gesponsert, als die damals 26-jährige Designerin sie gründete. Er soll auch größter Nettozahler der von Schukowa 2008 gegründeten Iris-Foundation sein, die das Museumsprojekt finanzierte.
Die Omnibus-Remise am Stadtrand, in der alles begann, hatte einst Konstantin Melnikow geplant, der zur sowjetischen Avantgarde zählte. Sie war das perfekte Ambiente für die Sammlung, die weltweit größte Kollektion der bisher kaum erforschten, von den kommunistischen Kulturfunktionären lange in die Schmuddelecke gestellten russischen Kunst ab 1950. Gezeigt wurden neben Kühlschränken, Fernsehern und anderen Gebrauchsgegenständen der Sowjetzeit auch Installationen. Eine davon zeigt den wissenschaftlich-technischen Wettlauf der sowjetischen und der amerikanischen Raumfahrt im Kalten Krieg.
All das ist nun auch im Glaspalast im Gorki-Park zu besichtigen, mit dem Schukowa sich den Traum von einem eigenen Museum erfüllt hat. Abramowitsch, als Ex-Gouverneur der Eismeer-Halbinsel Tschukotka mit den Mächtigen des Landes bestens vernetzt, sorgt diskret im Hintergrund wohl auch dafür, dass konservative Kulturbürokraten diesen Traum nicht kaputtmachen. Allein die Bestallung der Chef-Kuratorin empfanden Patrioten als Zumutung. Denn als die Britin Kate Fowles ihr Amt im Frühjahr 2013 antrat, war Moskaus Verhältnis zum Westen bereits massiv getrübt. Gibt es in Russland keine Würdigen für den Job?, fragten die Medien.
Würde Museumsdirektor Anton Below auch Pussy Riot einladen?
Natürlich, so Direktor Below, gäbe es die. Viele einheimische Kunstfachleute gehörten bereits zum Garagen-Team. „Auf dem Posten des Chef-Kurators wollten wir aber jemanden, der über internationalen Weitblick verfügt und nicht nur versteht, was in Russland abläuft.“ Fowles hat in den USA, in China und bei dem unabhängigen New Yorker Ausstellungsbüro Independent Curators International gearbeitet. Mit der Garage möchte sie ein Netzwerk guter Künstler, professioneller Kritiker und Kuratoren etablieren. Kuratoren, sagt Fowles, müssten den Künstlern helfen, mit der Welt zu kommunizieren.
Wie weit will das Museum dabei gehen? Gibt es Tabus? Kann Below sich eine Performance der feministischen Punkband Pussy Riot vorstellen, die für ihr Anti-Putin-Gebet in der Moskauer ChristErlöserkirche 2012 ins Lager kam? Oder eine Installation der Art Group Woina, die 2010 in St. Petersburg mit weißer Emulsionsfarbe einen riesigen Penis auf eine Brücke malte, direkt gegenüber dem Sitz des Inlandsgeheimdiensts?
„Arbeiten von Pussy Riot und Woina“, sagt Anton Below, „haben wir schon gezeigt.“ Allerdings, das ist ihm wichtig, im Rahmen einer Retrospektive. Auch moderne Kunst braucht den Kontext, erklärt er, die historische Einordnung. In der Garage können Besucher verstehen, „warum dieses oder jenes Werk wichtiger Bestandteil der modernen Kunst ist“. Ein hehres, auch politisch mutiges Ansinnen. Die Eröffnung des Museums Mitte Juni wurde so oder so zum Gesellschaftsereignis des Jahres.
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