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Regisseur Volker Schlöndorff: Wunder des Widerstands

Volker Schlöndorff ist im Special doppelt vertreten: mit "Diplomatie" und dem über 40 Jahre weggesperrten "Baal". Beide Filme könnten verschiedener nicht sein.

Auftritt Baal. Baal, lyrische Bestie, asozialer Säufer, hurender Berserker, ein so hyperempfindlicher wie brachialer Weibermagnet. Zupackend ist Baal, zartbesaitet, zugleich alles und alle wegwerfend, auch sich selber. Ein Unhold, ein Künstlermonster. Bertolt Brecht muss 1918 an Rainer Werner Fassbinder gedacht haben, als er mit knapp 20 Jahren sein erstes Stück schrieb – obwohl Fassbinder erst 1945 auf die Welt kam. Fassbinder ist einfach Baal. Immer gewesen. Man ahnt das, noch ehe man eine Sekunde des Films gesehen hat, der aus den Tiefen der Archive auf dieser Berlinale wieder auftaucht.

Der damals 30-jährige Volker Schlöndorff drehte „Baal“ 1969 mit eben ihm, mit Fassbinder. Zunächst hatte er Daniel Cohn-Bendit besetzen wollen, sagt Volker Schlöndorff im Gespräch. Aber als er Fassbinder gesehen hatte, war es um ihn geschehen: Der war es. Ein einziges Mal wurde dieser Film gezeigt, 1970 im Fernsehen des Hessischen Rundfunks. Dann nie wieder. Nicht nur das West-Publikum reagierte empört, in Ost-Berlin zürnte Brechts Witwe Helene Weigel. Sie und später Brechts Erben sperrten das anarchische Machwerk, in dem ein verwahrloster Kerl in Lederjacke und mit Kippe im Mundwinkel einen amoralischen Baal verkörperte.

Rainer Werner Fassbinder und Hanna Schygulla in „Baal“ von 1969.
Rainer Werner Fassbinder und Hanna Schygulla in „Baal“ von 1969.
© Weltkino

Unlängst erst brach das Eis zwischen den Erben und dem Regisseur. Nach 44 Jahren darf der Film wieder ans Licht, der Fassbinders Debüt als Schauspieler vor der Kamera war. „Baal“ ist da, in der Mode der siebziger Jahre, unterwegs in Spelunken und Salons, bei Holzfällern im Wald, auf der pathosgeladenen, urbanen Brache, auf einer namenlosen Schnellstraße am Stadtrand von München. Wie alle andern, wie Hanna Schygulla oder Margarete von Trotta, spricht Fassbinder Brechts Zeilen, komplett texttreu, mit verhaltener Lakonie, fast mit einem Hauch Jean-Marie Straub. Lakonie bis zum Schluss, bis Baal im Dreck verreckt. Unheimlich sei es im Rückblick, findet Schlöndorff, wie Fassbinder hier als draufgängerischer, destruktiver Baal seine eigene Biografie quasi vorwegnahm.

"Diplomatie" und "Baal" laufen auf der Berlinale in krassem Gegensatz

Krasser könnte der Gegensatz zum anderen Schlöndorff-Film auf dieser Berlinale kaum sein. „Diplomatie“ beschwört den Sommer von 1944 herauf, das Jahr übrigens, in dem Rainer Werner im „weißen Mutterschoße“ aufwuchs, wie es im „Choral vom großen Baal“ heißt. Den singt Fassbinder, einen Pfad im Kornfeld entlangschlendernd, am Anfang von „Baal“ lässig aus dem Off, zu einer Bluesmelodie von Klaus Doldinger.

Im Sommer 1944 war die Resistance- Armee unter General Leclerc, ausgestattet mit amerikanischen Panzern, in die Banlieus des von der Wehrmacht besetzten Paris vorgedrungen. Dort hat General Dietrich von Choltitz (großartig: Niels Arestrup) Befehl erhalten, ein „Trümmerfeld“ aus der Stadt zu machen. „Paris muss brennen“, hatte der „Führer“ dekretiert, französisch „fureur“ ausgesprochen, wie das Wort für Wut oder Raserei. Basierend auf dem Drama „Diplomatie“ von Cyril Gély inszeniert Schlöndorff ein intensives Kammerspiel als dialogischen Zweikampf zwischen von Choltitz und einem schwedischen Diplomaten, der den bulligen, alternden Mann zur Raison bringen will. Er stellt dabei nichts anderes dar als einen Restaurator von dessen feudalen Über- Ich-Resten, ein Aspekt der Schlöndorff fasziniert: „Choltitz kämpft im Grunde mit sich selber.“

Worum es Schlöndorff in "Diplomatie" wirklich geht

Niels Arestrup (links) und André Dussollier in „Diplomatie“.
Niels Arestrup (links) und André Dussollier in „Diplomatie“.
© Jerome Prebois

Am 24. August 1944 verkündeten die Glocken der Kathedrale Notre-Dame und aller anderen 150 Pariser Kirchen das nahende Ende des deutschen Terrors. Gehorsamspflicht und Gewissensnot, Angst und Mut befehden einander in der Psyche des Generals. In seinem eleganten Hauptquartier im Hotel Meurice hat er allein die Wahl, Paris zu retten oder auszulöschen. Wäre die Zerstörung des Louvre und der Seine-Brücken nicht legitime Rache für das alliierte Bombardement von Berlin, Hamburg, Mannheim? Wem ist der General verpflichtet, den fünf Generationen ranghoher Militärs, denen er entstammt, oder Hitlers Auftrag? Am Mittag des 25. August kapitulierte Choltitz, De Gaulle war mit General Leclerc in Paris eingetroffen. Soweit ist die Causa historisch verbürgt, wie auch die diplomatische Intervention Skandinaviens. Fiktiv ist die persönliche Begegnung von Choltitz’ mit dem Schweden Raoul Nordling (André Dussolier). Engagiert, emotional hoch intelligent, appelliert der Generalkonsul des neutralen Landes an die Verantwortung des Deutschen, und Schlöndorff inszeniert die Annäherung der beiden Positionen so eindringlich, dass die Zuschauer zu Zeugen in einem Raum werden, der unter der Spannung der Dialoge vibriert.

Was werden, fragt der Schwede, die Kinder des Generals einmal vom Vater denken? Wie viel Schande will der adlige Armeeangehörige der Zukunft des so gut wie besiegten Deutschland noch zumuten? In von Choltitz entzündet sich der Funke der Zivilisation, die Lunten, die an Paris bereits gelegt sind, lässt er in letzter Minute löschen. Die Brücken über die Seine bleiben stehen – und die möglichen Brücken zwischen Frankreich und Deutschland. Dass sein Film selber eine deutsch-französische Brücke ist, bewegt den Regisseur sichtlich, er blüht auf, wenn er von der berührenden Reaktion des französischen Publikums spricht, auf dem bis heute das Vichy-Trauma lastet. Es geht ihm, sagt Schlöndorff, buchstäblich um das, was „Diplomatie“ bedeutet, das Überbrücken von Konflikt durch Dialog.

"Baal" war so gut - und so schwierig - auch dank seines Darstellers Fassbinder

Der „Baal“ zum Auftakt der siebziger Jahre dagegen, dieser enthemmt verzweifelte Zivilist, bricht Brücken ab, er hinterlässt, wo er geht, verbrannte Erde. Deutschlands Nachkriegskinder, wie sie da Brechts „Baal“ spielen, scheinen wie im Spuk – sie spiegeln etwas Vergangenes, ohne sich dessen bewusst zu sein. Hunderte cooler Baals tummelten sich ja in den Siebzigern in Szenekneipen, auf dem Campus, auf Bühnen, viele ahmten ihre NS-Väter nach, gegen die sie zugleich rebellierten. In verblüffender Verblödung hängten sich ihnen cool tuende Töchter von Nazieltern an den Hals und ließen sich, wie Baals Sophie, Luise oder Johanna, alles bieten – siehe Ulrike Meinhof und Andreas Baader.

Schlöndorff erlebte Fassbinders Strategien der Manipulation seiner Schauspielerinnen bei Proben mit: „Er strafte mit Verachtung und belohnte durch vorübergehendes Aussetzen der Strafe.“ Von der Hingabe ihrer Groupies hatten die Szene-Machos, wie einst Baal-Brecht, rasch genug, selbst wo sie sich als Underdogs stilisierten und ihren Klassenhass an bourgeoisen Girls befriedigten. Aus den im Rückblick irrwitzig anmutenden Mikrohöllen dieser Verhältnisse entwickelten sich gleichwohl, wie aus politischen Kokons, trotz allem tiefgreifende Prozesse der Emanzipation, Wunder wahren Widerstands – wie die Rettung von Paris auf der großen Bühne der Welt eines war. Schlöndorffs „Baal“ verhüllte das in Brechts Subtext ersehnte Wunder. Schlöndorffs „Diplomatie“ stellt das Wunder am Schluss, wenn das unfasslich schöne Panorama des geretteten Paris die Leinwand füllt, befreit aufatmend aus.

„Baal“: 7.2., 15 Uhr (Haus der Berliner Festspiele), 8.2., 18 Uhr (Cubix), 9.2., 13.30 Uhr (Haus der Berliner Festspiele); „Diplomatie“: 12.2., 21.30 Uhr (Zoo Palast), 14.2., 21.30 Uhr (Haus der Berliner Festspiele) 15.2., 18 Uhr (Cubix)

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