Gallery Weekend: Martin Honert: Wonneangst der Kindertage
Martin Honert beamt sich in der Johnen Galerie in die Kindertage zurück und gewährt einen Einblick auf das Haus, in dem er aufwuchs, und in sein ehemaliges Internat.
Das Wort Wonneangst gefällt ihm gut. Von Sentimentalität und Nostalgie hält er dagegen gar nichts. Er legt Wert darauf, keine Anekdoten zu erzählen. Er will überhaupt nichts erzählen. Nein, wenn der 1953 geborene Künstler Martin Honert für seine Arbeiten wieder und wieder Motive aus seiner Kindheit im Ruhrgebiet der Nachkriegsjahre bemüht, in diese Zeit zurückkehrt und sein Werk verlässlich darum kreisen lässt, dann ist es immer das Allgemeingültige, das ihn daran interessiert. Es geht um Empfindungen, bei denen er nicht einmal bei sich selber immer sicher ist, ob sie nun schön oder schlecht sind. Diffus und Zwielicht, das sind weitere Lieblingswörter von Honert.
Diese Wonneangst – den Schauer, die Erregung, die Kinder empfinden, wenn sie spielerisch imaginierte Bedrohungsszenarien durchleben – hat Martin Honert selber erfahren, wenn er als Kind in der aufgegebenen Ziegelei gleich gegenüber seinem Elternhaus spielte. Und diesen einen Blick durch die langen, eng gestellten Holzregale, auf denen damals schon keine Ziegel mehr zum Trocknen lagen, auf das Haus, in dem er aufgewachsen ist, bis er Mitte der sechziger Jahre in ein Internat kam – diesen Blick hat der Künstler nun in seiner erstmals gezeigten Arbeit „Ziegelei“ rekonstruiert. Die Regale laufen auf eine von hinten beleuchtete Fotografie des Elternhauses zu – die einzige Lichtquelle im zwielichtigen Raum –, sie fallen dabei ab und verjüngen sich. Eine Art Trompe-l’œil: dreidimensional zwar, aber ein Mehr an Tiefe und einen höheren Standpunkt vortäuschend. Eine ziemlich komplizierte, aufwendige Konstruktion, um ein diffuses Gefühl zu evozieren, das der Künstler selber nicht genau zu benennen vermag: Genau so will Martin Honert das haben.
Sichtbarmachung durch Verfremdung
An der lebensgroßen Installation „VSG-Gruppe“ (2015, Polyurethan, Sand, Holz, Ölfarbe) mit sechs Schwimmern, die sich auf den Stufen der Tribüne am Beckenrand ausruhen, hat er fast zwei Jahre gearbeitet. Nicht nur die mit einer Ausnahme (der Trainer vielleicht) amputierten Körper der Kriegsversehrten, auch das Holz und den Stein der Stufen hat er aus Polyurethan gegossen. Nach einer alten Schwarz-Weiß-Fotografie aus Kindertagen, als Kriegsversehrte zum Straßenbild gehörten und die Männer schon mit Mitte 30 alt aussahen.
Das ist auffällig: Wie bei Thomas Demand, der ebenso wie Honert bei Fritz Schwegler in Düsseldorf studiert hat, liegt Honerts Arbeiten regelmäßig ein Foto zugrunde, ohne dass er deshalb ein Fotokünstler wäre. Beider Kunst ist die der Sichtbarmachung durch Übertragung, Verfremdung.
Bei „Schlafsaal, Modell 1:5“, dem dritten in der Johnen Galerie präsentierten Werk, ist es ein Kleinbilddia aus dem Schlafsaal des Internats. Fünf Betten und drei Schränke, hinterleuchtet, tauchen das Raummodell in ein Zwielicht. Die Schränke glimmen blau, wie in einem Horrorstreifen. Wie invertiert. Das Blau entspricht in etwa dem Farbton, den das warme, helle Naturholz auf einem Farbnegativ hat. Negativ ist noch so ein Wort, das Martin Honert gefällt.
Johnen Galerie, Marienstr. 10. Bis 28.5.
Jens Müller
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