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Der Schmetterlingstraum in einer Tuschezeichnung von Lu Zhi (1496–1576). „Einst träumte Zhuang Zhou, ein Schmetterling zu sein, ein lebhaft flatternder Schmetterling, glücklich mit sich selbst, nur seinem Willen folgend. Er wusste nicht, daß er Zhuang Zhou war. Wie freute er sich, als er kurz darauf erwachte und feststellte: ‚Da ist Zhuang Zhou!’ Doch er wusste nicht, war er Zhuang Zhou, der geträumt hatte, ein Schmetterling zu sein, oder war er ein Schmetterling, der geträumt hatte, Zhuang Zhou zu sein?“
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Chinesische Philosophie: Woher weiß ich, was ich weiß?

Das chinesische Zhuangzi, eines der großen Weisheitsbücher der Menschheit, entfaltet seine Aktualität in einer neuen Übersetzung.

Wenige Jahrzehnte nachdem sich Sokrates in Athen wegen angeblicher Gottlosigkeit vor Gericht mit dem legendären Satz „Ich weiß, dass ich nicht weiß“ verteidigte, entwickelte ein chinesischer Philosoph namens Zhuang Zhou ähnlich paradoxe Gedanken. Auch er liebte Dialoge und hinterließ folgenden Schlagabtausch: „Meister, weißt du, worin alle Lebewesen übereinstimmen? – Woher sollte ich das wissen? – Meister, weißt du, dass du es nicht weißt? – Woher sollte ich das wissen? – Heißt das, dass niemand etwas wissen kann? – Woher sollte ich das wissen? Woher weiß ich, dass das, was ich Wissen nenne, nicht das ist, was ich nicht weiß. Woher weiß ich, dass das, was ich Nichtwissen nenne, nicht das ist, was ich weiß.“

Damit enden die Parallelen zwischen dem schrulligen Griechen, dessen Denken vor allem durch Platon überliefert ist, und dem nicht minder eigensinnigen Chinesen, von dem nicht einmal feststeht, ob es ihn wirklich gegeben hat, auch schon wieder. Denn nun nimmt der Dialog eine für das Zhuangzi, wie die apokryphe Textsammlung zu Ehren von Meister (zi) Zhuang heißt, typische Wendung: „Wenn ein Mensch an einem feuchten Ort schläft, bekommt er Rückenschmerzen und ist am Ende halbseitig gelähmt – geschieht das einem Aal ebenso? Wer auf einem Baum wohnt, zittert und wird von Angst geschüttelt – geschieht das einem Affen ebenso? Wer von diesen Dreien hat den ,richtigen‘ Ort zum Leben?“

Schnurstracks hat man das Reich des Menschlichen verlassen und sich ins Ökologische aufgemacht, das wiederum zu einem spirituellen Ganzen führt. Man darf diese Spiritualität jedoch nicht als faulen esoterischen Zauber missverstehen. Das Zhuangzi, in seiner heute dreiteiligen Form von Guo Xiang ein halbes Jahrtausend nach seiner Entstehung im dritten nachchristlichen Jahrhundert zusammengestellt, gehört zu den unerschöpflichen Weisheitsbüchern des philosophischen Daoismus, ja der Menschheit. Mit dem Witz seiner poetischen Gleichnisse, ihrer logischen Spitzfindigkeit und dem Spott für Lehrgebäude aller Art unterweist es seine Leser in einem höchst weltlichen Skeptizismus, der an die Stelle eines Absoluten, dem man sich zu unterwerfen hätte, das stets Vorläufige setzt.

Sophistische Kniffe aus einheimischer Produktion

Fern von den mystisch-kosmologischen Sinnsprüchen in Laozis „Daodejing“, der Grundschrift dieses Daoismus, leitet das Zhuangzi zu einem Denken an, das fremde Autoritäten scheut. Zugleich rät es dazu, das bewusste Denken im rechten Augenblick abzulegen und sich der absichtslosen Intuition zu überlassen. In alledem ist es ein Produkt seiner Epoche. Ein Buch, das mit allen sophistischen Kniffen, die wohl keine attischen Importe, sondern einheimische Gewächse sind, sowohl gegen den Übermoralismus der Konfuzianer austeilt wie gegen den Überrationalismus der nachfolgenden Mohisten – und in Xi Jinpings China seinen Stachel behält. In seinem stillen Anarchismus und der Leichtigkeit, mit der es alle Dualismen von Einheit und Vielheit, Endlich- und Unendlichkeit, Körper und Seele hinwegfegt, liegt aber auch jene Modernität, die es für Denker mit einem Hauch interkultureller Kompetenz so anziehend macht: Es lässt den Anthropozentrismus hinter sich und vergisst gerade darüber den Menschen nicht.

Über 2000 Jahre lang war das Zhuangzi im Westen unbekannt, und noch heute ist der Zugang durch seine Übersetzungsgeschichte kompliziert. Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber, der 1910 als Erster Auszüge in deutscher Sprache veröffentlichte, bog sich die ersten englischen Übersetzungen von Herbert Giles und James Legge vom Ende des 19. Jahrhunderts zurecht. Die nach wie vor am weitesten verbreitete Übertragung, die des Stuttgarter Theologen Richard Wilhelm aus dem Jahr 1912, der 1899 nach China aufbrach, um in Qingdao zu missionieren, trägt schwer an ihrer Behäbigkeit, Streichungen und Umstellungen sowie der Entscheidung, den Begriff Dao (Weg oder Spur) mit dem eurozentrischen „Sinn“ zu übersetzen. Die brauchbarste Übersetzung war, wenn man nicht Burton Watsons englische Version oder Wolfgang Kubins Auswahl lesen wollte, bis zuletzt Stephan Schuhmachers „Buch der Spontaneität“, das allerdings ganz auf der Vorlage des amerikanischen Sinologen Victor H. Mair beruhte.

Analyse oder Versenkung?

Der Schmetterlingstraum in einer Tuschezeichnung von Lu Zhi (1496–1576). „Einst träumte Zhuang Zhou, ein Schmetterling zu sein, ein lebhaft flatternder Schmetterling, glücklich mit sich selbst, nur seinem Willen folgend. Er wusste nicht, daß er Zhuang Zhou war. Wie freute er sich, als er kurz darauf erwachte und feststellte: ‚Da ist Zhuang Zhou!’ Doch er wusste nicht, war er Zhuang Zhou, der geträumt hatte, ein Schmetterling zu sein, oder war er ein Schmetterling, der geträumt hatte, Zhuang Zhou zu sein?“
Der Schmetterlingstraum in einer Tuschezeichnung von Lu Zhi (1496–1576). „Einst träumte Zhuang Zhou, ein Schmetterling zu sein, ein lebhaft flatternder Schmetterling, glücklich mit sich selbst, nur seinem Willen folgend. Er wusste nicht, daß er Zhuang Zhou war. Wie freute er sich, als er kurz darauf erwachte und feststellte: ‚Da ist Zhuang Zhou!’ Doch er wusste nicht, war er Zhuang Zhou, der geträumt hatte, ein Schmetterling zu sein, oder war er ein Schmetterling, der geträumt hatte, Zhuang Zhou zu sein?“
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Von daher ist es nicht genug zu rühmen, dass soeben das erste vollständige, direkt aus dem Chinesischen übersetzte Zhuangzi erschienen ist. In einem sieben Jahre währenden Marathon hat Viktor Kalinke, Gründer und Chef des Leipziger Literaturverlags, der unter seinem bürgerlichen Namen Torsten Klemm Psychologie an der HTKW Leipzig lehrt, das Werk auf fast 900 Seiten eingeleitet, in ein zeitgemäß präzises Deutsch gebracht und kommentiert. Und siehe da: Richard Wilhelms Patina ist weg. Dafür bewegt man sich in einem typografischen Gestrüpp, das Abschnitt für Abschnitt chinesisches Original, Pinyin-Umschrift, Interlinear-Fassung und schließlich Kalinkes Übersetzung bietet, am Ende jedes Kapitels ergänzt um die Lesarten der Vorgänger. Auch des Chinesischen Unkundige bekommen so eine Ahnung von der Auslegungsbreite des Texts.

Der Wermutstropfen besteht darin, dass Kalinke der Verbreitung des Zhuangzi nicht nur angesichts des exorbitanten Preises von 124,95 Euro damit wenig dienen wird: Es handelt sich eher um eine Studien- als um eine Leseausgabe. Wer sich vom Zhuangzi nur inspirieren lassen will, wird auch mit Schuhmachers Übersetzung (und Mairs Einleitung) glücklich. Als erster Begleiter durch die heterogenen Stoffmassen der 33 Kapitel leistet überdies Günter Wohlfarts 2002 im Herder Verlag erschienene Einführung hervorragende Dienste: Sie findet sich mittlerweile zum kostenlosen Download auf guenter-wohlfart.de.

Die Spannung von philologisch-historischer Betrachtung und kontemplativer Lektüre prägt indes auch den Streit zwischen den beiden sinologisch geschulten Denkern, die dem Zhuangzi in den letzten Jahren am stärksten zu neuer Prominenz verholfen haben. Während sich der Franzose François Jullien in dem Merve-Band „Sein Leben nähren“ tief ins historische Unterholz begibt, pocht der Schweizer Jean François Billeter in „Das Wirken in den Dingen“ (Matthes & Seitz) auf die Möglichkeit eines unmittelbaren Verstehens. Und während Jullien China als das Andere beschreibt, beharrt Billeter auf dem Universalistischen des Zhuangzi. Was für ein Scheingefecht. In Bezug auf Klarheit, Verständlichkeit und produktive Aneignung hat allerdings Billeter die Nase vorn. Auf den Spuren seiner lebenslangen Auseinandersetzung mit dem Zhuangzi hat er inzwischen seine eigene Philosophie entwickelt.

Philosophie der Geste

Die Gleichnisse lassen sich in mindestens drei Richtungen lesen. Erstens enthalten sie eine Philosophie der Sprache, die variantenreich das Begrenzte der menschlichen Kommunikation betont. So erklärt Ruo, der Geist des Nordmeers, dem Flussgeist Huang: „Mit einem Frosch, der im Brunnen lebt, kannst du nicht über das Meer reden, er ist beschränkt auf seinen Platz; mit einem Insekt, das im Sommer lebt, kannst du nicht über Eis reden, es nimmt nur seine Jahreszeit wahr; mit einem Fachidioten kannst du nicht über das Dao reden, er ist beschränkt auf seine Theorie. Nun kommst du hinter deinen Wällen und Dämmen hervor, siehst das weite Meer und erkennst deine Winzigkeit und glaubst, von nun an über die großen Einsichten mitreden zu können.“

Zweitens bieten sie eine Philosophie der Geste, die mustergültig erklärt, wie das anfangs mühsame Erlernen automatisierter Bewegungen schließlich zu einer Freiheit führt, die etwa dem improvisierenden Musiker Spontaneität erst ermöglicht. Dafür steht die oft zitierte Geschichte von Ding, dem Koch, der mit seinem Messer schon Tausende von Rindern zerlegt hat, ohne dass es sich abgenutzt hat, weil er die physischen Widerstände mit dem Geist, nicht mit den Augen sieht, wie er erklärt.

Drittens entfalten sie eine Philosophie des Bewusstseins, die die abendländische Subjekt-Objekt-Spaltung im Namen eines „Hin und Her zwischen der Leere und den Dingen“ überwindet, wie Billeter schreibt: Es gibt eine Geistesabwesenheit, an deren Stelle ein selbstvergessenes Körperbewusstsein tritt, das im Zhuangzi auch als „Handeln, ohne zu handeln“ – das daoistische wei wu wei – auftaucht. Man darf es nicht mit Passivität verwechseln. Es bedeutet nichts anderes, als dass sich die Dinge entziehen, je mehr man sie erzwingt, und es geht um ein Geschehenlassen im Flow, wie Mihály Csíkszentmihályi das Phänomen getauft hat. Manchmal dauert es eben Jahrtausende, bis solche Überlegungen weniger exotisch anmuten und fruchtbar werden.

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