Film - Tod den Hippies! Es lebe der Punk!: Wodkaträume in der Mauerstadt
Das Leben der Boheme in West-Berlin: Oskar Roehlers hinreißender Undergroundfilm „Tod den Hippies! Es lebe der Punk!“.
So geht Coolness. In der legendären New-Wave-Kneipe Risiko lehnt der Barkeeper, eine fahle Erscheinung mit Stachelhaarfrisur, schwarzer Nietenlederjacke und spiegelnder Sonnenbrille, hinterm Tresen am Schnapsregal. Ein Gast sagt höflich: „Einen Wodka bitte.“ Keine Reaktion. Nun fragt der Gast schon etwas lauter: „Könnte ich vielleicht einen Wodka bekommen?“ Worauf der Barkeeper entgegnet: „Jetzt hast du mich aus meinen Gedanken gebracht.“
Der Barkeeper mit der eingefrorenen Miene ist Blixa Bargeld, der in Oskar Roehlers West-Berlin-Film „Tod den Hippies! Es lebe der Punk!“ zum Verwechseln ähnlich von Alexander Scheer gespielt wird. Beim Gast, dem Provinzrebellen Robert, der gerade erst in der Mauerstadt angekommen ist, handelt es sich um Roehlers Alter-Ego-Figur, verkörpert von Tom Schilling. Die Szene endet mit einem großartigen Kalauer. Robert bekommt seinen Wodka, der Barkeeper fragt ihn: „Willst du cash bezahlen?“ Robert antwortet: „Cash, meinst du Bargeld?“ Und Bargeld lacht.
Punkrock mit Bohrmaschinengeräuschen
Das Risiko ist ein Epizentrum von „Tod den Hippies! Es lebe der Punk!“. Zum Beben kommt hier allerdings gar nichts, die in einer ehemaligen Eckkneipe untergebrachte Nachtbar ist das perfekte Abbild des West-Berliner Dauerstillstands. Die Gäste – junge Menschen, die allesamt alt aussehen – haben sich unter fahlem Neonlicht gleichmäßig im Raum verteilt und schweigen apathisch.
Diejenigen, die nicht komplett zugedröhnt sind, können noch stammeln: „Ein Glas mehr, bitte.“ Den anderen wird einfach so nachgeschenkt. Im Hinterzimmer schniefen sie Kokain. Dort wird Robert am Ende mit der Band Anal Fucking Bastards auftreten. Sie spielen Punkrock mit Bohrmaschinengeräuschen. Die Zuhörer pfeifen, johlen und werfen Gegenstände. Ein Ausdruck von Ablehnung? Oder von Begeisterung? Schwer zu sagen.
Das zweite Epizentrum des Films ist eine Peepshow am Bahnhof Zoo, in der Robert gleich nach seiner Ankunft in Berlin von seinem alten Schulfreund Schwarz (Wilson Gonzales Ochsenknecht im Rockstar-Outfit) empfangen wird. Auf einer Drehscheibenbühne räkelt sich Sina, das Schlangenmädchen, beäugt von schwitzenden Männern in engen Kabinen. In den Kabinen findet Robert seinen ersten Job in der fremden Stadt. Er muss das Ejakulat der Männer wegwischen, mit Putzlappen, Schwamm und Wassereimer, der immer wieder mal slapstickhaft umkippt.
Zungenkuss zwischen Blixa Bargeld und Nick Cave
Bei der Peepshow handelt es sich um den heimlichen Mittelpunkt der Metropole. Nicht nur der Bürgermeister, eine grobe Karikatur von Eberhard Diepgen, schleicht sich herein, auch Blixa Bargeld und sein Freund Nick Cave halten dort Hof. Die beiden Underground-Helden geben sich auch mal einen Zungenkuss, und Cave sagt Knittelverse auf: „I’d rather have a bottle in front of me than a frontal lobotomy.“ Lieber saufen, als das Gehirn operiert zu bekommen. Wobei in der Punk-Boheme durchaus auch härtere Drogen kursieren. Die Stripperin Sanja, eine Amerikanerin, die eigentlich Malerin werden möchte, hängt an der Heroinnadel. Das merkt Robert allerdings erst später, als er sich in sie verliebt hat.
„Tod den Hippies! Es lebe der Punk!“ ist eine Farce, eine hinreißend überdrehte Klamotte – und Roehlers bester Film seit „Die Unberührbare“. Mit der Komödie, die auf seinem autobiografischen Roman „Mein Leben als Affenarsch“ basiert, verabschiedet sich der Regisseur vom Pathos früherer Werke. Auch vor plumpesten Kalauern schreckt er nicht zurück und lässt seine Schauspieler genussvoll chargieren. Den Vogel schießt dabei Frederick Lau als schwuler Neonazi ab, der im schwarzen Gestapomantel mit seinem Schäferhund Patrouille läuft.
Über die Hippie-Lehrer Eltern
„Ich will andere Frauen ficken! Ich will nach Berlin, da tragen sie Strapse!“, mit diesem Kampfruf lässt Robert sein Provinzinternat hinter sich, gleich nachdem er sich einen Irokesen rasiert hat. Es ist eine Flucht vor den Hippie-Lehrern, die „heute mal über die Startbahn West diskutieren“ wollen, und vor den ihn strangulierenden Zukunftsplänen seiner Freundin, die verkündet: „Wenn wir mit der Schule fertig sind, dann gehen wir nach Erlangen und studieren auf Lehramt.“
Wie in der „Unberührbaren“ spielen auch in „Tod den Hippies!“ Roehlers Schriftsteller-Eltern Schlüsselrollen, nur dass sie diesmal ihre echten Namen tragen, Gisela und Klaus. Hannelore Hoger trägt als Gisela Elsner dieselbe Kleopatra-Frisur wie Hannelore Elsner als „Unberührbare“, hat aber deren sphinxhafte Distanz durch eine quecksilbrige Übertourigkeit ersetzt. Als Robert bei ihr auftaucht, um Geld für seine Reise zu erbitten, schmettert sie den Wunsch ab: „Wegen Geld musst du deinen Vater fragen, der war mal Kassenwart der RAF.“
Dieser Vater Klaus Roehler ist ein schwerer Alkoholiker, der in Berlin zwischen den Gespenstern seiner Vergangenheit haust. Das Chaos in seiner Wohnung erklärt er damit, dass „der Verfassungsschutz gerade hier war“, und in einem Karton verwahrt er 200 000 Mark aus Banküberfällen für „die Gudrun“. Allerdings ist Gudrun Ensslin seit vier Jahren tot.
Einmal sieht Robert seine Mutter in einer Fernsehtalkshow, wo sie sagt: „Ich habe alles versucht, mein Baby loszuwerden.“ Später wirft sein Vater ihm an den Kopf: „Man hätte dich abtreiben sollen.“ Noch in seinem letzten autobiografischen Film „Quellen des Lebens“ hat Oskar Roehler sich schwer an seinem Schicksal abgearbeitet, ein ungeliebtes Kind gewesen zu sein. Jetzt scheint er darüber lachen zu können.
Ab Donnerstag 26.3.2015 in den Berliner Kinos Babylon Kreuzberg, Cinemaxx Potsdamer Platz, Cubix, FT Friedrichshain, Hackesche Höfe, Kulturbrauerei, Passage, Colosseum, Kinowelt Friedrichshain, Zoo Palast
Christian Schröder
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