Die Ausgehkolumne: Helden wie sie
Bei Wolfgang Müller oder Oskar Roehler, bei Wim Wenders oder Westbam: Die Kreuzberger Kaputtnik-Bar Risiko wird immer sagenumwobener. Ob das Luxus in Prenzlauer Berg auch einmal so berüchtigt-legendär wird?
Eigentlich hatte man ja gedacht, dass zum Risiko – genau wie zu den Westberliner achtziger Jahren – alles gesagt ist. In den Nachrufen auf den Risiko-Betreiber Alex Kögler zum Beispiel, der vergangenen September 57-jährig an Krebs starb. Oder von Wolfgang Müller, der dem seinerzeit direkt an den Yorckbrücken gelegenenen Laden vor zwei Jahren in seinem genauso unangenehm selbstbezogenen wie angenehm detailreichen Buch über die Westberliner Subkultur gleich mehrere Kapitel widmete, mit allerlei Anekdoten über die Gäste. Beispielsweise darüber, wie Diedrich Diederichsen einmal der Einlass verwehrt worden war, dann aber Blixa Bargeld beim Türsteher intervenierte mit den Worten: „Hey, das kannst du doch nicht machen. Den Diederichsen brauche ich noch für meine Karriere.“ (Woran sich Diederichsen heute nicht mehr erinnern kann, zumal die in Köln ansässige „Spex“ mit der Berliner Subkultur nie viel anfangen konnte).
Von Phantomschmerzen und Bargeld, Cave und Lane bei Roehler
Wie auch immer: Es hört jedenfalls nicht auf mit dem Risiko, der Laden wird immer sagenumwobener. Denn auch der Filmemacher Oskar Roehler scheint damals dort ein- und ausgegangen zu sein und lässt in seinem nächste Woche erscheinenden Buch „Mein Leben als Affenarsch“ mehrere Szenen im Risiko spielen, natürlich mit Blixa Bargeld als spiegelglassonnenbebrillter Tresenkraft, mit Nick Cave und Anita Lane, natürlich auch mit ganz viel Drogen.
Beim Lesen solcher Szenen kämpft man mit widerstreitenden Eindrücken. Es ist wie ein Nachhausekommen: Kennen wir doch, waren wir doch, später im Ex’n’ Pop sah es genau so aus, da war dasselbe Publikum, oder? Aber es stellt sich auch ein Phantomschmerz ein, denn natürlich waren wir zu spät gekommen Ende der achtziger Jahre. Die großen Zeiten waren vorbei – und aus den Risiko- Stammgästen waren Karrierebastler geworden, siehe Bargeld, siehe Roehler.
Ach, auch egal. Wir haben ja die neunziger Jahre. Und die Luxus-Bar in Prenzlauer Berg, beispielsweise. Obwohl: Das Luxus, einst idyllisch-heruntergekommen in der Belforter Straße gelegen, heute idyllisch-aufgeputzt in der Prenzlauer Allee ein zweites Mal eröffnet, ja, ob es irgendwann auch Stoff für Heldenerzählungen bietet, wie dieser Tage das Risiko? Vielleicht solcherart: Wie ich hier einmal den Schriftsteller Wolfgang Herrndorf kennenlernte und mich beinahe mit ihm geschlagen hätte. Hm, hm, hm.
Seinerzeit in der Belforter galt das Luxus als Heimstatt ratloser und verzweifelter Künstler, weitere Karrieren nicht ausgeschlossen, aber nicht zwangsläufig gesichert (doch wann ist das schon mal so in der Kunst?). Und heute? Schwer zu sagen. Neulich, es war ein Mittwoch, saßen erst nur wenige Leute im Luxus, wie man das so kennt, dann aber, urplötzlich, gegen Mitternacht, war alles voll. Außer Randolf, den einstigen Betreiber, kannte ich aber keinen. Dass dieser Laden jedoch keinen Großlegendenstatus erreichen wird, hat einen einfachen Grund: Er existiert schon zu lange, er macht immer weiter. Wer früh stirbt, siehe Risiko, siehe Kurt Cobain etc., lebt im Pop- und Szenebewusstsein länger.
Gerrit Bartels
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