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Wildwuchs statt Spielkultur. Die von Erich Mendelsohn geplante Anlage steht seit 1982 unter Denkmalschutz.
©  Kai-Uwe Heinrich

Rettet die Tennisplätze hinter der Schaubühne!: Wo Nabokov Bälle schlug

Ein Appell des Berliner Schriftstellers Peter Schneider: Ruiniert Profitdenken ein städtisches Erbe? Noch ist es nicht zu spät.

Wer vor zehn Jahren im Umkreis der Berliner Schaubühne zu Hause war und ohne Aufnahmeantrag und Klubgebühren Tennis spielen wollte, hat sie noch gekannt: die am besten gelegene, die sympathischste und unwahrscheinlichste Tennisanlage West-Berlins. Sie geht auf eine Planung Erich Mendelsohns und seiner Auftraggeberin Felicia Lachmann-Mosse, Tochter und Erbin des Berliner Verlegers Rudolf Mosse, zurück und liegt im Inneren von Mendelsohns schöner Wohnanlage hinter der Schaubühne, die damals unter dem Namen Universum ein berühmtes Uraufführungskino war.

In den 20er und 30er Jahren dienten die Tennisplätze im Winter als Eislaufbahn. Zur Musik eines Grammofons drehten Schlittschuhläufer auf den Tennisplätzen ihre Pirouetten, am Wochenende spielten Jazzgruppen auf. Der Linkshänder Erich Kästner hat auf der Anlage Tennis gespielt, Vladimir Nabokov hat sich hier in seinen Berliner Jahren als Trainer durchgeschlagen.

In den Nachkriegsjahren haben andere die Anlage besucht. Manchen genügte es, das irgendwie beruhigende Geräusch von rhythmisch geschlagenen Tennisbällen unter den Pappeln hinter dem Kurfürstendamm zu hören, einer von ihnen war Willy Brandt. Auch der Schnellschreiber Johann Mario Simmel soll einen seiner Romane auf den Bänken der Gartenkneipe in einer Woche zu Papier gebracht haben. Ich selber habe mit knapp 40 auf dieser Anlage das Tennisspiel erlernt – unter der Anleitung eines ehemaligen Polizisten, der dort als Trainer wirkte. Überhaupt traf sich auf der kommerziell betriebenen Tennisanlage, die von Jutta Felser-Utecht und ihrer Mutter jahrzehntelang geführt wurde, eine eigenartige Mischung von Gästen. Journalisten, Akademiker, Schriftsteller, Künstler, Balletttänzerinnen aus dem Theater des Westens, durchreisende Fernsehstars aus München trafen hier auf Restaurant-, Nachtclub- und Barbesitzer vom Ku’damm, die den größeren Teil ihres Tag-Lebens hier verbrachten.

Die Neubesitzer lassen die Anlage systematisch zerfallen

Seit bald zehn Jahren, seit die britische Investmentbank Shore Capital im Frühjahr 2007 der Stadt das 6000-Quadratmeter-Grundstück abkaufte, lässt die Investmentbank die Tennisanlage gezielt verfallen. Shore Capital will, dass sie einer Luxus-Wohnanlage weicht – und die Stadt hat inzwischen nichts mehr dagegen. In einem Brief des Regierenden an die Bewohner der Wohnanlage vom 30. Juli 2016 heißt es: „Zuletzt hat sich der Landesdenkmalrat ausführlich mit dem Bauvorhaben auseinandergesetzt und im Ergebnis festgestellt, dass das Vorhaben mit dem Denkmalschutz vereinbar ist.“

So setzt sich die Ruinierung eines einmaligen städtischen Erbes durch Profitdenken fort. Sie begann mit dem Spottpreis von 435 000 Euro, den Shore Capital für das Gelände bezahlte, das ist der Grünlandpreis. Bedenkt man, was Bauland in diesem Teil der Stadt kostet, muss man von einem Geschenk an den Käufer sprechen. Shore Capital will die Tennisplätze mit circa 40 luxuriösen Wohneinheiten bebauen. Das Programm, das Investoren und Stadtplaner wie ein Mantra vor sich hertragen, hört auf den hübschen Namen „Nachverdichtung“ – es klingt irgendwie nach Dichtung oder Nachdichtung. Wenn man sieht, wie der Senat andere kulturelle Institutionen an Immobilienspekulanten preisgibt – siehe die beiden Theater am Kurfürstendamm – ist man geneigt, eine Linie zu erkennen: Weg mit dem alten Tand und Zauber, her mit neuen Wohneinheiten für zahlungskräftige Neubürger.

Aber war da nicht was mit Denkmalschutz? Mendelsohns Konzept war ein kühner und moderner Gegenentwurf zur Misere der Mietskasernen, die das Berlin der Gründerjahre beherrscht hatte. Zugegeben, die Wohnanlage war nicht für die Arbeiterschaft geplant, eher für eine innerstädtische Mischbevölkerung. Aber mit seinem Ensemble aus Kino, Ladenzeile, Rauchtheater, unterirdischen Garagen und großen Freiflächen im Inneren zielte er auf ein neuartiges Stadterlebnis und auf eine neue Spezies: auf den Citoyen, den Flaneur, wie Walter Benjamin ihn gezeichnet hat. Die Tennisplätze nahmen in Mendelsohns Gesamtanlage, die seit 1982 unter Denkmalschutz steht, eine zentrale Stelle ein: Sie boten Licht, Sonne, Wind und dienten als Gegengewicht des Unbebauten zum Bebauten.

Als ich mich 2010 beim Denkmalschutz nach den Plänen für die Tennisanlage erkundigte, erhielt ich die Auskunft, bisher sei eine Bebauung nicht vorgesehen. Man halte am Denkmalschutz selbstverständlich fest; allerdings würden sich in Mendelsohns Unterlagen Hinweise darauf finden, dass er selber eine Bebauung im Inneren der Wohnanlage vorgesehen habe.

Diese Behauptung gründet sich auf eine Episode im Nachlass des Architekten. Tatsächlich hatte Erich Mendelsohn unter dem Druck der Weltwirtschaftskrise von 1929, bei der er wie sein Auftraggeber Lachmann-Mosse viel Geld verlor, über eine Bebauung nachgedacht. Die von ihm oder einem Schüler gezeichneten sogenannten „Kreuzhäuser“ passen jedoch nicht zur Gesamtanlage und deuten auf einen Notentwurf hin.

In einem Schreiben vom 12. April1932 an die Städtische Baupolizei Bezirk Wilmersdorf, seiner letzten Äußerung in dieser Sache, stellt Mendelsohn fest, dass die „seinerzeit projektierten Kreuzhäuser ... nicht zur Ausführung“ gekommen seien. „Statt dessen sollen an dieser Stelle 4 Tennisplätze gebaut werden. Da die Anlage von Spiel- und Grünflächen auch dem Wunsche aller Beteiligten … entspricht, bitte ich um möglichst baldige Genehmigung der Anlage.“ Dass Shore Capital die Sache mit den „Kreuzhäusern“ ausnutzt, versteht sich. Zudem hatte der Investor die Pachtgebühren für die Tennisplätze derart angehoben, dass die alten Pächter aufgeben mussten. Am Ende wurde einem Interessenten, der den absurd hohen Preis tatsächlich zahlen wollte, der Vertrag verweigert. Seitdem war jedem halbwegs Eingeweihten klar, dass Shore Capital mit dem Grundstück anderes im Sinn hat. Inzwischen wuchert ein Wald von Essigbäumchen aus dem vormals roten Grund; nur noch die weißen Plastikbänder trotzen dem Verfall und erinnern an die Idee des Gründers.

Ein Skandal: Der Denkmalschutz sieht der Verwahrlosung zu

Dass aber die Stadt und der Denkmalschutz der Verwahrlosung der Anlage seit zehn Jahren tatenlos zusieht, ist ein Skandal. Selbstverständlich kann man auch einen Stadtpark verrotten lassen, um ihn anschließend – unter dem Beifall aller Ahnungslosen – zur Bebauung durch einen Großinvestor freizugeben. Wie wäre es zum Beispiel mit dem Tierpark? Im Fall der Tennisplätze in Erich Mendelsohns Wohnanlage bedient sich der Bezirksstadtrat von Charlottenburg-Wilmersdorf desselben Taschenspielertricks wie Shore Capital: Ja, Mendelsohns Wohnanlage sei geschützt, aber dieser Schutz betreffe – siehe die Pläne mit den Kreuzhäusern – keineswegs die Tennisanlage!

Tatsache ist, dass die Kreuzhäuser nicht gebaut worden sind und Mendelsohn sie nicht mehr bauen konnte oder wollte. Der Denkmalschutz bezieht sich selbstverständlich auf das, was tatsächlich gebaut und sichtbar ist. Er wäre wertlos, wenn irgendeine politische Instanz einen Teil des Denkmals nachträglich – aufgrund höchst interpretierbarer, nie verwirklichter Intentionen des Schöpfers – für ungeschützt und zum Bauland erklären könnte.

Genau dies hat der Regierende in Berlin aber offenbar vor. Zum Glück ist Michael Müllers Schreiben vom Juli noch nicht das letzte Wort. Die BVV CharlottenburgWilmersdorf hat drei Tage vor der Wahl den Antrag der Bezirksverordneten Nadia Rouhani, die seit Jahren für die Erhaltung der Anlage kämpft, einstimmig angenommen. Der Beschluss gibt dem Bezirksamt vor, eigene Planungsziele im Bereich der – immer noch denkmalgeschützten – Mendelsohn-Anlage zu prüfen und mittels Planverfahren zu konkretisieren.

Die sich jetzt neu formierende Berliner Regierungskoalition hat die Wahl: Sie kann Mendelsohns Ikone der Moderne erhalten oder in eine gated community für Reiche verwandeln.

Peter Schneider lebt als Schriftsteller in Berlin. Zuletzt erschien sein Berlin-Buch „An der Schönheit kann’s nicht liegen“ (Kiepenheuer & Witsch).

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