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Mörderischer Gott: Das Cover der aktuellen Ausgabe zum Jahrestag der Anschläge.
© Reuters
Update

Ein Jahr nach dem Anschlag auf "Charlie Hebdo": "Wir tragen dieses Symbol ganz alleine"

"Charlie Hebdo" wurde zum Symbol der Meinungsfreiheit. Doch die Macher fühlen sich allein gelassen. Das Sonderheft zum Jahrestag des Anschlags zeigt Gott als Terroristen.

Auf ihre schlagartig weltweite Bekanntheit hätten die Macher von "Charlie Hebdo" gerne verzichtet. Der blutige Anschlag auf die Redaktion der französischen Satirezeitung am 7. Januar 2015 machte aus dem bislang international weitgehend unbekannten Blatt mit schweren Finanznöten eine Ikone der Meinungsfreiheit. Auf einmal identifizierten sich zahllose Menschen mit der Satirezeitung, die sich mit ihren frechen, oft derben Karikaturen so viele Feinde gemacht hatte. Doch ein Jahr nach den Morden fühlt sich die Redaktion wieder im Stich gelassen.

Bei "Charlie Hebdo" ist seit jenem 7. Januar nichts mehr wie früher. Dem Tag, an dem zwei Islamisten die Redaktionsräume in Paris stürmten und mit Kalaschnikow-Schnellfeuergewehren das Feuer eröffneten. Zwölf Menschen starben im Kugelhagel, unter ihnen die legendären "Charlie Hebdo"-Karikaturisten Charb, Honoré, Cabu, Wolinski und Tignous.

"Der Mörder ist noch auf der Flucht"

In Paris strömten trauernde Menschen zum Place de la République, der Solidaritätsspruch "Je suis Charlie" ging um die Welt. Die eine Woche nach den Anschlägen herausgebrachte Ausgabe der überlebenden Karikaturisten wurde fast acht Millionen Mal verkauft - ein Rekord in der französischen Pressegeschichte. Die Zahl der Abonnenten stieg in kurzer Zeit von 10.000 auf mehr als 200.000.

Dass "Charlie Hebdo" sich durch den Anschlag nicht unterkriegen lassen will, machte schon die Titelseite dieser Ausgabe der Überlebenden deutlich: Der um "Charlie Hebdo" weinende Mohammed war zwar einerseits eine Geste der Versöhnung - zugleich war die Abbildung des Propheten eine erneute Provokation und löste wütende Proteste in muslimischen Ländern aus.

Was bleibt nach den Solidaritätsbekundungen? Detailaufnahme nach einer Veranstaltung zum Gedenken an die Opfer vom Januar 2015.
Was bleibt nach den Solidaritätsbekundungen? Detailaufnahme nach einer Veranstaltung zum Gedenken an die Opfer vom Januar 2015.
© dpa

"Für kommt steht Selbstzensur nicht in Frage, sonst haben sie gewonnen", sagt "Charlie Hebdo"-Finanzdirektor Eric Portheault ein Jahr nach dem Anschlag. "Wenn die Nachrichtenlage uns dazu bringt, Mohammed erneut zu zeichnen, dann machen wir das."

Sonderausgabe mit einer Million Exemplaren erschienen

Auch für eine Sonderausgabe, die an diesem Mittwoch mit einer Auflage von einer Million Exemplaren erschienen ist, wählte "Charlie Hebdo" ein provokatives Cover: Zeitungschef Riss zeichnete unter der Überschrift "Ein Jahr danach: Der Mörder ist noch immer auf der Flucht" einen blutverschmierten Gott mit Kalaschnikow auf dem Rücken und mit dem göttlichen Dreieck nebst allsehendem Auge über dem Kopf. Das Heft umfasst 32 statt sonst 16 Seiten. Das Magazin wird auch international vertrieben. So werden in Deutschland 50.000 Exemplare angeboten, für Belgien sind 40.000 Hefte vorgesehen. Im Mittelteil der Sonderausgabe sind auch Arbeiten der ermordeten Zeichner Stéphane Charbonnier (Charb), Jean Cabut (Cabu), Bernard Verlhac (Tignous), Philippe Honoré und Georges Wolinski gedruckt, wie die Agentur dpa berichtet.

Beißende Religionskritik war und ist Programm bei "Charlie Hebdo", die Satirezeitung sieht sich als Sperrspitze im Kampf gegen religiösen Fundamentalismus und für die Laizität. Das brachte dem Blatt in der Vergangenheit eine Reihe von Prozessen ein, wegen Drohungen standen die Zeitung und insbesondere ihr langjähriger Chef Charb seit langem unter Polizeischutz. Und nach dem Anschlag deuteten nicht wenige an, "Charlie Hebdo" habe sich das irgendwie doch selbst eingebrockt - über Religion mache man eben keine Witze.

Die rund 20-köpfige Redaktion, nach dem Anschlag zunächst bei der Tageszeitung "Libération" untergekommen, hat inzwischen ein neues Gebäude bezogen - die Adresse ist geheim, die Räumlichkeiten sind schwer gesichert. Finanziell steht die früher chronisch klamme Satirezeitung inzwischen auf soliden Füßen, 20 Millionen Euro sind in den Kassen.

Die meisten Mitarbeiter sind geblieben, "Charlie Hebdo" musste aber im Herbst den Abgang des bekannten Zeichners Luz verkraften. Einige wenige neue Karikaturisten sind gekommen. "Es ist verständlich, wenn jemand nicht mit uns zusammenarbeiten will, weil er es gefährlich findet", sagt Finanzdirektor Portheault. "Über uns schwebt ein Damokles-Schwert."

Denn nach der großen Solidarität fühlt sich die Satirezeitung wieder allein gelassen als Verfechterin des freien Wortes. "Wir tragen dieses Symbol ganz alleine", sagt der "Charlie Hebdo"-Journalist Laurent Léger. "Wir fühlen eine himmelschreiende Einsamkeit: Niemand macht, was wir machen, und verteidigt republikanische Werte wie die Laizität bis zum Ende", beklagt auch Portheault. "Niemand schließt sich uns in diesem Kampf an, denn er ist gefährlich. Man kann sterben."

Im Vatikan beklagt man Gotteslästerung

Die Vatikan-Zeitung hat die Titelseite der am Mittwoch erscheinenden Sonderausgabe des französischen Satireblatts "Charlie Hebdo" aus Anlass des tödlichen Anschlags auf die Redaktion kritisiert. Über das Cover rennt ein blutverschmierter, bärtiger Gott mit einer umgehängten Kalaschnikow, dazu der Text: "Ein Jahr danach: Der Mörder ist noch immer auf der Flucht." Dazu heißt es in einem Kommentar der Dienstagsausgabe des "Osservatore Romano", die Zeitung verletze die Gefühle der Gläubigen unabhängig von ihrer Religion.

Hinter der "trügerischen Fahne eines kompromisslosen Laizismus" vergesse "Charlie Hebdo" einmal mehr, dass religiöse Führer egal welchen Glaubens immer wieder dazu aufriefen, Gewalt im Namen der Religion zu verurteilen. "Gott zu nutzen, um Hass zu rechtfertigen, ist echte Gotteslästerung, wie Papst Franziskus mehrfach gesagt hat", heißt es weiter. (AFP)

Laurence Benhamou

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