Ebola in Liberia: ein Interview mit Rainer Merkel: „Wir sind die Medizin-Cowboys“
Metaphysisches Schlachtfeld: der Schriftsteller Rainer Merkel über seine Reise nach Liberia und den Umgang mit Ebola.
Herr Merkel, Sie waren kürzlich acht Tage in Liberia. Kann ich Ihnen unbedenklich die Hand zur Begrüßung schütteln und mit Ihnen hier sitzen?
Kein Problem, ich bin jetzt genau einen Monat wieder zurück. Ich habe auch drei Wochen nach meiner Rückkehr, wie vorgeschrieben, keinen Menschen direkt getroffen: keine Freunde, keine Verabredungen. Ich war aber normal in der Stadt unterwegs, in Kaufhäusern, U-Bahnen, überall, was schon wieder absurd ist. Aber man kann niemanden anstecken, wenn man selbst keine Symptome hat. Infektiös ist man nur, wenn die Ebola-Erkrankung ausgebrochen ist. Ich bin jetzt eine Woche über den 21 Tagen, das ist der offizielle Wert. In der Regel bricht die Erkrankung nach einer Ansteckung nach sechs bis zehn Tagen aus, da ist also schon eine ordentliche Pufferzone dabei.
Und warum sind Sie nach Liberia gereist?
Ich habe Verbindungen zu dem Land, weil ich 2008/2009 in der Hauptstadt Monrovia im einzigen psychiatrischen Krankenhaus des Landes für Cap Anamur gearbeitet habe. 2012 war ich nochmal zu Recherchezwecken dort. Da gibt es eine ganz andere Anteilnahme, ein anderes Interesse an der Epidemie. Ich kenne dort Leute, insbesondere die Leiterin der NGO „Kriterion Monrovia“, Pandora Hodge und deren Familie. Pandoras kleiner Bruder ist dieser blinde Junge, über den ich einen Roman geschrieben habe …
… mit dem Titel „Bo“ …
... und im ersten Reflex nach dem Ebola-Ausbruch habe ich dort angerufen. Ich wollte wissen, wie es ihr geht; ich hatte überlegt, mit Freunden ein Flugticket zu kaufen und sie rauszuholen. Bei den Telefonaten stellte sich heraus, dass Pandora Aufklärungsarbeit in Dörfern macht, dort, wo es am schlimmsten ist.
Sie wollten also helfen, insbesondere Ihren Bekannten?
Und ich wollte mir selber ein Bild von der Lage vor Ort machen. Mich stört die Berichterstattung in Deutschland: immer diese grauenvollen fast pornografischen Bilder, afrikanische Mitleidsgesichter, meistens Frauen und Kinder! Dazu Leute in Schutzanzügen, Ärzte und Pflegekräfte, die wie gerade auf der Erde gelandete Außerirdische aussehen und kranke oder tote Körper hinter sich herschleifen! Bis heute ist das so. Das liest man alles, schaut es sich an, und man will wissen, was wirklich passiert. Zudem habe ich den Eindruck, noch etwas anderes erzählen zu können, ich habe ja ein Jahr lang in Liberia gelebt.
Was haben Ihre Freunde und Ihre Familie dazu gesagt, dass Sie nach Liberia reisen?
Die wenigen, die davon wussten, haben dermaßen überreagiert, dass ich es anderen kaum noch erzählt habe. In Liberia habe ich von vielen Helfern gehört, dass sie mit ähnlich extremen Reaktionen umgehen mussten. Viele wissen auch jetzt noch nicht, dass ich da war.
Und wie sind Sie mit Ihren eigenen Ängsten umgegangen?
Am stressigsten waren die zwei Wochen vor der Reise und die zwei, drei Wochen danach. Man spielt Angstszenarien durch. Ich habe mich gefragt: Was willst du denn dort, das ist doch Wahnsinn! Wenn man hört, wie sich ein amerikanische Journalist infiziert hat, weil er einem Taxifahrer beim Desinfizieren seines Taxis geholfen hat, wird man schon nervös. Es sind ja eher die medizinischen Helfer, die ein Risiko eingehen, weil sie mit den Erkrankten direkt zu tun haben. Bei denen kann das theoretisch passieren, wenn sie ihre Schutzanzüge nicht sachgerecht an- oder ausziehen zum Beispiel. Aber es sind nur sehr wenige Fälle.
Und wie war es danach?
Man kommt zurück und fängt an, sich total zu beobachten. Hast du jetzt Fieber? Müsstest du nicht zweimal täglich messen? Man soll sich ja beim Gesundheitsamt melden, das habe ich getan, das Stichwort ist da „gegenseitige Erreichbarkeit“. Ich hatte auch Fieber, das war aber nur eine Virusgrippe. An diesem Wochenende hatte ich echt Panik, von wegen des Alarms danach, Krankenwagen, Medien, ein Ebola-Fall, der Mann war in Liberia etc. In Italien soll das einem Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen, der eine Grippe hatte, genau so geschehen sein.
Haben Sie sich bestätigt gefühlt hinsichtlich der Berichterstattung? Gibt es ein verzerrtes Bild von der Lage in Liberia?
Ja. Natürlich war Monrovia im August wohl eine Art Geisterstadt, und es stimmt, dass Tote auf der Straße lagen und die ETUs, die Ebola Treatment Units, überfüllt waren. Aber es war beeindruckend zu erleben, wie die Liberianer damit umgehen. Die Studenten von „Kriterion Monrovia“ unternehmen alle zwei, drei Tage Trips ins Landesinnere. Und diese Leichtigkeit, mit der sie das machen! Vor Ort klären sie die Menschen mit großer Leidenschaft auf. In einem Dorf wären sie fast angegriffen worden, weil die Leute dachten, sie seien gekommen, um ihre Brunnen zu vergiften. Aber sie mieten sich Busse, fahren dahin, gehen dieses Risiko ein. Sie leisten manchmal mehr als die vermeintlichen Ebola-Helden, die Ärzte und Krankenschwestern aus dem Ausland. Unser medialer Zugang hat da manchmal auch einen latent rassistischen Hintergrund.
Inwiefern?
Der 2013 verstorbene nigerianische Schriftsteller Chinua Achebe hat einmal in einem sehr schönen Essay Joseph Conrads Roman „Das Herz der Finsternis“ analysiert und wie dieser das europäische Bild Afrikas prägt. Afrika sei da ein metaphysisches Schlachtfeld, so Achebe, ein Ort, auf den wir unsere physischen und moralischen Deformationen projizieren. Das war bei Conrad so, bei Graham Greene, als der seine Reise durch Liberia in den dreißiger Jahren machte – und das gilt meiner Ansicht nach bis heute. Man fährt dorthin mit diesen Ängsten, diesen Projektionen, und die gesamte Hilfsindustrie wirkt ein bisschen wie eine kollektive Supertherapie: Afrika! Da müssen wir helfen! Wir sind die „medical cowboys“, wir reiten da ein, die kriegen das ja nicht ohne uns hin – und dann ziehen wir wieder ab. Klar, ich nehme mich nicht unbedingt aus, für „Kriterion Monrovia“ organisiere ich gerade eine Benefizveranstaltung in Köln.
So wie Sie das schildern, hat das etwas Kolonialistisches alter Prägung.
Schon, es ist das Andere, das Fremde, der Anfang unserer Zivilisation, was man unserer Meinung nach dort findet. Mancher Artikel hat da fast etwas Unverantwortliches, denn die Liberianer selber kommen darin kaum vor. Da geht es um unsere Leute, unsere Teams, unser überlegenes medizinisches Wissen. Liberia hat fast vier Millionen Einwohner, die wissen sich auch zu helfen. Pandora Hodge ist Studentin, hat ihr eigenes Restaurant-Projekt, versorgt eine Familie. Hinzu kommt nun die NGO-Aufklärungsarbeit auf dem Land. Nicht, dass das jetzt falsch verstanden wird: Die Berichterstattung hat mit dafür gesorgt, dass etwas geschieht, dass sich was geändert hat. Aber die Bebilderung ist schlimm, sie ist tendenziös, einseitig. Auch wenn ich verstehe, dass die Medien nicht wegen des afrikanischen Alltags nach Monrovia kommen, sondern wegen der Ebola-Epidemie.
Diese Woche erscheint Ihr Buch über Ihre Reise, „Go, Ebola, go“. Geht es darin vor allem um den Alltag in Liberia?
Es hat mich beeindruckt, wie diese junge Ärztin, die ich noch aus meiner Zeit in der Psychiatrie kannte, mit ihrer Ebola-Erkrankung umgegangen ist. Wir saßen vor ihrem Haus auf der Wiese, nachdem es geregnet hatte, eine perfekte Idylle, es tropfte noch von den Blättern, die Sonne war rausgekommen und man fühlte sich mitten in Monrovia wie auf dem Land. Dann hat sie mir erzählt, wie sie ihrer Mutter und ihrer Tochter verboten hat, ihr zu helfen, als sie zu Hause im Bad zusammengebrochen ist. Sie hat sich eine Chlorbleiche gemischt, ihr Erbrochenes beseitigt und sich einliefern lassen. Ich will meine Patienten behandeln, hat sie gesagt, ich will nicht sterben. So etwas kann man in einem Buch ausführlich erzählen, dafür ist in der Zeitung kein Platz. Natürlich hat das Buch einen sehr subjektiven, auch explizit literarischen Blick.
Trotzdem steht Ebola im Zentrum?
Ja, ich bin auch ein Opfer dieses Mechanismus. Ich hatte einen forcierten Zugriff, weil ich nur acht Tage da war. Ich war dreimal auf dem Land, habe ETUs besucht, die von Ärzte ohne Grenzen, die vom DRK, ich war in West Point, dem Slum-Viertel, das unter Quarantäne steht, einmal auch in der Kirche. Tagsüber sieht das alles ziemlich normal aus, aber die Unis haben zu, die Schulen haben zu, alle Versammlungen waren verboten, um 23 Uhr müssen die Leute zuhause sein. Man kann sich Ebola und den Folgen in Liberia kaum entziehen.
Und Sie sind nun auch als Experte gefragt?
Ich bin kein Experte. Aber ich finde, dass der Schwerpunkt jetzt ein anderer werden muss. ETUs, also Behandlungsbetten, hat Monrovia inzwischen genug. Es gibt die „no-touch policy“, die halten die Leute auch ein, überall wird auf das Händewaschen hingewiesen, obwohl das schon wieder nachlässt. Aber auf dem Land ist die Epidemie noch lange nicht unter Kontrolle. Dort funktioniert das sogenannte tracing nicht: Wer hat wen angesteckt, wie laufen die Ansteckungswege? Es gibt auch Vorbehalte. Und wenn man Ebola dort nicht in den Griff bekommt, kann das schnell wieder sehr viel schlimmer werden. Die Zahlen in Sierra Leone schnellen schon wieder in die Höhe.+
Fahren Sie wieder nach Liberia?
Geplant ist es nicht, aber das dachte ich 2011 auch schon. Es ist dann immer etwas traurig, weil mir das Land viel bedeutet. Vielleicht macht „Kriterion Monrovia“ bald ein Filmfestival, und es klappt auch mit dem Kino, das sie eröffnen wollen – dann fahre ich vielleicht noch mal hin.
Das Gespräch führte Gerrit Bartels.
Der Schriftsteller Rainer Merkel, 1964 in Köln geboren, studierte Psychologie und Kunstgeschichte und lebt in Berlin. Von 2008 bis 2009 arbeitete er für Cap Anamur im einzigen psychiatrischen Krankenhaus Liberias. 2012 erschien von ihm das Buch „Das Unglück der anderen“, das unter anderem von seinen Erfahrungen in Liberia handelt. 2013 folgte der Roman „Bo“, dessen Hauptfigur ein blinder liberianischer Junge ist. Im November war Rainer Merkel (Foto: Gaby Gerster) abermals acht Tage in dem afrikanischen Land. Am Mittwoch erscheint sein Bericht über diese Reise als E-Book: „Go, Ebola, go“ bei S. Fischer (120 S., 3, 99 €)