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Gemischtes Ensemble. Zu den Darstellern von Anne Imhofs Oper „Angst II“ gehören Falken und Drohnen.
© Nadine Fraczkowski

Nationalgalerie-Chef Udo Kittelmann im Gespräch: „Wir müssen uns einmischen“

Zum Start der Berlin Art Week: Nationalgalerie-Direktor Udo Kittelmann im Gespräch über die Entgrenzung der Künste und warum der Hamburger Bahnhof eine Oper präsentiert.

Herr Kittelmann, der Hamburger Bahnhof präsentiert zur Art Week die Oper „Angst II“ von Anne Imhof, Gewinnerin des Preises der Nationalgalerie. Offenbar erweitert das Museum das Spektrum der bildenden Künste immer mehr: Sie knüpften damit auch an die Neuinterpretation der Eisskulptur von Allan Kaprows Happening „Fluids“ von 2015 an mehreren Orten in Berlin an. Woher kommt diese Tendenz weg von einer statischen Kunst?

Wir befinden uns in einer Zeit, in der vormalig etablierte Kategorien schneller als zuvor in Bewegung geraten, auch hinsichtlich gesellschaftlicher und politischer Strukturen. Die Dinge geraten an allen Ecken und Enden in eine beschleunigte Verflüssigung. Solche Veränderungen sollten auch von Kulturinstitutionen kritisch begleitet werden. Man sollte sich in solche Debatten einmischen.

Wie kann das Museum das tun?

Mit den Mitteln der Kunst! Die Loslösung beispielsweise von herkömmlichen kunsthistorischen Kategorien bei Ausstellungen oder Sammlungen thematisiere ich schon seit vielen Jahren. So gilt heute die Schau „Tomorrow is another Day“ von Rirkrit Tiravanija 1996 im Kölnischen Kunstverein als ein künstlerischer Meilenstein auf dem Weg hin zu einem modernen Museum, das sich als sozialer und politischer Ort versteht. Die Ausstellung war über Wochen rund um die Uhr frei zugänglich, alle Einrichtungen für ein Leben auf Zeit vor Ort waren angelegt. So wie dieses Projekt die Kunstinstitutionen als allzu abgeschlossen hinterfragte, wird die US-Künstlerin Adrian Piper nächstes Jahr im Hamburger Bahnhof das Publikum zum lebenslangen Engagement auffordern, für die Werte der Demokratie Sorge zu tragen. Die Besucher erfahren dort, warum unsere so sicher geglaubten demokratischen Werte gefährdet sind.

Unter Ihrer Leitung ist der Hamburger Bahnhof zur Spielstätte des Extravaganten geworden. Carsten Höller holte Rentiere ins Haus, Tomás Saraceno hängte begehbare Plastikblasen auf. Bei Imhofs Oper wird ein Darsteller über ein Seil quer durch den Raum spazieren, Falken und Drohnen sollen fliegen. Lässt sich die Eventisierung des Museums noch weitertreiben?

Mit Höllers Ausstellung „Soma“ vor sechs Jahren war sicherlich ein Höhe- und Wendepunkt erreicht. Ich kann mir gegenwärtig nicht vorstellen, wie man die Grenzen des Ausstellungswesens noch weiter ausweiten könnte. Höllers „Soma“ gilt heute schon als eine einzigartige, historische Intervention. Solche Extravaganzen sind immer auch das Resultat neuester künstlerischer Entwicklungen, die Geistes Kind einer bestimmten Zeit sind. Das war in der Kunst schon immer so, dafür wird man ab und zu kritisiert. Aber ein Museum für Gegenwart sollte genauso kreativ sein wie Künstler. Daraus entwickelt es seine gesellschaftliche Relevanz.

Museum, Theater, Oper mischen sich, über die Ernennung Chris Dercons als Volksbühnen-Intendant wird viel gestritten. Das Theater zeigt Kunst, das Museum Oper, verlieren die Künste da nicht ihr Profil?

Große Nähe zwischen den Künsten herrschte doch schon in den 20er Jahren. Piscators Bühnenwerke waren vom gemeinsamen Wirken der Film- und Theaterleute mit bildenden Künstlern geprägt. Diese Nähe habe ich in den letzten Jahrzehnten oft vermisst. Das ändert sich zum Glück seit einiger Zeit. Man sollte sich nicht davor scheuen, vormalige Kategorisierungen infrage zu stellen.

Kommen da nicht die Urfunktionen des Museums zu kurz, das Forschen, Sammeln und Bewahren?

Die Gefahr sehe ich für die Nationalgalerie nicht. Kaum eine andere museale Einrichtung hierzulande hat sich zuletzt derart intensiv mit der eigenen Sammlung beschäftigt, sie kontinuierlich erforscht und durch Neuerwerbungen ergänzt. Diese Aktivitäten wurden ergänzt durch – teilweise spektakuläre – Ausstellungen wie von Gerhard Richter oder Otto Piene.

Udo Kittelmann (58).
Udo Kittelmann (58) leitet seit 2008 die Nationalgalerie: Hauptstandorte sind die Alte Nationalgalerie auf der Museumsinsel, der „Mies van der Rohe“-Bau und der Hamburger Bahnhof.
© Kai Uwe Heinrich

Rahmenprogramme werden immer wichtiger. Versteht sich das Museum wieder mehr als klassische Bildungsanstalt?

Die Erfahrung zeigt, dass gerade ein jüngeres Publikum zunehmend einen Austausch wünscht, der über die reine Kunstbetrachtung hinausgeht. Die Kunst berührt häufig gesellschaftlich relevante Themen, diese wollen diskutiert werden. Eine Entwicklung, die man nur begrüßen kann. Das Museum als sozialer Raum gewinnt zunehmend an Bedeutung.

Inwiefern haben sich die Ansprüche des Publikums verändert?

Eine reine ästhetische Betrachtung der Kunst scheint nicht mehr ausreichend. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass das Einbinden der Kunstwerke in ihre jeweilige Zeitgeschichte auf großes Interesse stößt. Die Ausstellung „Die schwarzen Jahre“ zur Geschichte der Sammlung der Nationalgalerie von 1933 bis 1945 war ein Publikumsliebling, auch unter jungen Leuten. Und natürlich wird das Auftreten von Pokémons im Museum, wie kürzlich auf den Skulpturen von Carl Andre, wieder neue Erwartungen wecken.

Der Hamburger Bahnhof präsentiert aktuell mit „Kapital“ eine besonders vielseitige Ausstellung, sie präsentiert Werke aus diversen Sammlungen der Stiftung. Eine Grußadresse ans Humboldt-Forum?

So wurde es auch schon gesehen, als wir 2010 in Wilhelm de Rooijs Ausstellung „Intolerance“ Federobjekte aus Hawaii integrierten, 2014 die „Maori-Portraits“ von Gottfried Lindauer zeigten oder letztes Jahr an das interdisziplinäre „Black Mountain College“ erinnerten. Wir haben dabei kaum an das Humboldt-Forum gedacht, vielmehr bewegte uns die Frage nach Modellen und Parametern für ein zukünftiges Kunstmuseum, nach der zukünftigen Entwicklung der Nationalgalerie.

Verflüssigung allenthalben: Sammlungen verlassen ihre Häuser, treten in Dialog miteinander. Wird es am Hamburger Bahnhof mehr davon geben, als Reaktion auf den neuen Player Humboldt-Forum, vielleicht sogar den Konkurrenten?

Der traditionelle Kulturbegriff ist ins Trudeln geraten. An allen Orten werden als Resultat einer veränderten Welt jetzt Begriffe wie Transkulturalität und hybride Kulturen verhandelt. Als Konkurrent sehe ich das Humboldt-Forum nicht. Wir lernen voneinander, auch von unseren jeweiligen Sammlungsgeschichten. Die Institutionen tauschen sich verstärkt aus. Das setzt auch neue Ideen in die Welt.

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