Interview mit Laurie Anderson: "Wir leben im geplanten Chaos"
Laurie Anderson tritt am Wochenende in Berlin mit "The Language of Future" auf. Im Interview spricht sie übers Geschichtenerzählen, die USA und ihre Performance.
Frau Anderson, am Wochenende kommen Sie mit ihrer Multimedia-Performance „The Language of the Future“ nach Berlin zurück. Auf was sollte sich das Publikum einstellen?
Das frage ich mich selber, denn ich bin immer noch dabei, die Performance zusammenzustellen. So langsam gerate ich unter Zeitdruck.
Wie kommt das?
Meine Kunst dreht sich um Geschichten: wie sie entstehen, was passiert, wenn man sie vergisst und wie sie unser Leben beeinflussen. Momentan habe ich aber Probleme, den Geschichten auf den Grund zu gehen, weil sie in Windeseile an mir vorbeiziehen.
Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Unsere Geschichten fallen auseinander – nicht nur die kollektiven, sondern auch die ganz persönlichen. Jeder versucht irgendwie zu verstehen, was da gerade passiert, aber die wenigsten haben Antworten. Wir erleben eine einzigartige Zeit. Ich habe Probleme, mit ihr Schritt zu halten.
Meinen Sie damit die derzeitige politische Situation in Amerika?
Nicht nur, aber der amerikanische Wahlkampf hat verdeutlicht, wie wichtig Erzählungen immer noch sind. Es ging ja nur darum, wessen Narrativ am meisten Anklang findet – nicht, ob es wahr ist. Ich war immer schon an Erzählungen interessiert, und ich will mit meiner Kunst zeigen, welche Kraft sie besitzen und was passiert, wenn sie auseinanderbrechen. Wenn man von Plan A auf Plan B umsatteln muss. Kennen Sie in Deutschland den Ausdruck Plan B?
Wir kennen sogar Plan C bis Z.
Die lernen wir in Amerika auch gerade kennen. Es geht mir nicht so sehr darum, was passiert, sondern wie wir darüber diskutieren und es ausdrücken. Daher auch der Name des Projektes. Ich erweitere die Performance ständig und versuche, verschiedene Themen anzusprechen. Das Thema Heimat interessiert mich sehr und wird auch ein Schwerpunkt sein. Ich überlege immer noch, ob ich das Ganze als Stand-up-Comedy auf die Bühne bringen soll.
Genügend Komik bietet die Politik derzeit ja. Der Witz bleibt den meisten aber im Halse stecken.
Wir sehen das Unheil auf uns zukommen, können es aber nicht abwenden. Unser Handeln mag gut gemeint sein, trägt aber oft nur zur Verschlechterung der Situation bei. Das ist die Tragödie. Es gibt viele Arten, sich dem Thema zu nähern. Comedy finde ich momentan aber schwierig.
Wieso?
Die Politik wird nur scherzhaft imitiert. Die Realität ist aber bereits so düster und bizarr, dass man sie gar nicht absurder machen kann.
Die Realität ist heute tatsächlich schräger als die Fiktion?
Daran habe ich immer schon geglaubt. Das ist aber alles noch einmal eine Nummer größer geworden.
Was bedeutet Ihnen Amerika?
In den späten siebziger Jahren verbrachte ich viel Zeit in Europa und wurde immer wieder gefragt, wie ich es in den USA nur aushalte. Ich kannte keine Antwort darauf, also näherte ich mich dem Thema und daraus wurde später meine Performance „United States“. Es sollte ein Porträt einer Nation sein, das aus meiner Verwirrtheit heraus entstand. Ich müsste heute eigentlich etwas Ähnliches tun. Es ist aber schwierig, etwas zu porträtieren, das so schnell auseinanderfällt.
In der ersten Aufführung von „The Language of the Future“ heißt es: Ein Ding ersetzt das nächste augenblicklich. Haben Sie das Gefühl?
Ja, man hat gar nicht mehr die Zeit, sich über etwas Gedanken zu machen. Ich hoffe, dass ich das mit meiner Performance vermitteln kann. Ich schreibe neue Songs. Vielleicht werde ich einige davon spielen. Das wird etwas chaotisch, aber genau das soll es auch sein.
Warum chaotisch?
Weil die Welt so ist. Wir leben in der Zeit des geplanten Chaos. Das ist nicht bloßes Dilettantentum seitens der Regierung, sondern Vorsatz. Wer die Presse als Feind der Nation bezeichnet, lässt daran keinen Zweifel. Das Problem ist, dass man nicht mehr nur zwischen gut und schlecht, sondern auch zwischen wahr und falsch entscheiden muss. Die Narrative werden immer komplexer und zahlreicher. Wir müssen jeden Tag die Realität und unseren Platz in ihr neu verhandeln. Das ist längst kein rein politisches Problem mehr, sondern ein existenzielles. Unsere Zeit ist so ereignisreich, dass man sich privilegiert fühlen sollte, in ihr zu leben. So komisch das auch klingt. Wir sollten nur nicht verzweifeln, sondern versuchen, die Situation zu verstehen und zu ändern.
Fühlen Sie sich als Künstlerin in dieser Pflicht?
Nein, das hat nichts mit Pflicht oder Moral zu tun. Wenn meine Interessen aber zufällig politischer Natur sind, lässt sich das prima verbinden. Ich versuche nicht, die Welt zu retten, sondern Geschichten zu erzählen. Alles andere wird schnell zu Propaganda. Künstler sollten ihre Energie nicht zwangsläufig auf die Politik lenken. Wenn es zufällig passt, spricht aber nichts dagegen. Ein einfaches blaues Bild kann mir mehr Freiheit verschaffen als eine ganze Abhandlung zu dem Thema. Ich will als Künstlerin frei und nicht polemisch sein. Ich hasse es, wenn mir jemand vorschreiben will, was ich tun soll. Eher würde ich sterben, als dem Gehorsam zu leisten.
Die erste Performance von „The Language of the Future“ liegt mittlerweile 33 Jahre zurück. Das Projekt hat sich über die Jahre immer weiterentwickelt und an der Zukunft orientiert. Ist das Projekt heute noch dasselbe?
Es geht immer noch um die gesellschaftlichen Veränderungen, die etwa durch die Digitalisierung entstehen und die Geschwindigkeit, mit der diese Prozesse voranschreiten. Informationen werden heute ganz anders geteilt und wahrgenommen. Als Richard Nixon 1971 die Goldbindung des US-Dollars aufhob, wurde unser Geld zu bloßen Nummern, die über Bildschirme flackerten. Das hat den Grundstein für unseren Informationsaustausch gelegt. Die reale Welt verschwand im Dickicht der Zahlen. Diese Prozesse betreffen vor allem Amerika, sind aber mittlerweile global. Man sagt, Amerika sei eins der ältesten Länder der Welt, weil es am längsten im 20. Jahrhundert steckenblieb.
Sie scheinen sehr viele Ideen für Ihre Performance am Wochenende zu haben.
Zu viele fast. Mir geht es wie allen anderen auch: Ich bekomme diese Wucht an Informationen nicht bewältigt. Ich werde mein Bestes geben und hoffen, dass etwas Sinnvolles entsteht.
Da mache ich mir wenig Sorgen.
Sie müssen ja auch nicht vor allen Zuschauern auf der Bühne stehen! Ich mache mir Sorgen, weil ich nicht als Möchtegern-Kommentatorin verstanden werden möchte. Es wird mir oft zu viel, aber ich kann es nicht lassen. Die Menschen leben in Endzeitstimmung. Die Geschichten müssen erzählt werden.
Laurie Anderson führt am 4. und 5. März im Berliner Haus der Kulturen der Welt am Abschlusswochenende der "Transmediale" ihr Großwerk „The Language of the Future“ auf. Beide Konzerte sind ausverkauft.
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