Laurie Andersons Film "Heart of a Dog": Vier Pfoten und ein Halleluja
Trauern lernen: Laurie Anderson huldigt in ihrem fantastischen Kino-Requiem „Heart of a Dog“ ihrem verstorbenen Hund Lolabelle, ihrer Mutter - und ihrem Lebensgefährten Lou Reed.
Wovon man nicht sprechen kann, muss man darüber wirklich schweigen? Über den Schmerz zum Beispiel und die Trauer um einen geliebten Menschen? Laurie Anderson zitiert den berühmten Wittgenstein-Satz, um ihn auf suggestive Weise zu widerlegen. Von der Trauer nach dem Tod ihres Lebensgefährten Lou Reed kann sie nicht öffentlich sprechen. Aber sie kann sie umspielen, poetisieren, politisieren, transzendieren und einen hypnotischen Fluss aus Bildern und Tönen destillieren, der wohl jeden in Bann zieht, der je getrauert hat. Bis der Todesfilm in einen Liebesfilm umschlägt.
„Heart of a Dog“ gehorcht der Logik eines freien Assoziierens, wie man es sich öfter im Kino wünschte. Eigentlich geht es um Andersons Hund, den Terrier Lolabelle, auch er starb 2013, wie Andersons Mutter und eben Lou Reed. Frei nach Kierkegaards Satz, dass das Leben nur rückwärts verstanden werden kann, aber vorwärts gelebt werden muss, wirft die amerikanische Multimediakünstlerin diesen paradoxen, doppelten Blick und erweist sich in ihrem Langfilmdebüt als Magierin des Trauerns, als Komikerin und verrückte Poetin.
Und Lou Reed singt zum Abspann von der Zeit und der Liebe
Zu Beginn bringt die gezeichnete, animierte Laurie Anderson – „mein Traumkörper“, sagt ihre hypnotisch-freundliche Stimme – ein Kind zur Welt. Aber es ist gar kein Kind, sondern der Hund. Und was für einer: ein herumtollender, klavierspielender, malender, erblindender Vierbeiner, der die Menschen und die Welt um ihn herum auf wundersame Weise kenntlich macht. Als Lolabelle mit Anderson an der kalifornischen Küste spazieren geht, entdeckt sie den Himmel als Bedrohungsszenario, stürzt sich doch ein Habicht auf den Hund, den er mit einem Hasen verwechselt. Ab sofort checkt Lolabelle die Gefahren nicht nur am Boden, sondern auch über ihr: Das ist urkomisch, berührend und bitterernst. Laurie Anderson ist gerade aus New York geflohen, wegen 9/11 und der weißen Asche überall nach den Terroranschlägen, auch die Menschen schauen jetzt ängstlich in den Himmel. Und die Homeland Security fordert mit Slogans wie „If you see something, say something“ zur Wachsamkeit auf. Womit wir wieder bei Wittgenstein wären.
Anderson blendet Handyvideos, zerkratzte Super-8-Filme aus ihrer Kindheit, Schwarz-Weißes, Slowmotion, Erinnerungen (etwa an den früh verstorbenen Künstlerfreund Gordon Matta Clarke), Goyas Gemälde mit Hund und goldenem Himmelsgewölbe sowie Fragmente aus dem tibetanischen Totenbuch übereinander, schert sich nicht um die Grenze zwischen Doku, Fiction und Experimental, hält sich im Zwischenreich auf, zwischen Traum und Leben und Tod. Der Angst, die uns alle umfängt, begegnet sie mit Sanftheit, mit all den Freigeistern, die die Fantasie des Menschen bevölkern. „Turning time around/That is what love is“, singt Lou Reed zum Abspann, liegt auf dem Teppich und umarmt Lolabelle.
OmU: Central, fsk Oranienplatz, Xenon
Christiane Peitz
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