Intendantin der Berliner Philharmoniker: „Wir können jetzt freier denken“
Seit einem Jahr ist Andrea Zietzschmann Leiterin der Berliner Philharmoniker. Ein Gespräch über den künftigen Chefdirigent Kirill Petrenko und das neue Geld vom Bund.
Frau Zietzschmann, gerade haben die Berliner Philharmoniker ihre erste Tournee mit dem künftigen Chefdirigenten Kirill Petrenko absolviert. Wie war’s?
Fantastisch! Es hat sich schon wie der offizielle Auftakt seiner Amtszeit angefühlt, obwohl Kirill Petrenko ja erst Ende August 2019 in Berlin startet. Für das Orchester war es eine beglückende Erfahrung, bei der alle Beteiligten das Gefühl hatten, dass künstlerisch schon jetzt die Grenzen ausgelotet wurden. Und was dann auf der Bühne passiert ist, hat sich auch direkt ins Publikum übertragen. Nach der Saisoneröffnung in der Philharmonie sowie dem Benefizkonzert im Schlüterhof des Berliner Schlosses ging es zu den Festivals nach Luzern, Salzburg und London.
Fünf Auftritte an fünf verschiedenen Orten – damit das klappt, muss der Dirigent extrem pragmatisch sein. Denn es gibt ja jeweils nur kurze Anspielproben, um sich auf die akustischen Gegebenheiten des jeweiligen Saales einzustellen. Für Pragmatismus aber ist Petrenko nun gerade nicht berühmt. Wie ist er mit dieser Herausforderung umgegangen?
Beeindruckend und mit genau den Qualitäten, die wir an ihm schätzen: genaue Vorbereitung und Fokus auf die Notwendigkeiten einer Anspielprobe. Er genießt Tourneen sehr, weil ihm das die Möglichkeit eröffnet, Interpretationen zu vertiefen, jeden Tag gemeinsam weiter an den Details zu feilen. Er ist extrem gut organisiert, sodass er die zur Verfügung stehende Zeit jeweils perfekt nutzen kann. Dass die Philharmoniker mit den Sälen bestens vertraut sind, war natürlich auch hilfreich.
Petrenko ist dafür bekannt, dass er sich nach Konzerten sofort zurückzieht, um sich wieder dem Partiturstudium zu widmen. Wie nahbar war er auf der Tournee für die Philharmoniker?
Im Probenprozess ist er sehr nahbar. Über alles, was mit der Musik zu tun hat, gibt es einen ganz intensiven Austausch. Nach dem letzten Konzert haben wir eine Feier arrangiert – und da war dann auch Zeit, ihm in entspannter Atmosphäre persönlich näherzukommen.
Ende April 2019 werden Sie die erste Petrenko-Saison präsentieren. Wo werden die thematischen Schwerpunkte liegen?
Kirill Petrenko hat sich natürlich angeschaut, was Simon Rattle in den letzten 16 Jahren gemacht hat. Da bleiben tatsächlich nur wenige Lücken. Ein Komponist, der seltener präsent war und mit dem sich Petrenko künftig beschäftigen will, ist Mendelssohn Bartholdy. Einen höheren Anteil werden künftig auch russische Werke haben, zum Beispiel hat er für seinen nächsten Auftritt in Berlin im März 2019 Tschaikowskys Fünfte angesetzt. Und er wird selbstverständlich das deutsche Kernrepertoire dirigieren von Mozart bis Brahms und Strauss.
Und hoffentlich auch Beethoven! Nach der geradezu explosiven Interpretation der Siebten zum Saisonstart wünscht man sich natürlich einen Beethoven-Zyklus von ihm.
Ja, das geht uns auch so. Allerdings liegt Kirill Petrenkos Fokus nicht auf zyklischen Aufführungen. Aber die Beethoven-Sinfonien werden regelmäßig in seinen Programmen vorkommen.
Rund um die Philharmonie erstrecken sich derzeit überall Baustellen. Wie reagiert Ihr Publikum darauf?
Sehr verständnisvoll. Es gibt tatsächlich keine Beschwerden. Und der erste Bauabschnitt, bei dem der Parkplatz durch eine Fußgängerzone ersetzt wurde, hat das Gelände sofort belebt. Der neue Vorplatz auf der Ostseite wird bestens angenommen, im Sommer saßen die Leute auf der Wiese und den Bänken, das war sehr schön zu beobachten. Und wir bekommen ja weitere Flanierflächen dazu, durch die künftig schmalere Karajan- Straße sowie die Umwandlung der Scharounstraße in einen Platz.
Wird es dort künftig auch die Möglichkeit geben, vor dem Konzert etwas zu trinken oder zu essen zu erwerben?
Wir sind mit den Behörden und dem Denkmalschutz im Gespräch darüber, was machbar ist, und ich hoffe, dass wir im Frühjahr mit einem Bewirtungsangebot auf dem Vorplatz loslegen können. Gerne würde ich mittelfristig auch die alte Idee aufleben lassen, auf der Terrasse des Kammermusiksaals eine Gastronomie zu etablieren. Und dann gibt es da natürlich noch den Plan eines Empfangsgebäudes für die Philharmonie an der nordöstlichen Spitze unseres Grundstücks am Übergang zum Potsdamer Platz. Hier könnte man die Kassen und den Shop unterbringen, ein Café sowie Flächen für die Educationprogramme.
Wie wäre es denn, wenn Sie das neue Bundesgeld dafür verwenden würden? Das sind immerhin 7,5 Millionen Euro pro Jahr.
De facto kommen davon bei uns aber nur 1,8 Millionen mehr an, weil der Landeszuschuss deutlich reduziert wurde. Dieses Geld investieren wir lieber direkt in die Musik. Zum Beispiel in die Europakonzerte, für die wir bislang immer sehr aufwendig Sponsoren suchen mussten. Da können wir dank des Bundesgeldes jetzt freier denken, auch was die Wahl der Auftrittsorte betrifft. Zum anderen möchten wir Gastspiele in Ländern machen, wo man sich die Philharmoniker eigentlich nicht leisten kann. Schon in dieser Saison fahren wir nach Polen, dort lassen sich, anders als in Japan oder den USA, keine so hohen Ticketpreise aufrufen. Es ist uns aber wichtig, nicht nur in den reichsten Nationen präsent zu sein. Auch für die digitale Education haben wir Mittel eingeplant. Und schließlich wollen wir mit Kirill Petrenko neue thematische Akzente setzen, auch in Form von Festivals.
Die Philharmoniker organisieren neben ihren eigenen Konzerten immer häufiger auch Gastspiele anderer Künstler in der Philharmonie und im Kammermusiksaal, unter anderem Klavierabende, Streichquartette oder auch Alte Musik. Das führt zu einer Marktverzerrung, weil Sie mit Ihren Subventionen im Rücken die Ticketpreise natürlich anders kalkulieren können als die privaten Veranstalter.
Das sehe ich anders. Unsere Veranstaltungen bereichern doch vielmehr das Gesamtangebot. Denn viele unserer Projekte würde ein privater Konzertunternehmer gar nicht stemmen können, eine konzertante Aufführung von George Benjamins Oper „Written on skin“ mit dem Mahler Chamber Orchestra etwa. Wir fördern die Jugendorchester, mit denen wir assoziiert sind, außerdem unterstützen wir mit unseren Einladungen die frei finanzierten Ensembles wie das Chamber Orchestra of Europe, das seit Jahren nicht in Berlin war.
Einen Klavierabend mit Krystian Zimerman aber würde jeder Privatveranstalter auch gerne machen!
Das stimmt. Aber er hat eine ganz enge Verbindung zu den Philharmonikern, und darum ruft er eben bei uns an, wenn er in Berlin auftreten möchte. Was die Quartettabende und die Originalklangensembles betrifft, versuchen wir, uns eng mit den privaten Veranstaltern abzustimmen. Und ich bin auch offen dafür, künftig mit den Privaten etwas gemeinsam zu machen, beispielsweise ein Gastspiel des London Symphony Orchestra mit einem gewissen Simon Rattle.
Wie sieht es mit der neuen Konkurrenz durch den von Daniel Barenboim betriebenen Pierre Boulez Saal aus?
Von der haben wir alle profitiert, weil dadurch die Begeisterung des Publikums für Kammermusik offensichtlich angefacht wurde. Auch bei uns ging in diesem Bereich nämlich seit der Eröffnung des Boulez Saals die Auslastung nach oben. Was mich durchaus überrascht hat.
Simon Rattle hat den Intendantenposten bei den Philharmonikern mal so beschrieben: „Das ist ein schwerer Job, ungefähr so, wie in einem Streichquartett zu spielen. Es fühlt sich an, als sei man mit den anderen drei Leuten verheiratet – aber ohne die Vorteile.“ Fühlt sich das so an
Das Streichquartett ist in der Tat ein gutes Bild, weil wir ja zu viert sind im Stiftungsvorstand, wo die wichtigen Entscheidungen getroffen werden.
Neben dem Chefdirigenten und Ihnen sind da zwei Musiker vertreten, die einerseits das Orchester repräsentieren, andererseits die Medienaktivitäten.
Im Vergleich zu dem, was ich in meinem früheren Job als Managerin der NDR- Klangkörper erlebt habe, wo ich mich in einem Vier-Bundesländer-Konsortium bewegt habe, ist die Berliner Situation für mich überschaubarer.
Welches Instrument spielen Sie denn in diesem Quartett?
Natürlich die erste Geige!
Das würden die drei anderen vermutlich auch von sich behaupten ...
(lacht) Jeder von uns bringt sich aktiv in die Gespräche ein und wie in einem modern arbeitenden Streichquartett übernimmt mal der eine, mal der andere eine tragende Rolle. Das macht einen guten Diskurs doch aus.
Aber im Konfliktfall muss die Intendantin ein Machtwort sprechen?
Ja, doch glücklicherweise hatten wir in meiner ersten Saison noch keine Situation, in der das nötig gewesen wäre.
Das Gespräch führte Frederik Hanssen.