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Doppelbegabung. Jörg Widmann ist Klarinettist und Komponist.
© Marco Borggreve

Jörg Widmann im Boulez Saal: Wir gewinnt

Musikalische Reisen: Das Boulez Ensemble spielt mit dem Klarinettisten und Komponisten Jörg Widmann Oktette von ihm und Franz Schubert.

Mit seinem F-Dur-Oktett für Streicher und Bläser wollte sich Franz Schubert den „Weg zur grossen Symphonie bahnen“, wie er selbst schrieb. Man könnte in der Tat aus dem Werk den ganzen Schubert rekonstruieren, da es kammermusikalische Intimität mit symphonischem Anspruch verbindet und neben der unerschöpflichen Kantabilität des Liedkomponisten in den Menuett- und Scherzo-Sätzen auch den serenadenhaften Charakter aufruft, den die Tradition für diese Besetzung nahelegt.

Im Pierre Boulez Saal spielen nun die Geigerin Caroline und ihr Bruder, der Komponist und Klarinettist Jörg Widmann, mit einer unschlagbaren Gruppe aus aktuellen und ehemaligen Berliner Philharmonikern sowie Mitgliedern der Staatskapelle das Oktett. Obwohl die Probenzeit nicht ausgereicht haben mag, um wirklich jedes einzelne Detail abzustimmen und sich auf die Akustik – die die tieferen Streicher zu benachteiligen scheint – einzustellen, gelingt eine beglückende Interpretation.

Man hört das Oktett an diesem Abend nicht, wie oft sonst, als Stück für Ensemble und abwechselnd konzertierende Geige und Klarinette, sondern als Begegnung denkbar unterschiedlicher starker Charaktere. Selten treten Fagott (Mor Biron) und Bratsche (Amihai Grosz) so profiliert in Erscheinung wie hier. Jörg Widmann lässt die Melodie des Adagio magisch strömen, seine Schwester agiert in einer hinreißenden Mischung aus Temperament und Feinheit, der Hornist Radek Baborak begeistert mit unübertrefflicher klanglicher Kontrolle und Prägnanz der Attacke.

Tonalität schimmert immer wieder durch

Das nach der Pause aufgeführte identisch besetzte Oktett Jörg Widmanns beginnt mit traditionell anmutenden Akkorden, die dissonant angereichert und dann ins Amorphe abgeschmolzen werden. Das eindrucksvolle Werk bewahrt Musikgeschichte nicht in Zitaten, sondern in einem reichen Repertoire an klangkörperlichen Gesten auf.

Tonalität schimmert immer wieder durch (die Musik sehnt sich gelegentlich nach dem F-Dur des Schubert-Oktetts) und behält doch nie das letzte Wort. Im langsamen Satz entspinnt sich ein fragiler melodischer Faden, die Instrumente scheinen dabei nicht nur thematische Elemente, sondern auch ihre Klangfarbe einander abzutreten. Obwohl Widmanns Oktett nur etwa halb so lang dauert wir das schubertsche, hat man am Ende doch eine ähnlich weite und aufregende Reise zurückgelegt.

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