Bilderbuch in Berlin: Wir fühlen uns so gratis
Bilderbuch sind die beste Wiener Band der Welt. Beim Konzert in der Columbiahalle feiern sie die Wonnen des Hedonismus.
Am Ende bist du frei. Denn hinterm Jammertal des Lebens wartet das Gottesreich. So lautet die Gospel-Botschaft. You’re free at last. „Die Alten sagen nichts im Leben ist for free / Ich will’s nicht glauben“, säuselt Maurice Ernst soulig zu seltsam karibischen Rhythmen und zieht an einer Schnur. Ein Vorhang fällt, und hinter dem Sänger zeigt sich in der ausverkauften Columbiahalle eine Wand aus weißen Turnschuhen. „Sneakers4free“ heißt der Song, purer Hedonismus zu gummiartig zerdehnten E–Gitarren-Sounds. Ernst singt: „Alles ist gratis /Ich fühl mich so gratis.“
Tanz um den weißen Mammon
So erreicht das grandiose Berliner Konzert der österreichischen Band Bilderbuch seinen ersten Höhepunkt: als Tanz vor dem weißen Mammon. Im aktuellen Hammerhit „Bungalow“ sieht sich Ernst „by the rivers of cashflow“ sitzen und feiert die Wonnen des Mobilfunks: „Du rufst mich an und du fragst mich wie’s mir geht / Ich ruf dich an und ich frag dich wie’s dir geht.“ Bei der Halbballade „Softdrink“, einer klebrigen Mischung aus Funk und Frickelrock, singt die ganze Halle mit: „Coca Cola, Fanta, Sprite / 7up, Pepsi – alright.“
Alright? Ist das nicht Schleichwerbung? Konsumverherrlichung? Wo bleibt denn da der Jugendschutz? In Wahrheit ist es bloß das alte Pop-Spiel von der Subversion durch Affirmation, Bilderbuch beherrschen die Kunst der Übertreibung. Wo das Pathos endet und die Persiflage beginnt, ist bei ihnen schwer zu unterscheiden. Außerdem mögen die vier Musiker, die ihre Band schon mit 14, 15 Jahren gründeten, in den Songs zwar gern und gönnerhaft mit Porsches und Ferraris protzen: „Steig jetzt in mein Auto / Steig jetzt in mein Auto ein.“
Doch sie sehen eher aus wie Jungen (österreichisch: Buben), die mit dem Mofa unterwegs sind. Der blondierte Sänger Maurice Ernst prunkt mit Goldkettchen um den Hals und Strass (oder ist es gar ein Brillie?) im Ohr. Gitarrist Michael Krammer, ein Virtuose, probiert breitbeinige Rock’n’Roll-Posen in einem Nichts von T-Shirt durch, in dem sein Oberkörper nackt zu sein scheint. Keyboarder Peter Horazdovsky, der auch als Bassist fungiert, stellt die neurotische Innerlichkeit von Glenn Gould nach. Und Philipp Scheibl trommelt in einer weißen Latzhose, so als wäre es 1981 und er würde in einer Landkommune leben.
Hybridpop Richtung Abstraktion
Angefangen haben Bilderbuch mit Indierock, bevor sie die tieferen Dimensionen von HipHop und Retrofuturismus entdeckten. Auf „Magic Life“, ihrem im Frühjahr erschienenen, bislang besten Album, bewegt sich ihr Hybridpop weiter in Richtung Abstraktion, der Gesang ist mitunter bloß noch Geräusch. Beim Konzert bejubeln die Zuschauer jedes „Ho“ und jedes „He“ von Ernst und jeden seiner Michael-Jackson-Kiekser. Zwei Backgroundsängerinnen sorgen für Gospel-Feierlichkeit, die Stimmung changiert zwischen Euphorie und Ekstase.
Nicht immer gelingt es, die verschachtelten Arrangements der letzten beiden Platten live zu reproduzieren. So wird das Intro von „Maschin“, ein großer Todd-Rundgren-Moment mit flirrenden Retro-Synthies, stampfend weggepumpt. Auch die Autotune- und Vocodereffekte, mit denen Maurice Ernst seine Stimme pimpt, gehen mitunter im wogenden Partysound unter. Das sperrige Tonleiter-Geplucker in „Bungalow“, das ans Talk-Box-Geknatter in Peter Framptons Hit „Show me the way“ erinnert, klingt nach Keyboardroutine.
Ernst fuchtelt wie ein Klischee-Italiener, Stottern geht bei ihm fließend in Rappen über, mit seiner Mischung aus Lässigkeit und Penetranz erinnert er an den großen Falco. Schmäh hat er natürlich auch. Seine Ansagen provozieren: „Berlin ist keine wirklich gefährliche Stadt, oder? Aber wir waren in Offenbach, da darfst du im Dunkeln nicht auf die Straße gehen.“ Bilderbuch sind derzeit die größte Wiener Band der Welt. Maurice Ernst singt: „Ich brauch’ Power für mein Akku.“ Falsch. Dieser Bube hat noch viel Saft.
Christian Schröder