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Wollen wahre Lügen auftischen: Trümmer.
© Christoph Voy

Neue Alben von Trümmer und den Sternen: Wir fanden uns ganz schön bedeutend

Anfang der neunziger Jahre entstand in Hamburg eine neue Art Popmusik: der Diskursrock. Die Sterne gehörten zu den Pionieren. Jetzt veröffentlichten sie ihr zehntes Studioalbum. Gleichzeitig erscheint das bereits vorab gefeierte Debüt des Trios Trümmer.

Ab und zu, so ein, zwei Mal im Jahr wird von einer neuen, jungen Band geraunt, die angeblich den deutschsprachigen Indierock retten wird. Meist kommt diese mit viel Vorschusslorbeeren angepriesene Gruppe aus Hamburg, der Stadt mit einer einzigartigen Tradition an deutschsprachiger Rockmusik, angefangen mit Udo Lindenberg. Der letzte Hype galt dem Trio 1000 Robota, das in England gefeiert wurde, in Deutschland aber unterging.

Die neueste Sensation ist eine Band, die schon in ihrem Namen das Kaputtmachen und Neuanfangen, den Nullpunkt beschwört: Trümmer. Der Titel ist gleichzeitig eine Referenz an die Hamburger Diskursrock-Band Die Sterne und ihren gleichnamigen Neunziger-Jahre-Hit mit den berühmten Zeilen „Wir hatten Sex in den Trümmern, wir träumten / Wir fanden uns ganz schön bedeutend.“ Trümmer wurden 2012 in St. Pauli vom Sänger, Gitarristen und Songschreiber Paul Pötsch gegründet, der in einer Parallelstraße zur Reeperbahn wohnt. Tammo Kasper ist Bassist, Max Fenski spielt Schlagzeug.

In St. Pauli tobt gerade wieder einmal der Häuserkampf. Zuletzt wurden, nur einen Steinwurf von Pötschs Wohnung entfernt, die Esso-Häuser, zwei achtgeschossige Wohnhäuser aus den sechziger Jahren, abgerissen. Der Besitzer hatte sie bewusst verkommen lassen, es geht um millionenschwere Immobilienprojekte. Trümmer sehen sich als Teil des Widerstands gegen die Gentrifizierungstendenzen in immer mehr deutschen Innenstädten. Das erklärt zum Teil die Wut und die Vehemenz ihrer Musik.

„Unsere Lügen sind wahrer als das, was Ihr uns auftischt“, singt Pötsch und droht: „Wir verlassen die gemäßigten Zonen.“ Dazu poltert das Schlagzeug, und die Gitarrenriffs klingen hart und sägend, so wie man es schon aus dem Postpunk der achtziger Jahre kennt. Die drei Mittzwanziger wollen zur Rebellion aufrufen, wissen aber, dass jede Rebellion von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. „Ich dachte immer Jungsein heißt Dagegensein / Ich brauch’ nur ein paar Leute und alle stehen Kopf“, heißt es in „Straßen voller Schmutz“, einem der besten Stücke des Debütalbums, das beim bandeigenenen Label „Euphorie“ herauskommt.

Die großen Schlachten sind geschlagen, aus Euphorie ist Resignation geworden. Ironie ist ein Überlebensmittel, ein anderes die Liebe. Pötsch versichert: „Liebe ist ein Akt der Rebellion!“ Trümmer stellen sich selbst in eine Reihe mit Bands wie Messer aus Münster oder Die Nerven aus Stuttgart. Eine andere Bezugsgröße ist Rio Reiser. Nicht der Rio von Ton Steine Scherben, sondern der Rio der späteren Erfolgsplatten, der „König von Deutschland“. Die sonnendurchfluteten, herrlich sentimentalen Balladen „Zurück zum Nichts“ und „Morgensonne“ am Ende des Albums sind Hommagen an den Pionier des deutschsprachigen Politrocks. „Wir verlangen vom Leben, das es uns gehört / Und wir fangen einfach auf, was in der Luft herumschwirrt“, seufzt Pötsch mit hauchender Stimme.

Trümmer kennen sich aus in der Popgeschichte, ihre Songs stecken voller Anspielungen. „So viel philosophische Kraft war lange nicht im deutschen Pop“, jubelt „Spiegel Online“. Aber ob Trümmer sich wirklich zu neuen Königen der Hamburger Schule aufschwingen, den Diskursrock wieder beleben können? Dann müsste ihre Platte ähnliches Format besitzen wie die Debüt-Klassiker „Ich-Maschine“ von Blumfeld (1992), „Wichtig“ von den Sternen (1993) oder „Digital ist besser“ von Tocotronic (1995). Die Antwort: eher nicht.

Ihr zehntes Studioalbum, das am Freitag erscheint, haben die Sterne „Flucht in die Flucht“ genannt. Der Titel signalisiert einen paradoxen Eskapismus. Der Band, von deren Urbesetzung neben Sänger und Gitarristen Frank Spilker auch Bassist Thomas Wenzel und Schlagzeuger Christoph Leich durchgehalten haben, kommt es nach über 20 Jahren immer noch darauf an, zu entkommen. Den Erwartungen, dem Mainstream. Dabei steht „Flucht in die Flucht“ eigentlich für eine Rückkehr. Mit der fulminanten Vorgängerplatte „24/7“ (2010), bei der ihr Indierock durch elektronische Beats und Loops ersetzt worden war, hatten die Sterne Groove und Größenwahn versöhnt.

Nun setzen sie wieder auf Gitarren, die allerdings psychedelisch aufgerüstet wurden, verzerrt, hallend oder sphärisch klingen. Das Titelstück besteht aus schepperndem Rock, der durch Wenzels federnden Bass angetrieben wird. In Spilkers Gesang mischen sich Ironie und Resignation: „Hier kommt die Wende / Wir haben alles versucht / Hier kommt das Ende.“ Bei „Mach mich vom Acker“ schaukelt der Rhythmus wie ein müdes Pferd, Spilker nölt Weltverachtung: „Grillen und glotzen in winzigen Butzen / Hunde halten und unterdrücken / Was hab’ ich hier verloren?“ „Flucht in die Flucht“ gehört nicht zu den Perlen der Sterne-Discografie. Egal. Ihr nächstes Album kommt bestimmt. „Wir dachten, wir machten höchstens drei Platten“, sagt Spilker. „Aber wir haben den Absprung verpasst.“

„Trümmer“ von Trümmer ist bei Euphorie/PIAS erschienen. „Flucht in die Flucht“ von den Sternen kommt am 29. August bei Staatsakt heraus.

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