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Mann, hat der ’ne Fahne! Klaus Florian Vogt als Walther von Stolzing und Julia Kleiter als Eva.
© dpa

"Meistersinger" der Staatsoper: Wink- statt Denkelemente

Daniel Barenboim dirigiert an zwei Tagen der Einheit die „Meistersinger“ im Schiller Theater. Die Produktion wird wohl lange überdauern - jedoch nicht, weil sie das Publikum begeistert.

In keiner seiner Opern wird der zutiefst widersprüchliche Charakter Richard Wagners so deutlich wie in den „Meistersingern von Nürnberg“. Da ist der berüchtigte Monolog von Hans Sachs, in dem er vor „welschem Dunst mit welschem Tand“ warnt, einen Gegensatz aufmacht zwischen tiefsinniger deutscher Kunst und französisch-italienischer Unterhaltungsflachware. Doch tatsächlich gehören alle Sympathien des Komponisten dem Tenor Walther von Stolzing, diesem Ritter-Rocker, der mit seinem Hang zum Regelbruch die Nürnberger Handwerker und Freizeitdichter vor den Kopf stößt.

Wagner komponiert hier ein Plädoyer für die romantische Ausdruckskunst, bei der dem Interpreten das Gefühl vom Herzen direkt auf die Stimmbänder drängt – weshalb er sich von kunstvoller Künstlichkeit lösen muss. Und dann bricht Wagner, der Radikalste unter den Avantgardisten seiner Zeit, im Schlusstableau doch wieder eine Lanze für die Spießer, die sich an ihre Traditionen klammern. „Ehrt eure deutschen Meister“, ruft Sachs: Macht euch nicht lustig über die Korinthenkacker und Erbsenzähler, denn sie sind Buchhalter der Kunst, die in ihrem So-haben-wir-es-schon-immer-gemacht-Furor eben auch ein Erbe schützen, das zu bewahren sich lohnt.

Über all das lässt sich trefflich nachdenken, während die neue „Meistersinger“-Produktion der Staatsoper im Schiller Theater am Betrachterauge vorbeizieht. Denn Regisseurin Andrea Moses verzichtet auf eigene interpretatorische Ansätze. Optisch dominieren Deutschlandfahnen. Sie tauchen in jedem Akt auf, ohne jedoch jemals vom Wink- zum Denkelement zu werden. So bleibt es bei der Gardinenfunktion, zum Beispiel im 2. Aufzug, wenn sich Stolzing mit seiner Eva hinter einem schwarz-rot-goldenen Vorhang versteckt.

Praktikable Produktion für Intendanten - aber es fehlt die Magie

Es ist eine Inszenierung, wie Intendanten sie lieben. Handwerklich grundsolide, in konsensfähiger zeitgenössischer Optik – der erste Akt spielt in einem holzgetäfelten Sitzungssaal, der zweite auf dem Dach von Sachs’ Schuhfabrik, der dritte in drangvoller Enge vor dem fertig rekonstruierten Berliner Stadtschloss (Bühnenbild: Jan Pappelbaum). Geradlinig wird der Plot nacherzählt, sodass sich im Alltag des Repertoirebetriebs Umbesetzungen leicht einarbeiten lassen. Diese praktikable Produktion dürfte sich darum lange im Spielplan halten.

Wenn vor Beginn der Vorstellung der Vorhang bereits offen ist, wenn die Darsteller vom Parkett aus über den Orchestergraben hinweg die Bühne betreten, in ihrer Aufmachung kaum von den Zuschauern zu unterscheiden (Kostüme: Adriana Braga Peretzki), wenn sie wie bei einem Festakt Platz nehmen mit Blick in den Saal, dann scheint der Abend eine aktuellpolitische Richtung nehmen zu wollen: Wer schaut hier wen an, wer wird zum Akteur werden, wer passiver Konsument bleiben?

Doch nachdem die von Daniel Barenboim als kernig-fröhliche Lebensfeier zelebrierte Ouvertüre vorbei ist, senkt sich ein Kreuz herab, der Chor macht eine 180-Grad-Wende, aller Gegenwartsbezug verfliegt und das Spiel beginnt librettogetreu in der Nürnberger Katharinenkirche. Wirklich aufregend aber ist bei dieser Premiere – deren erster Teil am Samstagabend gegeben wird, während der Finalakt am Sonntagmittag folgt – letztlich nur die Besetzung der Nebenrollen. Weil die Handwerksmeister von einem Altstar-Ensemble verkörpert werden: Da zieht der 91-jährige Franz Mazura die Blicke auf sich, da sind mit Siegfried Jerusalem und Reiner Goldberg zwei der großen Wagner-Tenöre des späten 20. Jahrhunderts dabei, da leiht der legendäre Graham Clark dem Kunz Vogelgesang sein Trompetenorgan, und auch Olaf Bär ist mit von der Partie.

Es fehlt der magische Moment

Für Daniel Barenboim ist es die 20. Wagner-Neuinszenierung, die er an seiner Staatsoper leitet. Mit einer Souveränität, die sich längst Lässigkeit erlauben kann, führt er durch die Partitur, hält die kunstvolle, so genialisch Spieloperngestus mit barocker Rhetorik verbindende Musik stetig im Fluss, auf die selbstverständlichste, absolut natürlich wirkende Weise. Prachtvoll leuchten die Klangfarben der Staatskapelle, die Sänger wie der von Martin Wright vorbereitete Chor dürfen sich bei diesem Maestro in wohltuender Sicherheit wiegen.

Spitzenkräfte sind auf der Szene versammelt, Klaus Florian Vogt als strahlender Stolzing, die Eva-Debütantin Julia Kleiter, Wolfgang Koch als sehr direkter, geradliniger Hans Sachs, Kwangchul Youn als milder Pogner. Stephan Rügamer vermag den David trotz peinlicher Topfschnittperücke vor der Lächerlichkeit zu retten, und auch Markus Werba macht den Beckmesser nicht zur Witzfigur, agiert als Gralshüter wie als Liebender vielmehr anrührend hilflos und nimmt zudem mit seinem frei flutenden Bariton für den Stadtschreiber ein.

Nur eines fehlt bei all der aufgebotenen Qualität: der magische Moment, eine Szene, in der sich Unerhörtes ereignet, eine Passage der besonderen Innigkeit, ein Monolog von ergreifender Dichte. Festlich geht diese Aufführung über die Bühne – und ist sofort wieder aus dem Ohr. Eine hochkarätig besetzte Pflichtübung, wie die alljährlichen Staatsakte am 3. Oktober.

Weitere Aufführungen, bei denen alle drei Akte am Stück gespielt werden, finden am 7., 11., 15., 18. und 22. Oktober statt.

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