Daniel Barenboim im Interview: „Das ist mein Lebenswerk hier“
Staatsopern-Maestro Daniel Barenboim spricht im Interview über die „Trovatore“-Premiere mit Placido Domingo und Anna Netrebko, über Berlin und seinen baldigen Abschied von Mailand. Und er bricht eine Lanze für Sasha Waltz und ihre Tanzcompagnie, die Berlin unbedingt halten sollte.
Daniel Barenboim,, 1942 in Buenos Aires geboren, ist seit 1992 Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper Unter den Linden. 1999 gründete er das West-Eastern Divan Orchestra. Seit 2011 amtiert er auch als Musikdirektor der Mailänder Scala, 2015 gibt er das Amt wieder auf. Am heutigen Freitag dirigiert Barenboim erstmals Verdis „Trovatore“ an der Lindenoper. Es singen Anna Netrebko und Placido Domingo, ebenfalls in Rollendebüts. Alle Vorstellungen sind ausverkauft. Am Samstag erkundet Barenboim mit Musikern der Staatskapelle „Belcanto ohne Worte“, Variationen auf Werke von Bellini, Donizetti und Rossini (15 Uhr). Und am Sonntag wird der Maestro im Hamburger Schauspielhaus mit dem Marion Dönhoff Preis für internationale Verständigung und Versöhnung ausgezeichnet.
Herr Barenboim, heute Abend werden Sie Verdis „Trovatore“ zum ersten Mal in Ihrer Karriere aufführen. Auch Anna Netrebko und Placido Domingo geben Rollendebüts. Wie verlief das gemeinsame Probieren?
Ich bin sehr froh, weil wir auch menschlich eine stimmige Compagnie haben. Und wegen des Glücks, mit Gaston Rivero einen wunderbaren Tenor als Manrico gefunden zu haben. Eigentlich war er als Cover vorgesehen. Doch als Aleksandrs Antonenko erkrankt absagen musste, wollten wir gar nicht woanders suchen. Wir haben Gaston mitgetragen, er sang bislang an kleineren Häusern und macht es fantastisch. Gaston ist in Argentinien aufgewachsen. Domingo, er und ich sprechen als Tango-Fans oft über die großen Tangosänger von früher. Das kommt alles aus der italienischen Welt des Musizierens.
Der Belcanto scheint Sie gepackt zu haben: Am Samstag spielen Sie mit Musikern der Staatskapelle ein rares Programm mit Paraphrasen und Variationen, inspiriert von den Opern Bellinis, Donizettis, Rossinis. „Schöner Gesang“, ohne Worte. Gewöhnungsbedürftig für deutsche Ohren?
Die deutsche Kultur führt dazu, dass man in der Musik die Tiefe sucht, und wenn es schön klingt, dann ist es vermeintlich oberflächlich. Bei den Italienern ist es genau umgekehrt: Wenn es nicht schön klingt, ist es keine Kunst. Ohne Text sind diese Stücke von Chopin, Paganini, Martinu und Glinka besonders interessant, auch für die Kollegen im Orchester. Sie müssen jede Phrase so spielen, als ob sie Frau Netrebko oder Herr Domingo wären, die sie seit zwei Wochen in den Proben hören können. Und sie erfahren, wie die Triole plötzlich eine andere Richtung nimmt, wo man eine Fermate macht, obwohl sie gar nicht aufgeschrieben ist. Die Musiker haben wahnsinnig Spaß daran.
Seit Saisonbeginn haben Sie in Berlin ein Riesenprogramm absolviert; bei der Mailänder Saisoneröffnung werden Sie fehlen.
Wir dachten immer, wir würden die Staatsoper in diesem Jahr wiedereröffnen. Daher habe ich in Mailand gesagt, ich komme nicht zur Saisoneröffnung. Es war für die Kollegen hier sicher nicht leicht, mich vier Monate lang zu ertragen. Aber ich muss sagen, dass wir an stilistischer Flexibilität gewonnen haben. Wir haben Elgar gespielt, Verdi, Sacre, Debussy, Ravel, Widmann, Lutoslawski, Mozart und Berg. Ich bin natürlich voreingenommen, aber ich kenne heutzutage kein anderes Orchester, das eine solche stilistische Flexibilität besitzt wie die Staatskapelle. Und in Mailand war es in den letzten Jahren interessant für mich, mit einem Orchester, das ganz selbstverständlich Bellini, Donizetti und Verdi spielt, den „Ring“ zu machen, „Tristan“ und „Lohengrin“.
Und wie hat die Arbeit an Verdi und Wagner mit zwei so verschiedenen Orchestern Ihre Sicht auf die Jubilare 2013 verändert?
Sie hat dazu geführt, dass ich mich beiden vom Gesichtspunkt des jeweils anderen näherte. Vorher hatte ich nie das Bedürfnis, mich mit Wagner zu beschäftigen und mich dabei zu fragen, was ist hier anders als bei Verdi, oder umgekehrt. Der philosophische Unterschied liegt für mich darin, dass Verdi klanglich vom Dasein handelt und Wagner vom Werden. Verdis Mischung aus fanatischer rhythmischer Strenge mit einer melodischen Freiheit – beides wäre falsch bei Wagner. Wagner ist bestimmt vom harmonischen Hin und Her, von der Ambiguität. Es gibt Momente, da muss man sich Zeit nehmen, um die harmonische Unsicherheit zum Ausdruck zu bringen. Verdi dagegen lebt von einer sehr strengen rhythmischen Haltung, und das Rubato stammt von der Melodie, nicht von der Harmonie.
Das klingt, als würden Sie Mailand vermissen, wenn Sie 2015 Ihre Arbeit als Musikchef der Scala beenden.
Ich habe mich sehr wohl in Mailand gefühlt, ich liebe das Orchester und das Theater. Aber ich kann auf Dauer nicht beides machen. Wir haben Stücke koproduziert, die wichtig für beide Häuser waren, „Der Spieler“, den „Ring“, „Zarenbraut“. Aber die Scala verdient jemanden, der die ganze Zeit da sein kann.
Sucht sich der nimmermüde Barenboim jetzt noch eine andere Beschäftigung?
Nein, ich höre in Mailand nur auf, weil ich muss. Es wird sonst alles zu viel. Hier startet bald die Akademie des West-Eastern Divan Orchestra, die ein revolutionäres Konzept von Musikerziehung verfolgt. Da möchte ich dabei sein.
Es gibt in Berlin noch ein Orchester, das Ihnen seit Jahrzehnten sehr verbunden ist und einen neuen Chef sucht …
Ich weiß gar nicht, welches Sie meinen. (lacht) Im Ernst: Das ist mein Lebenswerk hier. Ich habe an der Scala immer offen gesagt: Ich kann und will nicht weg aus Berlin. Wenn ihr mit mir für eine Zeit zufrieden seid, mit allem, was ich geben kann, wunderbar. Letztes Jahr dirigierte ich beim großen „Ring“-Projekt monatelang in Berlin, und fünf Monate in Mailand. Dazu das Klavierspiel, das war zu viel.
Nach dem „Trovatore“ geht es für Sie weiter mit Wagners „Tannhäuser“. Was nehmen Sie mit aus der Welt des Belcanto?
Im „Holländer“, im „Lohengrin“ und „Tannhäuser“ findet sich viel Belcanto. Wagner schrieb ja, es solle klingen wie italienische Oper. Da gibt es schon eine Verbindung. Ich bin sehr gespannt auf „Tannhäuser“ – auch auf die Zusammenarbeit mit Sasha Waltz. Sie ist eine ganz große Künstlerin. Ihr Platz ist in Berlin, man muss es schaffen, dass sie hier arbeiten kann. Natürlich muss sie auch realistisch bleiben, was die Möglichkeiten betrifft.
Berlins Haushälter schlagen vor, Sasha Waltz und ihrer Compagnie künftig 500 000 Euro als dem Etat der Opern zu geben. Was halten Sie davon?
Meinen die, dass die Opernstiftung zu viel Geld hat? Interessant: Der Kulturetat ist vergleichsweise winzig, aber man spricht darüber, als ob er 98 Prozent ausmachen würde. Berlin ist nach dem Mauerfall eine Weltkulturmetropole geworden. Das ist faszinierend für mich als Ausländer – ich bin ja kein Deutscher, wohl aber Berliner. Alle jungen Leute wollen hierher.
Würden Sie denn etwas von Ihrem Etat an Sasha Waltz abtreten?
Das kann ich gar nicht, ich bin kein Intendant. Aber ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, damit sie hier arbeiten kann.
Intendant Jürgen Flimm verlängert seinen Vertrag, weil er wenigstens eine Spielzeit in der sanierten Staatsoper erleben will …
Das heißt, er bleibt bis 2030!
– Das Gespräch führte Ulrich Amling.