Der Comiczeichner Leopold Maurer: Windmühlenkämpfe des Lebens
Urkomisch, schlicht und ergreifend: Mit Comics wie der jetzt veröffentlichten Erzählung „Kanal“ schafft Leopold Maurer groteske Abbilder der Wirklichkeit – mit leiser Melancholie und großem humoristischen Potenzial.
Eine rauchende und saufende Kanzlerin, die ihren Machterhalt durch das aberwitzige Vorhaben gesichert sieht, mittels eines Kanals das Meer ins Binnenland zu holen. Ein Berater im Kanzleramt, der – obwohl skeptisch – jeden Satz mit einem „Ja“ beginnt. Ein wackeres Tiefbauunternehmen, inklusive visionärem Ingenieur und marxistischen Idealen nachhängendem Arbeiter. Eine desillusionierte Wissenschaftlerin, die ihre Profession in den Dienst des Meistbietenden stellt. Ein Liebespaar mit typischer Rollenverteilung und mal mehr, mal weniger schief hängendem Haussegen. Und viele kleine Inkarnationen des Schicksals, die heiter und vergnügt im Rudel leben: Diese Zutaten genügen dem Wiener Comickünstler Leopold Maurer, um eine beißende Bestandsaufnahme einer Gesellschaft am Abgrund zu zeichnen.
Zur Macht gehört der Missbrauch
In seinem neuen Band „Kanal“ inszeniert Maurer ein Sittengemälde als Parabel, die das politische System als absurden Apparat aus Missgunst, Missbrauch und Missmut entlarvt. Mit seinem bewährten, auf das Nötigste reduzierten Strich entwirft er Szenen, deren Übergänge zwischen den einzelnen Episoden einfach, aber äußerst effektvoll aufzeigen, dass letzten Endes alle im gleichen Boot sitzen. Dabei blitzt der Soziologe in ihm humorvoll durch, der Wiener Schmäh eh. Und auch, wenn sich der 104 Seiten starke Band mühelos in einem Happen verschlingen lässt, wohnt ihm doch eine bedeutsame Schwere inne. „Kanal“ scheint genau zur rechten Zeit herauszukommen. Gut, Korruption, Katastrophen und, nun ja, Kanäle begleiten unser anmaßendes Geschlecht schon seit jeher. Angesichts des Fracking-Irrsinns haut Maurer aber zur richtigen Zeit in die richtige Presche.
Die Erkenntnisse, dass Macht wohl nie ohne Missbrauch auskommt, dass sich die Gesellschaft – von den auf Listenplätzen Vermerkten bis zu den Wählern – überwiegend aus Trotteln rekrutiert und dass das Schicksal vielgestaltig und überall ist, sind jeweils keine bahnbrechenden. Maurers Blicke auf die Windmühlenkämpfe des Lebens werden aber stets von ätzender Komik begleitet, was die Endzeitstimmung bei allem bitterem Beigeschmack sehr bekömmlich macht. Darüber hinaus kanalisiert der Band die Blicke in allegorische Bedeutungsebenen, die unmittelbar einleuchten, obwohl sie in ihrer Gesamtheit recht kryptisch bleiben. Schon stark, alles in allem. Dass infolge des Allegorischen die existenzialistische Tragweite seiner früheren Werke etwas flöten geht, ist entsprechend nur insofern traurig, dass diese eben daraus ihre Größe bezogen, während „Kanal“ auf andere Karten setzt.
In „Kanal“ bringt Maurer es fertig, große Zusammenhänge mit überschaubarem Personal in kleine Episoden zu packen und das Ergebnis als Komödie zu verkaufen. Seine beiden Vorgängeralben schlagen den umgekehrten Weg ein. In diesen bekommt man es mit skurrilen Figuren zu tun, die die Welt vor große Aufgaben stellt, während Maurer nach und nach die Abgründe deren Innenwelten offenlegt.
Melancholie auf dem Mars
„Mann Am Mars“, sein 2011 erschienenes Werk, ist diesbezüglich ein beispielhaftes Kleinod. In Form einer fortlaufenden Comicstrip-Reihe erzählt es von der Marsmission eines Astronauten, der – unterstützt von seinem Kollegen, der Schildkröte Darwin – das Marsgestein auswerten soll. Der Comic stellt ein maßlos aufregendes Abenteuer mit der alltäglichen Lebenswirklichkeit eines Erwerbstätigen gegenüber. Das schlägt vor allem dann humoristische Kapriolen, wenn auch die sensationellen Begegnungen mit außerirdischem Leben zur öden Routine werden. Kombiniert mit der leisen Melancholie, die wohl vom Saturn Richtung Roter Planet herüberweht, folgt man dem „Mann Am Mars“ stets mit einem lachenden und einem weinenden Auge bei seiner grenzenlos absurden Sisyphusarbeit.
Ähnliche Wege beschreitet auch „Miller & Pynchon“, Maurers beachtliches Comic-Langdebüt. Der Band handelt von zwei Landvermessern, die mit der Aufgabe betraut sind, eine Demarkationslinie von Nord nach Süd zu ziehen. Neben ihrem Arbeitgeber haben die titelgebenden Helden nicht viel gemein: Miller ist ein an den weltlichen Genüssen gescheiterter Mönch mit Ambitionen zum amourösen Abenteurer. Pynchon ist eher der introvertierte Geistesmensch. Einer, der sich trotz seines ergriffenen Berufs als Astronom und Mathematiker inszeniert und sich gegenüber dem antriebslosen Miller als Chef aufspielt, im Grunde jedoch ein Mamasöhnchen ist, der den tragischen Episoden seiner Vergangenheit nicht entkommt.
Die Vermessungsmission von Nord nach Süd lotet nach und nach auch die Niemandsländer in den Seelen der Protagonisten aus. Dass die Einblicke in die inneren und äußeren Vermessungsarbeiten dabei von ambitionierten Kanalkrokodilen, dunklen Flüchen, unverhofftem Nachwuchs, flüchtigen Flirts und zermalmenden Käselaiben initiiert werden, stößt dabei keineswegs unangenehm auf. Im Gegenteil: Abwegiges, Surreales und offenkundiger Nonsens eignen sich in den richtigen Händen sehr gut, um zum Kern des Wahns durchzustoßen und um auf das notwendige Scheitern hinzuweisen, das den erwartet, der dem Wesen der Welt habhaft werden will.
Maurers Blick auf die Welt ähnelt dem seiner Landsleute Nicolas Mahler oder Josef Hader. Wer den melancholischen Grundtenor der Werke dieser Herren bejahen kann und gleichzeitig das inhärente komische Potenzial darin erkennt, wird auch an Leopold Maurer viel Freude haben.
Leopold Maurer: Kanal, Luftschacht-Verlag, 104 Seiten, 15,50 Euro. Leseprobe auf der Verlags-Website.
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