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Brahms befragen. Das DSO und sein Leiter Robin Ticciati.
© Peter Adamik

Brahms-Zyklus beim Deutschen Symphonie-Orchester: Wind in den Segeln

Robin Ticciati und das Deutsche Symphonie-Orchester vollenden ihren Brahms-Zyklus.

Es klingt vieles nach von den ersten beiden Brahms-Abenden, die Robin Ticciati mit seinem Deutschen Symphonie-Orchester in der Philharmonie aufgeführt hat. Etwa die gelöste Atmosphäre, mit der Solisten hier umarmt werden, die daraufhin als Zugaben stets etwas besonders Abseitiges spielen, wie ein Erkennungszeichen unter freundschaftlich Verschworenen. Vor allem aber bleibt der starke Eindruck, dass Ticciati hervorragend in die Entdeckungslinie des DSO passt. Ticciati, das spürt man zu Beginn des dritten Programms, profitiert von der Feinarbeit seines Vorgängers Tugan Sokhiev, ohne sich darauf auszuruhen. Vielmehr treibt er die Suche nach einem kammermusikalisch transparenten Klangbild entschlossen weiter.

Von Schönberg verehrt

Die Dritte genießt einen Sonderstatus im Rahmen der Brahms-Perspektiven des DSO. Hier ist es die Symphonie, die den Abend eröffnet, ohne musikalische Hinführung oder Umleitung. Drei kräftige Bläserakkorde geben einen Impuls, der das Werk wellenartig durchspült. Ticciati nimmt den Druck schnell zurück, seine Streicher klingen immer ein bisschen über dem Grund treibend, mehr im Wasser als auf der Erde beheimatet. Im zweiten Satz stellt er die Motivbausteine so kristallin heraus, dass man an Schönberg denken muss, der Brahms einen Fortschrittlichen nannte.

Fern allerdings hält sich der DSO-Chef den Emotionen. Das Allegretto kennt bei ihm keine Rückschau auf vergangenes Glück, keine Wehmut. Vielleicht, weil es ihm eine so große Freude ist, diese Musik jetzt spielen zu können. Doch die immerwährende Gegenwart im Fühlen verengt das Spektrum, zumal man bei Brahms ohnehin keine Angst vor ungebetenen Geständnissen haben muss.

Seelenkunde in den Salons

Die Kombination mit Debussys „Jeux“ zeigt keine neuen Bezugspunkte auf, eher leidet der Franzose etwas unter dem deutschen Einfluss in der Artikulation, schwingt weniger licht als das eigentlich Ticciatis Absicht sein müsste. Bei Wagners Wesendonck-Liedern begleitet das DSO feinfühlig eine großartig aufgelegte Dorothea Röschmann. Welchen Weg hat diese Stimme von Mozart kommend zurückgelegt, die jetzt so klar und doch tiefenkundig die Salons und ihre Dramen durchschreitet, erhobenen Hauptes.

Der letzte Abend springt auf Bach zurück. Doch es bleibt nicht bei einem rein dramaturgischen Kniff, um zu zeigen, wie sehr Brahms das Studium des alten Meisters pflegte. Kristian Bezuidenhout spielt am modernen Flügel ein Präludium aus dem „Wohltemperierten Clavier“, erfüllt von einer Lebendigkeit, die ohne Absetzen auf Bachs 2. Klavierkonzert überspringt. Orchester und Solist finden darin zu einer vielfarbigen Klangeinheit, die die Ohren öffnet für Aribert Reimanns „Fragments de Rilke“, einer Uraufführung für Sopran und ausgelichtetes Orchester, mit je vier Streichern und allen erdenklichen Abstufungen bei Flöten und Klarinetten. Sarah Aristidou schwingt sich mit bebender Autorität durch Reimanns Weltauslotung. Dass ihr dies so überzeugend gelingt, liegt auch an Reimanns großem Feingefühl für die weibliche Stimme. Über schroffe Cellolinien und eine furchtlos in die Tiefe stürzende Kontrabassklarinette ordnet sich die Reflexion über das Leben in „tiefer Liebe, die sich von der Erde erhebt“.

Unbelastet aufbrechen

Ticciatis Brahms-Orchester erreicht seine größte Ausdehnung mit der Vierten, er spielt sie mit 16 Ersten Geigen, so, wie es sich Hans von Bülow für die Uraufführung wünschte. Die motivische Keimzelle ist noch reduzierter geworden, die Kunst, sie zu entwickeln, strebt unterdessen zu ihrem Höhe- und Endpunkt. Weicher soll sein volles Orchester keinesfalls klingen, entscheidet der DSO-Chef und dirigiert die Vierte mit überraschender Sehnigkeit. Das Geheimnis der dunklen Brahms-Mittellage wird gestreift, aber nicht gelüftet, als wolle Ticciati hier nicht an Fahrt verlieren, sondern unter frisch geblähten Segeln auf Kurs bleiben. Seine Musikerinnen und Musiker zeigen keinerlei Ermüdungserscheinungen, nichts klingt gefühlsmäßig ermattet. Das ist, zumal bei Brahms, keine geringe Kunst. Sie richtet ihr Bestreben weniger darauf, mit vollen Taschen zurückzukehren, sondern möglichst unbelastet aufzubrechen.

Wie viel das wert ist, enthüllt eine musikalische Lesung im Anschluss: Corinna Harfouch und Sylvester Groth zitieren aus dem Briefwechsel zwischen Clara Schumann und Brahms. Selbst ein kurzer Ausschnitt in diesen Lebensdialog lässt tief blicken. Zu Beginn seine schwärmerische Liebe, ihr Beharren auf erlittenem Leid. Dann Brahms’ Versuche, die ersehnte Frau zumindest räumlich zu binden. Die Verletzungen, die plötzlich aus den Zeilen purzeln, das Abkühlen schließlich. Zwischen den beiden weit voneinander entfernt postierten Sprechern spielt Bezuidenhout am Flügel aus den Intermezzi, lauscht hinein in ihren hypnotischen Fluss. In ihm lebt fort, was sich kaum sagen lässt, etwas zart Verwandelndes. Robin Ticciati hört im Stehen zu. Sein nächster Brahms wird nicht derselbe sein.

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