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Aus dem Gymnasium heraus hat Fritz Neff die Zerstörung der Synagoge von Brühl heimlich fotografiert.
© Archiv der Stadt Brühl, Sammlung Neff

Pogromnacht 1938: Wie sich ein SA-Mann mit der Zerstörung der Synagoge von Brühl brüstet

Grausamer Bericht: Wie sich ein SA-Mann mit der Zerstörung der Synagoge von Brühl brüstet.

Rauchschwaden hüllen die Synagoge von Brühl ein, der Rauch verdichtet sich immer mehr. Bald ist der kleine Kuppelturm mit dem Davidstern nicht mehr zu sehen. Menschen versammeln sich auf der Brühler Friedrichstraße und schauen dem Brand zu. Kinder aus dem Gymnasium gegenüber gehen mit ihren Schulranzen auf die Straße und betrachten das Spektakel. Erst als der dichte Rauch die ersten Dachziegel herausdrückt und der Brandherd so mehr Sauerstoff bekommt, lichtet sich der Rauch. Dachgaube und Kuppelturm brennen lichterloh.

Jetzt erst sieht man auf der Straße ein Feuerwehrauto, aus dem die Feuerwehrmänner Schläuche hervorholen. Mit einem einzigen Wasserstrahl zielen sie auf den Turm der Synagoge, als dieser schon fast abgebrannt ist. Die Straße ist nun von beiden Seiten gesperrt. Die Löscharbeiten wirken wie ein Alibi – der halbherzige Einsatz kann nichts mehr retten. So geschehen am 10. November 1938 in Brühl im Rheinland.

Die jetzt in der Ausstellung „Kristallnacht – Antijüdischer Terror“ in der Topographie des Terrors gezeigten Fotos dieses Verbrechens stammen aus dem Stadtarchiv Brühl. Aufgenommen hat sie der Fotograf Fritz Neff (1907–1982) aus dem gegenüberliegenden Gymnasium.

„Wir sollten die Schaufenster zertrümmern“

Acht bis zehn Nationalsozialisten sollen an den Aktionen beteiligt gewesen sein, berichten Zeitzeugen. Der Stadtobersekretär und SA-Führer Hans Schaaf (1905–1969) hat sogar einen dreieinhalbseitigen detaillierten, zynischen Bericht über die Aktionen am 9. und 10. November 1938 verfasst, der nach dem Krieg im Schreibtisch seines Dienstzimmers gefunden wurde.

Am liebsten hätte er schon nach Bekanntwerden des Todes von Botschaftssekretär Ernst Eduard vom Rath (1909– 1938) in Paris am Abend des 9. November losgeschlagen, doch man beschied ihm, auf Befehle des Sturmbanns von Köln zu warten. „Um 10 Uhr rief der Sturmbann, als wir schon vor Ungeduld halb verrückt geworden waren, endlich an, wir sollten die Schaufenster zertrümmern, die Einrichtungen selbst aber nicht demolieren und die Juden nicht anfassen“, schreibt Schaaf in seinem Bericht. Daraufhin gehen er und SA-Hauptsturmführer Karl Donix mit zwei weiteren SA-Männern der Stadtverwaltung in die Lagerräume der Stadt, um sich mit „Material“ zu bewaffnen. Zuvor hatten sie noch versucht, „verschiedene zu solchen Unternehmungen geeignete Kameraden zu erreichen, was uns aber nur teilweise gelungen ist“. Zwei weitere SA-Männer schließen sich ihnen unterwegs an.

Minutiös schildert Schaaf die Aktionen: „Donix und ich führten voller Grimm den ersten Schlag gegen die Schaufenster, dass es nur so klirrte und ich beinahe, da mir noch die nötige Routine fehlte, von einem herausfallenden meterlangen Glassplitter getroffen worden wäre. Dann ging es in den Saftladen selbst hinein, wo wir unter Wehgeheul der Juden, das uns wie lieblichste Musik in den Ohren klang, aufräumten.“

Die Synagoge wurde „sachgerecht in Brand gesteckt“

Doch nicht alle waren mit so viel Eifer bei der Sache wie Schaaf und Donix. „Für die Nerven der SA-Männer Jagdmann und Meyer war das zu viel. Sie wurden leichenblaß, zitterten nur und verschwanden. Wir aber kamen jetzt erst richtig in Fahrt.“ Fast alle Geschäfte und Wohnungen der Brühler Juden waren verwüstet worden. Inzwischen hatten sich die Aktionen herumgesprochen. „Die Straße war schwarz voller Menschen. (…) Die Nazis haben da so gebrüllt, völlig isoliert in der Menschenmenge“, erinnert sich später ein Zeitzeuge. Doch niemand aus der Menge bot der Handvoll SA-Männer Einhalt.

„Als diese Arbeit geschaffen war, sagte ich: Jetzt auf zur Synagoge“, brüstet sich Schaaf in seinem Bericht. „Die Synagoge wurde säuberlich bearbeitet und sachgerecht in Brand gesteckt“, schreibt er weiter. Man habe seinem Zorn freien Lauf gelassen. Danach habe man sich im Stadtlager erst einmal stärken müssen. Schaaf entdeckt dort eine Kanne mit Petroleum und findet, „daß man den Brand etwas beschleunigen könnte. (...) Unter Mitnahme der Kanne wieder zurück zum Judentempel. Hier hatte sich eine große Volksmenge angesammelt, die uns schienen teils freudig, und verständnissinnig, teils mit finsterer Miene verfolgten. Besonders die Kanne wurde mit großem Interesse betrachtet“, so Schaaf. Aber niemand hindert sie daran, die schon brennende Synagoge noch einmal zu betreten. „In dem Judentempel war der Brand, den wir im ersten Stock angelegt hatten, schon soweit fortgeschritten, daß wir nur mit Mühe und Not und unter vielem Husten unser Petroleum ,anbringen‘ konnten“, schreibt Schaaf, der es genießt, dass sich draußen nun auch lokale Naziprominenz versammelt hat.

Schaaf beschreibt seine Verbrechen bis ins kleinste Detail

Auch hier löschte die Feuerwehr nur pro forma, viel zu spät und mit geringem Einsatz.
Auch hier löschte die Feuerwehr nur pro forma, viel zu spät und mit geringem Einsatz.
© Archiv der Stadt Brühl, Sammlung Neff

Als die Flammen aus dem Dach schlagen und das Türmchen in sich zusammenfällt, ist der SA-Führer mit seinem Werk zufrieden. Der Brand breitet sich jetzt schnell aus, und man befürchtet ein Übergreifen auf die Nachbarhäuser. Die Feuerwehr sei verhindert gewesen, dann aber doch gekommen. „Schadenfeuer in der Synagoge ausgebrochen, Ursache vermutlich Kurzschluss“, meldet der Wehrführer. Die Feuerwehr war damals längst gleichgeschaltet. An einem Nachbarhaus war geringfügiger Sachschaden entstanden. Der Ortsgruppenleiter Rösing gibt nun den Befehl, „auch in den Wohnungen der Juden alles restlos (zu) zertrümmern“.

Sie leisten ganze Arbeit, suchen auch noch einmal das Haus von Rolf Hope (1910–1942) auf, der den zertrümmerten Laden fotografiert haben soll. Sie finden ihn in einem Versteck auf dem Dachboden. „Unter dem wahnsinnigen Geheul der Judenweiber (…) wurde der Judenhund die Treppe herunter befördert.“ Hope wurde in das KZ Dachau verschleppt.

Minutiös und genüsslich schildert Schaaf seine Verbrechen, beschreibt, wie sie das Mobiliar aus den Fenstern werfen und die Menschen verhöhnen. Um 18 Uhr kommt der Befehl, alle Aktionen einzustellen, was er bedauert. Dann werden die jüdischen Männer gezwungen, aus einer Holzhandlung Holz zu holen und aufzuräumen.

„Nur die Parteidisziplin, das Verbot, die Schweine anzufassen, hat mich davon abgehalten, diesen Bestien den Schädel einzuschlagen, daß ihre Gehirne herumgespritzt waren, wie die Glasscherben der Schaufenster.“ Der SA-Führer bedauert, dass „Pack“ die Situation zum Plündern missbraucht habe, ansonsten zeigte er sich mit der „Leistung“ seiner Kameraden zufrieden. Doch er musste auch feststellen: „Das Volk stand der Aktion im Allgemeinen ohne Verständnis, wenn nicht sogar ablehnend gegenüber.“ Aufbegehrt aber hatte niemand.

Seit 1993 gibt es eine Gedenkstätte für die Synagoge

Zehn Jahre später, 1948: Zwölf der Täter jener Nacht werden zu Haftstrafen verurteilt, darunter Schaaf und Donix, die zwei Jahre Zuchthaus erhalten. Es wird der von den Alliierten eingeführte Straftatbestand der „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ eingeführt und angewendet. Doch nur Donix muss seine Strafe komplett verbüßen. Andere kommen vorzeitig frei, ein Verurteilter muss seine Strafe erst gar nicht antreten.

1958 wird in Brühl zum ersten Mal an die sogenannte Kristallnacht erinnert, unter anderem durch Mitwirken des Schriftstellers und späteren Literaturnobelpreisträgers Heinrich Böll (1917–1985). Der spätere EU-Kommissar Günter Verheugen, der 1963 am Brühler Gymnasium sein Abitur machte, sagte einmal: „Bis heute finde ich es unverzeihlich, dass in neun Jahren Geschichtsunterricht nicht ein einziges Mal ein Lehrer auf die Idee kam, uns ans Fenster zu rufen, auf die andere Straßenseite zu zeigen und uns zu erklären, dass dort bis 1938 eine Synagoge gestanden hatte – und warum sie dort nicht mehr stand.“

Seit 1993 gibt es nun eine Gedenkstätte für die Synagoge am Nachbarhaus. Mit einem Schweigemarsch wird an die Geschehnisse von damals erinnert. Auch die Fotos von Fritz Neff mahnen. In Berlin sind sie nun zu sehen.

Bürgermeister Dieter Freytag ist es wichtig, immer wieder an die jüdischen Mitbürger von damals zu erinnern. So trug sich am 12. Oktober Georg Zwi Rejzewski in das Goldene Buch der Stadt ein. „Hier hatte ich als Kind eine schöne Zeit, bis der schwarze Tag kam“, sagte er bei der Zeremonie.

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