Ausstellung im DHM: Wie Sheindi Ehrenwald Auschwitz überlebte
Als Sheindi Ehrenwald 14 war, wurde sie nach Auschwitz deportiert. Das Deutsche Historische Museum zeigt ihre Tagebuchaufzeichnungen.
„Meine Schwester ist kalkweiß und murmelt nur drei Wörter zwischen den Zähnen: Wir sind verloren“, schreibt die 14-jährige Sheindi Ehrenwald am 19. März 1944 in ihr Tagebuch. Sie lebt in der damals ungarischen Kleinstadt Galánta.
Die Deutschen sind an diesem Tag in Ungarn einmarschiert. Wenige Wochen später muss die Familie in einen Güterwaggon steigen, dessen Ziel das Vernichtungslager Auschwitz ist. Die Nazis ermorden dort Sheindis Eltern, Großeltern und mehrere ihrer Geschwister. Sheindi überlebt.
Das Tagebuch, in dem sie ihre Geschichte festhielt, konnte sie nur unter Lebensgefahr bewahren. Ein Dreivierteljahrhundert hielt sie es versteckt. Jetzt übergibt die 90-Jährige ihre Aufzeichnungen dem Deutschen Historischen Museum. Sie sind seit Donnerstag als Teil der Dauerausstellung zu sehen.
Was hat ihr Kraft gegeben, den Schrecken dieser Zeit für die Zukunft zu dokumentieren? „Ich wollte eine Welt, in der es keinen Hass gibt, in der Menschen einander verstehen“, sagt Sheindi Miller-Ehrenwald bei der Eröffnung im Zeughauskino des Deutschen Historischen Museums. Miller-Ehrenwald ist mit ihren 90 Jahren erstaunlich vital.
Zur Premiere einer Filmproduktion über ihr Leben sind Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble und Staatssekretärin Sawsan Chebli gekommen. Außerdem Julian Reichelt, Chefredakteur der „Bild“. Seine Zeitung hat die Videodokumentation produziert und die Ausstellung ermöglicht. Der Film wird bis zum 30. Januar täglich um 15 Uhr im Zeughauskino gezeigt und ist auf bild.de/sheindi zu sehen.
Abschied für immer
Am 12. Juni 1944 wird die Familie Ehrenwald in einen Güterwaggon gesperrt, ohne Wasser und Nahrung. Zwei Tage und zwei Nächte später kommt der Zug im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau an. Sheindi ist es gelungen, die zerknüllten Seiten aus ihrem Tagebuch bei sich zu behalten. Von den Eltern und Großeltern kann sie sich in der Hektik am Bahnhof nicht verabschieden. Sie wird sie nie wiedersehen. Wahrscheinlich wurden sie gleich nach der Ankunft ermordet.
Den Kindern, die weiterleben, werden im Lager die Haare abrasiert. Endlich sieht Sheindi ihre Schwester Yitti und die Freundin Dóri wieder. „Als wir uns sahen, lachten wir, anscheinend waren wir nicht mehr bei Sinnen, wir verloren den Verstand. Statt laut zu schreien lachen wir“, schreibt sie in ihr Tagebuch.
Nah an den Quellen
Es ist die Stärke dieses neuen Ausstellungsteils, dass er so persönliche Zeugnisse neben Dokumente der Nazis stellt. Die sorgsam ausgewählten Quellen sprechen für sich, bedürfen kaum noch einer Kommentierung. Dem Museum gelingt damit eine eindringliche Darstellung des Leidens der Entrechteten in der nationalsozialistischen Terror-Bürokratie.
Im Sommer 1944 wird Sheindi aus Auschwitz abgeholt und nach Peterswaldau in Niederschlesien transportiert. Sie muss in einer Rüstungsfabrik der Nürnberger Firma Karl Diehl Munition herstellen. Die zerknüllten Seiten ihres Tagebuchs hat sie mitgeschmuggelt. Jetzt überträgt sie die Texte auf Laufkarten der Fabrik. Das sind Papierbögen, die für die Dokumentation der Fabrikabläufe genutzt werden. Sheindi kann immer wieder Karten aus dem Müll retten. Diese Karten sind es, die sie über 70 Jahre lang hütete und nun dem Museum übergibt.
Die Stimme der Opfer
Kein Wunder, dass es Miller-Ehrenwald gar nicht leichtgefallen sei, diese Dokumente aus der Hand zu geben, wie sich Museumsdirektor Raphael Gross in seiner Rede erinnert. Im DHM werden die Aufzeichnungen Miller-Ehrenwalds an der bisherigen Stelle des Auschwitz-Modells des Künstlers Mieczysław Stobierski gezeigt – ein Bekenntnis dazu, den Opfern des Holocaust im Gedenken eine Stimme zu geben.
Am Abend der Eröffnung hat Miller-Ehrenwald ihre große Familie aus Israel mitgebracht. Sie füllen mehrere Reihen im Zeughauskino, hin und wieder macht sich ein Baby bemerkbar. 40 Urenkel habe sie, sagt Sheindi Miller-Ehrenwald. Jeder einzelne ist ein Triumph über die Nazis.