#MeToo als Theaterstoff: Wie kann man heute noch Sex haben?
#MeToo: Immer noch? Ja, auf jeden Fall! Das Stück „Yes But No“ am Maxim Gorki behandelt den aktuellen Genderkonflikt um Macht, Beachtung und Deutungshoheit.
Da war dieser berühmte Volksbühnen-Regisseur, bei dem alle Schauspielerinnen grundsätzlich nur „die Ilse“ hießen. Seine erste Anweisung an die Studentinnen und Studenten im dritten Jahr lautete: „Zieht euch aus“. Dann sollte Taner Sahintürk wie ein Löwe auf die Bühne kriechen, Sex mit einer Kollegin performen, sich in die Hand scheißen, mit Fäkalien Hakenkreuze malen und eine Deutschlandfahne beschmieren. Als Sahintürks Kollegin, noch jung und sehr schüchtern, darum bat, die Szene nicht nackt spielen zu müssen, kam die unwirsche Antwort: „Wenn das zu viel für dich ist, kriegst du ne Windel an“.
Wie der Regisseur hieß? Nicht schwer zu erraten: Johann Kresnik. Aber spielt das eine Rolle? „Wenn man Namen nennt“, wendet Taner Sahintürk im Stück „Yes But No“ von Yael Ronen ein, „spricht man über einen Haufen Perverser. Und nicht über das strukturelle Problem.“ Vielleicht hat auch deshalb nie jemand einen #MeToo-Post über diese Produktion mit den Schauspielstudierenden geschrieben.
#MeToo? In Chemnitz wird gerade der Hitlergruß zum Massensport, ohne dass Kresnik dabei Regie führt, Seehofer nennt Migration „die Mutter aller Probleme in Deutschland“ und ausgerechnet das Gorki-Theater widmet sich zum Spielzeitauftakt einer Debatte, die sich zuletzt darum drehte, ob ein 17-jähriger Schauspieler durch den Blowjob einer älteren Kollegin derart traumatisiert werden kann, dass er auf Jahre arbeitsunfähig ist. Ernsthaft?
Yonens krampflösende Unverschäntheit tut der Debatte gut
Ja. Zum Glück! Denn erstens ist die #MeToo-Debatte über Deutschland allzu geräuschlos hinweggezogen. Es gab den Fall Dieter Wedel, ein paar weitere Namen, aber keine grundsätzliche Infragestellung von männlicher Macht und ihrem Missbrauch. Nicht im Kulturbetrieb, nicht in den Büros, nirgends. Und zweitens ist die Krisenspezialistin Yael Ronen mit ihrem Talent für biografisches Andocken, ihrer Tanzsicherheit zwischen Satire, Scherz und tieferer Bedeutung sowie ihrer krampflösenden Unverschämtheit prädestiniert für das Thema.
Von den leichten Storys zum harten Stoff
Der Abend beginnt bestürmend selbstironisch. Die israelische Schauspielerin Orit Nahmias umreißt mal eben das beachtliche Problemgebirge, durch das sie mit Ronen in den vergangenen fünf Jahren schon gewandert ist: Xenophobie, Homophobie, Rassismus, Islamophobie, Krieg in Jugoslawien, Holocaust, Krieg in Syrien, Genozid an den Armeniern, Gewalt gegen Roma, Neofaschismus, Trump, Putin, Erdogan. Okay, Afrika kam nicht vor. Asien eigentlich auch nicht. Oder Südamerika. Prima, der Konfliktstoff für die nächsten drei Jahre ist gesichert!
Überhaupt ist der Ton erst mal leicht. Riah May Knight, Lindy Larsson, Svenja Liesau, Orit Nahamias und Taner Sahintürk nähern sich ihrem Thema über heiter-peinliche Erinnerungen an frühe Masturbationserfahrungen, auch erster Sex kommt vor. Was allerdings mit Ronen-typischer Umschlaggeschwindigkeit in Erzählungen von Missbrauch und Vergewaltigung kippt. Svenja Liesau schraubt sich in eine wutbefeuerte Tirade über ihre mit #MeToo verbundenen Hoffnungsimpulse: „Endlich! Endlich bricht diese Männer-können-sich-wie-Arschlöcher-benehmen-Struktur zusammen. Das hat sich angefühlt wie Rache.“ Kann es darum gehen? Ist der Internetpranger mit seinen Kollateralschäden überhaupt der geeignete Ort für Diskussionen über Gerechtigkeit? Solche Fragen werden bei Ronen mitreflektiert und ins Publikum gespielt.
Ende mit der Männer-können-sich-wie-Arschlöcher-benehmen-Struktur
„Wenn es so weitergeht, dann wird die menschliche Rasse aussterben.“ Wie soll man unter solchen Diskursbedingungen noch Sex haben? Das sagt einer der anonymen Männer, die von der Regisseurin Suna Gürler und ihrem Co-Autor Lucien Haug zu #MeToo befragt wurden. Entstanden ist daraus das Stück „You Are Not The Hero Of This Story“, das im Gorki-Studio ebenfalls am Saisoneröffnungstag zur Premiere gekommen ist. Mit Maryam Abu Khaled, Mareike Beykirch, Karim Daoud, Tahera Hashemi und Elena Schmidt geht Gürler zurück zum ersten Mann, also Adam, der als Erster seiner Art einfach schon zu viel Aufmerksamkeit erfahren hat.
Der zweite Teil des Abends ist ein Workshop
In sportiv zugespitzter Choreografie spiegelt das Stück den Genderkonflikt um Macht, Beachtung und Deutungshoheit sehr smart auch aufs Theater selbst zurück. Die kontrastierenden Interviewpassagen aus dem Off sind allerdings deprimierend. Den meisten Männern fällt auf die Frage, was sie zum Mann mache, doch nur ihr Penis ein.
Bei solchen Verengungen bleibt eine Yael Ronen freilich nicht stehen. „Yes But No“ will durch den Riss im System, der hinter der Krise aufscheint, auf das utopische #MeToo-Potenzial blicken und zu einer neuen „Kultur des Einvernehmens“ finden! Nicht nur mit furiosen Musicalnummern über minutiöse Sexverträge. Sondern auch mit einem Workshop. Ganz recht, der zweite Teil des Abends ist ein interaktiver, bei dem die Zuschauer grüppchenweise zu Übungen in Sachen Nein-Sagen und Nähe-Wagen gebeten sind. Nichts für schwache Nerven. Aber keine Angst. Es geht nicht zu wie bei Kresnik.
Nächste Vorstellungen: „Yes But No“ am 13. und 28. 9.; „You Are Not The Hero Of This Story“ am 13., 14. 9., 6. 10.