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Mandy Fredrich (links) und Michaela Schuster benehmen sich eigen im Heim.
© Monika Rittershaus

Barenboim dirigiert Spieloper: Wie die Plauze eines Mannes

An der Berliner Staatsoper haben Daniel Barenboim und David Bösch Spaß mit Otto Nicolais „Lustigen Weibern von Windsor“.

Was für eine bewegte, viel zu kurze Vita: Mit 16 Jahren haut Otto Nicolai von zu Hause ab, verlässt Königsberg, findet im pommerschen Stargard einen Mäzen, der ihm das Musikstudium in Berlin finanziert. Er ist gleichermaßen im Gesang, im Klavierspiel wie auch in der Komposition begabt, singt 1831 bei der Wiederaufführung der Bachschen Matthäuspassion unter Felix Mendelssohn den Christus, wird 1833 als Organist an die preußische Gesandtschaft nach Rom geschickt, studiert das italienische Musikleben, geht für eine Saison als Kapellmeister nach Wien. Anschließend lebt er in Turin, landet dort 1840 mit seiner Oper „Il templario“ einen großen Erfolg, der ein Engagement in Österreich an der K.-u.-k.-Hofoper nach sich zieht. 1842 wird er zum Gründungsvater der Wiener Philharmoniker, 1848 wechselt er zurück nach Berlin, in der Doppelfunktion als Domchorleiter und Operndirigent. Am 9. März findet die Uraufführung seiner Shakespeare-Vertonung „Die lustigen Weiber von Windsor“ Unter den Linden statt, zwei Monate später reißt den 39-Jährigen ein Schlaganfall aus dem Leben.

170 Jahre später nimmt sich jetzt Daniel Barenboim höchstpersönlich des Werkes an, das im 19. Jahrhundert zu den Hits der sogenannten „deutschen Spieloper“ gehörte. Zehn Inszenierungen der „Lustigen Weiber“ gab es an dem Haus bereits, die letzte kam 1984 heraus. Seit 1983 lief im Westteil der Stadt Winfried Bauernfeinds bezaubernde Produktion des Stücks an der Deutschen Oper. In den letzten beiden Jahrzehnten dagegen machten die Bühnen einen großen Bogen um das Genre, das im Vergleich zur ewig jungen italienischen Opera buffa als staubig und verzopft galt, zu sehr geprägt von biedermeierlichem Humor und allzu leichtgewichtiger Musik.

Daniel Barenboim hat sein Debüt als Spielopern-Deuter sorgfältig vorbereitet. Er nimmt die Partitur sehr ernst, schenkt jeder Nebenstimme, jeder Begleitfloskel liebevolle Beachtung, strebt mit seiner Staatskapelle nach größtmöglicher Eleganz. Vor allem die Streicher klingen betörend schön.

Klangästhetisch allerdings blickt der Generalmusikdirektor der Lindenoper weniger gen Süden, über die Alpen, wo damals der von Otto Nicolai so bewunderte Gaetano Donizetti wirkte. Er denkt die Partitur eher nach vorne, in Richtung des „Meistersinger von Nürnberg“-Tonfalls, weil Richard Wagner nun einmal sein Leib- und-Magen-Komponist ist. Daraus ergibt sich, physikalisch gesprochen, ein spezifisches Gewicht der Musik, das höher ist als sonst bei heiteren Lustspielopern gewohnt. Wobei schwerer nicht zwangsläufig schwerfälliger bedeuten muss – es braucht aber mehr Energie, um das instrumentale Räderwerk in Bewegung zu setzen.

Michael Volle und René Pape im virtuosen Duett

Insofern war die überraschende Wahl von drei ausgewiesenen Wagner-Interpreten für die Hauptpartien dieser „Lustigen Weiber“ strategisch sinnvoll. Zumal das Trio spürbar Spaß hat, mal nicht todernst sein zu müssen. Michaela Schusters prollige Frau Reich singt mit Kettenraucherin-Timbre und orgelt die Dialoge hemmungslos in bayerischer Mundart. Michael Volle, der über ein Gespür für Timing gebietet wie sonst nur Sprechtheater-Profis, gibt dem Herrn Flut Züge von hysterischer Eifersucht. Zusammen mit René Pape als Falstaff macht er das heikle Duett, in dem beide ständig beiseite sprechen müssen, ohne dadurch den Spielfluss miteinander zu verlieren, zu einem virtuosen Sketch.

Die Probenwochen müssen euphorisierend gewesen sein, ein Workshop in kollektiver Enthemmung. Perfekt komprimierte Sprechtexte sind dabei herausgekommen, leicht heutig angeschärft, geradezu genial im Fall des jungen Liebespaares Anna (authentisch pubertär: Anna Prohaska) und Fenton (tenoral unwiderstehlich: Pavol Breslik), das sich vor allem mit Originalzitaten aus „Romeo and Juliet“ verständigt. Mandy Fredrich serviert als Frau Flut Koloraturen auf Hausfrauenart, locker hintiriliert statt mit Primadonnenattitüde ausgezirkelt. Das ist hohe Kunst bei einer technisch so anspruchsvollen Partie.

Soll man wirklich noch "Weiber" sagen?

Aber es gibt auch ein Problem: Vor lauter Freude über die eigene Begeisterung am Schwankhaften haben Kreativteam und Solisten vergessen, eine Haltung zum Stück zu entwickeln. Das fängt schon beim Titel an. Kann man 2019 wirklich noch an der verfälschenden Übersetzung festhalten? „Merry wives of Windsor“ sind bei Shakespeare die Strippenzieherinnen, also Ehefrauen. Und nicht die „lieben Weibchen“, von denen auch im Sprechtext immer wieder die Rede ist. Gewaltbereite Gatten, Verhöhnung des Ausländers Monsieur Cajus, Komasaufen mit Sir John – diese Komödie ist unkommentiert eigentlich nicht mehr zumutbar. Auch dann, wenn die Inszenierung bewusst als brachiale Kalauer-Klamotte daherkommt.

Regisseur David Bösch scheint bei der Vorbereitung darüber nicht nachgedacht zu haben. Ebenso wenig wie über die Frage, was so faszinierend an der Figur des Falstaff ist, dass er als Held eines Drei-Stunden-Spektakels taugt. Giuseppe Verdi hat ihn in seiner Veroperung zum feinsten aller Narren erklärt, die Story in die Tradition der Commedia dell'Arte gestellt. An der Staatsoper macht Kostümbildner Falko Herold den Frauen das Gedankenspiel unmöglich, ob die Zukunft mit diesem verlebten Lebemann vielleicht doch spannender sein könnte als die mit den eigenen braven Ehepartnern. Denn er stellt Falstaff als ekelhaft-abstoßenden Penner aus, mit schlabbernden Dreiviertelhosen, weißen Socken in braunen Sandalen und einem Hängebauch, der abendfüllend unter dem zu kurzen Unterhemd herausquillt.

Schlechter Geschmack ist nicht komisch

Wer will auf so ein optisches Elend schauen? Wer möchte die Spießerhölle der Vorstädte gezeigt bekommen, wie Patrick Bannwart es Unter den Linden tut? Bungalows mit Kratzputzfassade, Plastikstühle aus dem Baumarkt auf der Terrasse, Wäschespinne und Kugelgrill im Garten: Zuschauer, die so einem Ambiente entkommen konnten, sind doch heilfroh darüber. Und auch jene Betrachter, denen durch die Gnade der bürgerlichen Geburt derlei erspart blieb, wissen: Schlechter Geschmack ist ebenso unkomisch wie schlechtes Benehmen.

„Nüchtern betrachtet ist es besoffen besser“, nuschelt René Pape einmal, während er im Fatsuit vorbeischlurft und sich die fettigen Zottelhaare rauft. Wie viel Promille aber braucht man, um sich dauerhaft unter Niveau amüsieren zu können? Reicht da der Pausensekt?

Das Finale ist der Schwachpunkt der Oper: Zum Zauberspuk im Wald von Windsor, bei dem Falstaff endgültig seine Flausen ausgetrieben werden sollen, schwankt der Komponist zwischen Mendelssohn-Imitation und Tingeltangelmusik. Da brauchen die Darsteller wirklich Hilfe vom Regisseur, da ist eine differenzierte Personenführung vonnöten, die klarmacht, wer hier gegen wen ist und warum sich plötzlich alles doch in Wohlgefallen auflöst. David Bösch aber lässt seine Akteure hier völlig alleine, zitiert spaßeshalber opulente Friedrichstadtpalast-Optik, steckt Chor und Solisten in Sado-Maso-Outfits. Das ist zu wenig.

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