Doku „The Potential of Noise“: Wie der Krautrock erfunden wurde
Conny Plank prägte den Sound von Bands wie Kraftwerk und Neu! Der Dokumentarfilm „The Potential of Noise“ huldigt dem legendären Musikproduzenten.
Fahren, fahren, fahren auf der Autobahn. Ein Auto gleitet durch deutsche Sommerlandschaften, vorbei an Wiesen, Wäldern und Rapsfeldern. Für die Kamera, die aus dem Beifahrerfenster blickt, wird daraus ein Sekundengemälde aus gelben, grünen und grauen Streifen. Es ist genauso abstrakt wie die Musik, die die Szene begleitet. Ein fiebriger E-Gitarrenpuls, über den sich treibende Trommelschläge und schmatzende Wah-Wah-Geräusche legen. Das Stück stammt von der Band Neu!, die aus Kraftwerk hervorgegangen war. Als 1972 ihr Debütalbum herauskam, staunten vor allem britische Kritiker darüber, dass eine deutsche Band so ingenieurshaft, funky und futuristisch klingen konnte.
Der Mann am Steuer ist Stephan Plank, der in dem Dokumentarfilm „The Potential of Noise“ eine Reise auf den Spuren seines Vaters unternimmt. Conny Plank war ein legendärer Musikproduzent, der bis zu seinem Tod 1987 den Sound von Bands wie Kraftwerk, Neu!, La Düsseldorf, Ultravox oder den Eurythmics prägte. Er hat eine spezifisch deutsche Art von Rockmusik mitbegründet, die in England bald „Krautrock“ genannt wurde, und sie immer weiter in Richtung Minimalismus getrieben. Es ging ihm um größtmögliche Klarheit, um den Versuch an einen mythischen Ursprung zurückzukehren. „So hat Musik angefangen: Wenn ein Mensch im Wald Töne von Tieren oder Pflanzen gehört hat, dann nahm er die Geräusche, die ihm gefielen, und machte daraus Musik“, erzählt Plank einmal aus dem Off.
Das mag esoterisch klingen, aber Plank war ein überaus akribischer Klangarbeiter. Den Musikern, mit denen er arbeitete, wollte er keinen Sound überstülpen. Jede Band sollte ihren eigenen Sound finden, und dabei half er. „The Potential of Noise“ ist Huldigung und Vatersuche, das macht den Film, den Stephan Plank zusammen mit Reto Caduff gedreht hat, nicht bloß interessant, sondern auch anrührend. Stephan Plank war 13 Jahre alt, als der Vater starb, und gekannt hat er ihn damals kaum. Er sei „eine unscharfe Erinnerung in meinem Gedächtnis, ein Phantom“, erzählt der Sohn, und man spürt die Trauer, die darin bis heute mitschwingt.
Radikale Ideen
Plank war ein Workaholic, er zog sich wochenlang in sein Studio zurück, das er 1974 auf einem Bauernhof im Kölner Hinterland eingerichtet hatte, und überließ die Erziehungsaufgaben seiner Lebensgefährtin. Stärker als die Erinnerung an gemeinsame Unternehmungen ist die Erinnerung an die Musik, die auf dem Hof entstand. Der Vater sei „der Dirigent des Soundtracks meiner Jugend“ gewesen, sagt der Sohn, und natürlich war es ein erlesener Soundtrack.
Conny Plank, der 1940 in der Nähe von Kaiserslautern geboren wurde, begann seine Karriere als Sendertechniker beim Saar-Radio, wo er nach Feierabend die Musiker von Kraftwerk zu ersten Sessions ins Studio schleuste. Weil ihm die Arbeit beim Radio oder bei Plattenlabels zu reglementiert vorkam, machte er sich früh selbstständig. „Conny konnte mit uns Freiheiten ausprobieren, das hat ihn angetrieben“, erinnert sich Neu!-Gitarrist Michael Rother. Plank war radikal. Den Scorpions, deren erstes Album „Lonesome Crow“ er produzierte, schlug er vor, sich in Stalingrad umzubenennen und auf der Bühne Stacheldraht auszurollen. „Uns hat gewundert, dass der Joints geraucht und dabei so wahnsinnig gut gehört hat“, sagt Gitarrist Rudolf Schenker.
Er liebte den Live-Moment
Man muss sich Plank als langhaarigen Stoiker vorstellen. Auf Ideen konnte er warten, notfalls tagelang. Als sich Robert Görl und Gabi Delgado-López von der Deutsch-Amerikanischen Freundschaft (DAF) 1981 in seinem Studio einquartierten, um ihr Album „Alles ist gut“ aufzunehmen, hatten sie keine fertigen Songs dabei. Statt sie zu schreiben, stritten sie lieber. Daniel Miller, der aus London angereiste Gründer des Labels Mute Record, geriet schon bevor die Aufnahmen begannen in Panik. Schließlich war er pleite. Doch aus den Sessions entstand eine der besten Platten der Neuen Deutschen Welle. „Der Conny hat das geliebt, dass etwas live kreiert wurde“, sagt Görl.
„Ich funktioniere am besten, wenn ich als Medium tätig bin zwischen Musiker und der Bandmaschine“, lautete Planks Credo. Dave Stewart von den Eurythmics, deren Debütalbum „In the Garden“ in Planks Studio in Wolperath entstand, sagt über den Produzenten: „Auf seiner Stirn hätte ein Spruch stehen können: Es gibt keine Regeln.“ Der Film endet mit dem Abbau des gigantischen Mischpultes. Ein trauriger Abschied. Das Musikstudio wird abgerissen, um einem Wohnhaus zu weichen. Was weiterlebt, das ist die Musik, die in dem ehemaligen Schweinestall entstand.
Eiszeit, Hackesche Höfe, Kant, Tilsiter