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Milch fürs Gemüt. John Magaro spielt Cookie, der sich als Koch durch den Wilden Westen schlägt.
© Allyson Riggs/A24

Kekse backen statt Colts ziehen: Wettbewerbsfilm „First Cow“ ist ein sympathischer Anti-Western

Der Western zelebriert gewöhnlich starke Männer. Kelly Reichardts „First Cow“ erzählt hingegen von einer ungewöhnlichen Freundschaft. Und einer heiligen Kuh.

Das Western-Ding wird noch mal völlig neu aufgerollt. Heroische Sheriffs, räudige Halunken, einsame Cowboys, edle Häuptlinge, staubige Prärie – die Ikonografie der Figuren und Landschaften, die das Genre seit Anbeginn des Kinos pflegt, hat ausgedient.

Im Arthouse-Film taugt sie schon lange nur noch als ironisches Zitat. Und nun zerbröselt auch der damit verbundene Männlichkeitskult. Das hat jüngst bereits Regisseur Jacques Audiard mit seinem amüsanten Neo-Western „The Sisters Brothers“ gezeigt. Darin erstaunen John C. Reilly und Joaquin Phoenix als unentwegt miteinander quasselndes, liebendes Brüderpaar im Oregon des Jahres 1851.

In die selbe Kerbe haut auch Kelly Reichardt, deren Geschichte dreißig Jahre früher ebenfalls in Oregon spielt. Reichardt ist eine der wichtigsten amerikanischen Independent-Regisseurinnen. Am Mythos, der Amerika erbaut hat, hat sie sich seit ihrem Debüt „River of Grass“ (1994) oft abgearbeitet und ihm – auch in den Figuren – eine eigene, weibliche Perspektive verpasst.

Auch „Meek’s Cutoff“ (2011) erzählt vom mühseligen Alltag der Siedlerinnen und Siedler in Oregon. Und war – genauso wie nun „First Cow“ im fast quadratischen Academy-Format gefilmt, dass per se die feierliche Aura des Cinemascope-Western negiert, aber zugleich der altmodische Rahmen vieler John-Wayne-Klassiker war.

So wie dessen in Stein gehauene Züge, sind die Milchbubigesichter von Reichardts Helden Cookie (John Magaro) und King-Lu häufig in Untersicht zu sehen. Aber nicht, um sie als Westerner in Heldenpose auf Pferden zu inszenieren, sondern weil die Kamera (Christopher Blauvelt) die Bildern erdend immer in Hüfthöhe verweilt. Auch in der Szene, als sich die beiden erstmals begegnen.

Cookie, der als Kochfaktotum bei einer Truppe giftiger Trapper dient, sucht nach Pilzen. Und erblickt einen nackten Mann im Farn. Der vermeintliche Indianer entpuppt sich als Chinese auf der Flucht. Cookie hilft ihm. Und als sich die beiden dann später im Saloon einer Siedlung wiedertreffen, die so lausig und matschig aussieht, wie es im Herbst 1820 in Oregon ganz sicher wirklich war, beginnt eine Auge und Herz beglückende Freundschaft zwischen zwei sanften Underdogs.

Mit einer lapidar-lustigen Szene, in der King-Lu Feuerholz hackt und Cookie auffordert, es sich bei ihm bequem zu machen. Der steht kurz dumm herum, greift dann zum Besen, fegt aus und geht ein paar Blumen für die Bretterbude pflücken. „Sieht schon besser aus“, sagt er zufrieden, als sie in einer Flasche stehen.

Der Wilde Westen als Hausfrauenlatein, nur von Männern gespielt? Das ist tatsächlich eine neue Perspektive, der sich Kelly Reichardt mit viel Freude am Inszenieren häuslicher Verrichtungen in aller Seelenruhe hingibt. Da werden Blaubeeren, Nüsse und Pilze gesammelt, Puschen genäht, Eicheln zerstoßen und schließlich auch eine Kuh gemolken.

Das allerdings verbotenerweise, denn das von einem reichen Engländer von San Francisco herbeigeschaffte Rindviech ist das erste und einzige in der ganzen Gegend. Nachts auf einer Wiese angepflockt, wird sie vom freundlich auf sie einredenden Cookie angezapft. Ihre Milch begründet den phänomenalen Verkaufserfolg des Ölgebäcks, das Cookie backt und liebevoll mit Zimt bestäubt.

[23.2., 12.30 Uhr (Friedrichstadtpalast), 25.2., 12 Uhr (HdBF), 18.15 Uhr (Friedrichstadtpalast), 1.3., 10 Uhr (HdBF)]

Eine heilige Kuh jede Nacht allein am Baum? In einer fast vorzivilisatorischen Wildnis, in der Wölfe mit glühenden Augen leben? Das ist die eine Unwahrscheinlichkeit. Die andere ist, dass im Jahr 1820 die Enthornung von Kühnen sicher noch kein Standard war, Filmkuh Evie aber Hörner fehlen. Doch solche Kleinigkeiten sind angesichts eines Westens aller Ethnien schnell vergeben.

„Dem Vogel ein Nest, der Spinne ein Netz, dem Menschen Freundschaft“. Dieses Zitat von William Blake stellt Reichardt ihrem lakonisch-melancholischen Drama voran. Cookie und King-Lu leben das Prinzip Freundschaft und Kommunikation – untereinander und auch der Kuh und den Ureinwohnern gegenüber.

Die auf die Eroberung und Ausbeutung neuer Territorien ausgerichtete Siedlerwelt mit ihrer Klassenhierarchie funktioniert nach entgegengesetzten Prinzipien. Das erzählt „First Cow“, ohne in das pathetische Tremolo einer antikapitalistischen Parabel zu verfallen. Klar wäre die Besiedelung des Westens durch freundliche Keksbäcker friedlicher verlaufen. Oder? Als King-Lu, der geborene Unternehmer, gierig wird, fängt in „First Cow“ das Unglück an.

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