Pierre Boulez Saal: West-östliches Wechselspiel
Das Boulez Ensemble und Michael Barenboim bringen Kareem Roustoms Violinkonzert Nr.1 zur Uraufführung: eine Hommage an die arabischen Anklänge bei Mozart.
Da war diese Streicherpassage im ersten Satz von Mozarts B-Dur-Klavierkonzert Nr. 27. Eine Abwärtssequenz, chromatisch verfärbt, und die arabischen Musiker im West-Eastern Divan Orchestra entdeckten einen Hijaz darin, jene Tonskala, wie man sie traditionell zum Beispiel auf der Oud spielt. Spontan fingen sie an zu improvisieren, wie es üblich ist in der arabischen Musik.
Kareem Roustom erzählt die Geschichte von einer Probe 2014 in Buenos Aires unter Leitung Daniel Barenboims als Ursprungsmoment seines Violinkonzerts Nr. 1. Der syrisch-amerikanische Komponist war mit dem Ensemble auf Tournee, das Hin und Her der Musikkulturen faszinierte ihn. Er zerlegte die Phrase und legte sie den Sätzen seines Konzerts zugrunde, „Fragments“, Hymn“, „Round & Rondo“. Nicht Mozart „alla turca“, sondern umgekehrt Türkisches und Nordafrikanisches „alla vienna“: Was die Vitalität, die tiefgründige Heiterkeit, das Tänzerische und Dialogische betrifft, ist Roustoms Werk infiziert von Mozarts Elan.
Bei der Uraufführung des Konzerts im Pierre Boulez Saal mit Michael Barenboim als Solist – die Eltern Daniel Barenboim und Elena Bashkirova sitzen im Publikum – geraten die Musiker des Boulez Ensembles nach einem rauschhaften Tutti-Auftakt jedenfalls gleich selber in Impro-Laune: kleine Hommage an die Probensituation von 2014, so steht es in den Noten. Kurz darauf driften sie ins Träumerische ab, bis Kontrafagott und große Trommel zur Raison rufen.
Synkopische Stolperfiguren, Neunachteltakt und andere ungerade Metren, schnelle Stimmungswechsel von versonnenen Passagen mit ostinaten Begleitfiguren über konvulsivisch große Intervallschritte bis zu unerbittlichen Accelerandi: Dirigent Lahav Shani führt souverän durch die Partitur. Und das Temperament von Solist Barenboim steht dem von Roustoms Komposition in nichts nach.
Im zweiten Satz wird es kontemplativ. Zwei Schlagzeuger streichen mit Geigenbögen an den Platten ihrer Vibraphone entlang und evozieren eine ätherische Stimmung, während die Solovioline mit virtuosen Klangeskapaden die Himmelsgeister beschwört, über Streicher-Pizzicati und wuchtig-aggressiven Bläser-Einwürfen. Eine Art Programmmusik: Im Video auf der Website des Boulez Saals erzählt Kareem Roustom von den Mönchsgesängen im Kloster nördlich von Damaskus, unweit eines berüchtigten Assad-Gefängnisses. Der Glaube trägt, er trotzt der Gewalt.
Ein idealtypischer Abend im Pierre Boulez Saal
Der Finalsatz wiederum verwandelt sich die klassische Rondo-Form an, mit immer kürzerem A- und immer längerem B-Teil. Ein furioses, mit vertrackten Rhythmen durchsetztes Stück, in dem Orient und Okzident endgültig verwirbeln. Das Rondo erweist sich zudem als Echoraum des eingangs Gehörten. Der imitatorische, kurzatmige Realismus und Naturlaut von Leos Janáceks Concertino aus dem Jahr 1925 (mit dem energischen, sympathisch übermütigen Lahav Shani am Flügel) findet sich genauso wieder wie der Sehnsuchtston und Zwiegesang von Brahms’ Horntrio Es-Dur op. 40. Solist Radek Baborák betört das Publikum mit beseeltem, schmiegsamem Timbre.
Das zur Eröffnung des Saals gegründete Boulez Ensemble, wechselnd besetzt mit Mitgliedern der Staatskapelle, des West-Eastern Divan Orchestra und der Barenboim-Said-Akademie, hat sich solche Wechselspiele zwischen Repertoire und Uraufführungen zum Ziel gesetzt. Ein idealtypischer Abend im Pierre Boulez Saal, das Publikum zeigt sich begeistert.
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