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Fusionäre. Die Präsidenten Walter Jens (West, links) und Heiner Müller (Ost) und der Autor Hans Mayer, April 1992.
© Marianne Fleitmann/AdK

25 Jahre fusionierte Akademie der Künste: West-östlicher Disput

Ein deutsch-deutscher Streit: Vor 25 Jahren vereinigten sich die Berliner Akademien der Künste.

Die einen schimpften, die anderen traten aus, wieder andere wiegelten ab, die Atmosphäre war vergiftet. Die Debatte um die Vereinigung der Berliner Akademien der Künste eskalierte von Tag zu Tag. Die Berliner CDU und der Regierende Diepgen empörten sich über die geplante En-bloc-Zuwahl der Ost-Akademisten, die DDR-Dissidenten erst recht. Selbst Kanzler Kohl schaltete sich ein. Der Akademiestreit wollte nicht enden, 20 Monate dauerte das Drama, ein Showdown, der nicht zuletzt im Tagesspiegel ausgetragen wurde, mit Einlassungen von Jürgen Becker („Freunde, bleibt im Haus!“) oder Klaus Staeck über die „Mühsal, sich gegenseitig ertragen zu lernen“. Bis der Einigungsvertrag doch unterzeichnet wurde, im September 1993.

Die Mauer war gefallen, Ost und West vereinigten sich, die NVA und die Bundeswehr fusionierten, die Bahn auch, die Treuhand wickelte ab. Und in Berlin rauften sich die Akademien der Künste zusammen, mit ihren Präsidenten Heiner Müller (Ost) und Walter Jens (West). Sie hatten keine Wahl: Berlin war nicht länger bereit, zwei Sozietäten zu finanzieren. Eine Vernunftehe, keine Liebesheirat, nannte Müller die Fusion.

Aber wie sollte es gehen? Hier die Staatskünstler, „parteitreue Betonköpfe mit Lorbeerkranz und parfümierte Arschkriecher der Diktatur“, wie Wolf Biermann im Rückblick wetterte, dort die Freigeister des Westens unter Jens, der „durchdrückte, dass die spitzelnden Hofschranzen des DDR-Regimes alle ungeprüft unternommen wurden“, in eine Friede-Freude-Eierakademie (Biermann)? Es wurde polarisiert, polemisiert und protestiert, es ging um Gewissensprüfung. Heiner Müller schrieb in der „FAZ“, dieser Versuch einer Vereinigung ohne Unterwerfung veranlasse manchen Politiker „die Kettenhemden des Kalten Krieges“ wieder anzulegen.

Freigeister und Staatskünstler, hieß es. Geht das zusammen?

Eine irre, bis heute brisante Kulturgeschichte ist dieser „Krieg der Künste“ vor 25 Jahren. Denn Christa Wolf, Volker Braun, Klaus Staeck, Jürgen Flimm, Harald Metzkes, Jutta Brückner und all die anderen schlugen sich mit einer Frage herum, die die Republik bis heute erschüttert. Die Frage, wie fremd die Deutschen einander geblieben sind, inwieweit sie je in der Lage waren, zuzuhören und andere Biografien, Identitäten, Lebensleistungen nicht einfach vom Tisch zu wischen. Nicht pauschal bewerten und verwerfen, da ist Deutschland immer noch am Anfang. Mit Filmen wie „Gundermann“, mit Diskussionen über die vermeintlich oder tatsächlich Abgehängten im Osten.

Die Einheit als „Störfall“ (Staeck), die Akademie und ihre politisch-moralische Fehde als Mikrokosmos der Wende-Republik: Diese Aktualität kommt bei der Veranstaltung zum Jubiläum am Donnerstag im Plenarsaal am Pariser Platz leider nicht zur Sprache. Charly Hübner und Katharina Wackernagel tragen Debattenbeiträge aus der Zeit vor, mit einer wohltuenden Prise Ironie. Per Video wird ein Interview mit Inge Jens eingespielt, die die Sturheit und die Skrupel ihres Mannes in Erinnerung bringt. Anschließend kommen der ehemalige Archivdirektor Wolfgang Trautwein, die Schriftsteller Jürgen Becker und Friedrich Dieckmann, der damalige Kultursenator Ulrich Roloff-Momin und Ex-Akademiepräsident Klaus Staeck zu Wort. Diskutiert wird nicht, Moderator Alfred Eichhorn fragt bloß alle hübsch nacheinander ab.

So bleibt es ein Abend der Rückblenden und Anekdoten, historisch fein säuberlich abgekapselt. Von Otto Sanders Frage, was man mit dem Gefühl macht, vielleicht einen Stasi-Spitzel neben sich sitzen zu haben, über Peter Lilienthals Einwurf, eine Akademie sei keine Partei, wo sonst könne man sich auch mit Altstalinisten auseinandersetzen, bis zu Jutta Brückners Warnung vor „Geschichtsbereinigung“.

Die Künstlernstler trugen aus, was in der Politik, der Wissenschaft, der Wirtschaft versäumt wurde

Die Kompliziertheit des Streits lässt sich mit Zahlen belegen. Die Ost-Akademie hatte sich bereits einer kritischen, auch quälenden Selbstverständigung und Evaluation unterzogen und ihre Mitglieder neu gewählt. 69 blieben, 32 gingen. Ein 20er-Gremium sollte die Verhandlungen mit den Westlern führen (die Nr. 20 war übrigens ausgerechnet das westdeutsche Ost-Mitglied Klaus Staeck). Schon deshalb wollte Jens keine erneuten Einzelwahlen, schon gar keine pauschale Stasi-Überprüfung der Ost-Kollegen. Zweidrittel der West-Akademisten stimmten für seinen Vorschlag einer Zuwahl „en bloc“, die Vokabel provozierte Missverständnisse und Zerwürfnisse. Zu den Gegnern gehörte Jürgen Becker, der gleichwohl an die demokratische Gepflogenheit gemahnte, Abstimmungen auch als Verlierer zu akzeptieren. Als einziger auf dem Podium gesteht er im Rückblick persönliche Irrtümer ein.

Als sich schließlich 249 West- und 60 Ost-Mitglieder zusammentun, bei 35 Doppelmitgliedschaften, treten 29 Westler aus Protest aus. Auch Jürgen Flimm. Der hatte offenbar vergessen, dass er seit 1990 Ost-Mitglied war und zuvor keine Probleme mit einem DDR-Hardliner wie Hermann Kant hatte – der bis 1993 seinerseits ausgetreten war. Wenigstens kommt es nicht zum angedrohten Exodus der kompletten Sektion Bildende Kunst. Es wäre das Ende der Akademie gewesen.

Auch die Hürden in der Politik lagen hoch: Roloff-Momin schildert eindrücklich, wie die CDU pöbelte und die SPD schwieg, als Walter Jens im Berliner Kulturausschuss Rede und Antwort stand. Das Abgeordnetenhaus tat sich schwer, der Vereinigung zuzustimmen – Anti-Treuhand-Modell hin oder her. Das immerhin wird deutlich bei der Jubiläumsveranstaltung: Die Künstler trugen aus, was in der Politik, der Wissenschaft, den Medien, der Wirtschaft versäumt wurde. Und sie nahmen sich die Zeit dafür. Eine Friede-Freude-Eierakademie ist es nicht geworden. Allerdings eine, der man heute mehr Gegenwärtigkeit wünscht.

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